Produktdetails
- Heyne Science Fiction und Fantasy
- Verlag: Heyne
- Jubil.-Ausg.
- Gewicht: 619g
- ISBN-13: 9783453139749
- ISBN-10: 3453139747
- Artikelnr.: 24278388
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998Spocks Ahnen
Kurd Laßwitz, der Erfinder des Weltalls / Von Joachim Kalka
Kurd Laßwitz - ein exemplarisch gutbürgerliches Leben im langen neunzehnten Jahrhundert: Geburt 1848 in Breslau (Vater Fabrikant und viele Jahre demokratischer Abgeordneter im Preußischen Landtag), Gymnasium, Studium der Mathematik und Physik, 1871 im Kriege, 1873 in Breslau promoviert, Laufbahn als Gymnasiallehrer, die ersehnte Universitätskarriere bleibt versagt (trotz einer Leistung wie den zwei Bänden der "Geschichte der Atomistik vom Mittelalter bis Newton" 1890), gestorben 1910 als herzoglicher Hofrat in Gotha. (Dort liegt auch der Nachlaß.) Daß an diesem Leben - so gemütlich der Erzähler in manchen Geschichten Laßwitz' im Salon thronen mag - vieles als Enge und Beschwernis empfunden wurde, macht die den bürgerlichen Beruf wunderlich konterkarierende Literaturproduktion wohl deutlich sichtbar. Laßwitz ist der erste deutsche Autor, der sich eindeutig in die Geschichte der Science-fiction einordnen läßt, seine Texte schweifen weit fort und heißen in ihren Untertiteln gerne etwa "aus dem vierundzwanzigsten und neununddreißigsten Jahrhundert".
Laßwitz war ein Anhänger der Philosophie von Gustav Fechner, dessen Biographie er schrieb und dessen Schriften er herausgab. Diese sogenannte Psychophysik, eine Lehre von der Beseelung der gesamten Natur in all ihren Formen, ist die direkte Voraussetzung für viele seiner Fiktionen - etwa "Aspira. Der Roman einer Wolke" (1905) oder "Sternentau. Die Pflanze vom Neptunsmond" (1909). Ein Text wie "Homchen. Ein Tiermärchen aus der oberen Kreide" (in "Nie und immer", 1902) bietet ein interessantes Vergleichsstück zu unserer gegenwärtigen Dinomania: Hier fällt die Heldenrolle einer Art von kleinem Beuteltier zu, das in einer Welt der Riesenwesen geschickt zu überleben versteht. Vieles an diesen Büchern ist schön; legt man allerdings die Imaginationen des Zeitgenossen Paul Scheerbart daneben (den "Lesabéndio" etwa oder "Die Seeschlange"), hat man den Unterschied zwischen einem großen Phantasten und einem dichterisch dilettierenden Naturwissenschaftler. Man hört in Laßwitz' Texten oft den Vollbart rauschen, vor allem wenn ein Humor von gravitätischer Munterkeit losgelassen wird; die Vorliebe des Autors für das Didaktische ist kaum zu zügeln, und als Erhabenstes von der Welt erscheint allzuoft der deutsche Ordinarius.
Und doch verfügt Laßwitz über einen Ehrentitel, der bei genauem Hinsehen ehrlich verdient ist: Seine Bücher wurden während der Herrschaft des Nationalsozialismus verboten. Wohl weniger, weil sie in allen kosmischen Maskierungen nie ganz die Herkunft aus der (epigonalen) bürgerlichen Aufklärung verleugneten, sondern weil sie Achtung vor dem Leben in allen seinen Verkörperungen zum Ausdruck brachten, nicht nur vor seinen großen, starken, heroischen Formen - was für das Denken der Nazis die vielleicht unangenehmste Blasphemie war.
Laßwitz' Hauptwerk, der 1897 erschienene Roman "Auf zwei Planeten", war seinerzeit ein Bestseller und wurde immer wieder in wechselnder Gestalt aufgelegt. Nun hat nach hundert Jahren der Heyne-Verlag, der seine oft interessante, doch oft auch recht lieblos edierte Science-fiction-Produktion anscheinend ein wenig nobilitieren möchte, den Text als Jubiläumsausgabe von Rudi Schweikert herausgeben lassen. So liegt das Buch jetzt in seiner sehr nützlichen und liebevoll gemachten Edition vor; der Sammler wird beim Anblick des Heyne-Covers zwar leicht die Zähne zusammenbeißen, aber den mit Vor- und Nachwort, Werkgeschichte, Bibliographie und so weiter ausgestatteten, klug kommentierten Band doch dankbar ins Regal stellen. Schweikert, der 1977 im "Bargfelder Boten" über Laßwitz referiert und den Roman 1979 in der Arno Schmidts Vorlieben gewidmeten Reihe "Haidnische Altertümer" schon einmal herausgegeben hat, opfert hier wieder den Namen Schmidts. Sein kenntnisreiches Nachwort bleibt zwischen "Insel Felsenburg" und "Arthur Gordon Pym" dem Bargfelder Kanon nichts schuldig.
Was geschieht "auf zwei Planeten", auf Erde und Mars? Von dem Augenblick an, da eine Forschungsexpedition bei einem Nordpol-Ballonflug - wie ihn damals gerade der Schwede André unternommen hatte - über einem insgeheim errichteten Stützpunkt der Martianer dahinsegelt und dort havariert, sieht sich unsere Erdenwelt mit einem mehrfach und uneindeutig gebrochenen Spiegelbild konfrontiert: Der Mars ist der irdischen Zivilisation weit überlegen, doch indem er versucht, die Erde zu ihrem eigenen Besten zu kolonisieren, wird er zum negativen Ideal. Mit den Martianern rückt unvermutet die Utopie des technischen und politischen Fortschritts heran, und das Utopische reagiert mit ärgerlicher Ungeduld, wenn wir von seiner höheren Ordnung und Vernunft nicht gleich begeistert sind. So gehört es zum Witz von Laßwitz, daß die Martianer gleichzeitig idealisierte Vorbilder und verhaßte Imperialisten sind. Es ist keine geringe Leistung, daß Laßwitz die Lage der Kolonisierten ("daß wir uns auflehnen müssen gegen das Gute") so hellsichtig beschrieben hat, wenn auch mit einem Happy-End, das den Weltenfrieden ex machina herabschweben läßt.
Schweikert stellt den Text als eines der drei großen Phantastica des Jahres 1897 vor, neben Vernes "Le Sphinx des Glaces" ("Die Eissphinx"), einer kuriosen, ebenfalls in polaren Eiswüsten angesiedelten antimetaphysischen Fortsetzung von Poes "Pym", und neben H. G. Wells' "The War of the Worlds". Wells' Buch ist das schwarze Pendant zu Laßwitz - mit einem Szenarium von unversöhnlicher Gewalttätigkeit der Invasoren vom Mars, die nur durch die Bakterien der Erde besiegt werden. Das ist seit einem Jahrhundert nun das Grundmodell eines Genres geblieben: Invasionen aus dem Weltraum sind - woran uns die letzten zwei, drei Kino-Jahre immer wieder erinnerten - Begegnungen mit einem radikal anderen, und dieses andere erscheint als Aggressives.
Es hat etwas seltsam Bewegendes, Laßwitz' Text zu lesen, in dem Erden- und Marsmenschen sich am Ende altmodisch versöhnen. Sie sind sich allerdings auch zum Verwechseln ähnlich, und insofern hat Laßwitz nicht sehr viel gewagt, aber es steckt doch eine so schwärmerische wie lakonische Einsicht in diesem Buch: Daß wir, die bekannten und auch alle theoretisch möglichen Lebewesen, entsprechend betrachtet, doch naturgeschwisterlich allesamt, nur das darstellen, was der eigenartig poetische Titel von Laßwitz' Dissertation ausdrückt: "Über Tropfen, welche an festen Körpern hängen und der Schwerkraft unterworfen sind".
Kurd Laßwitz: "Auf zwei Planeten". Herausgegeben von Rudi Schweikert. Heyne Verlag, München 1998., 1071 S., geb., 34,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kurd Laßwitz, der Erfinder des Weltalls / Von Joachim Kalka
Kurd Laßwitz - ein exemplarisch gutbürgerliches Leben im langen neunzehnten Jahrhundert: Geburt 1848 in Breslau (Vater Fabrikant und viele Jahre demokratischer Abgeordneter im Preußischen Landtag), Gymnasium, Studium der Mathematik und Physik, 1871 im Kriege, 1873 in Breslau promoviert, Laufbahn als Gymnasiallehrer, die ersehnte Universitätskarriere bleibt versagt (trotz einer Leistung wie den zwei Bänden der "Geschichte der Atomistik vom Mittelalter bis Newton" 1890), gestorben 1910 als herzoglicher Hofrat in Gotha. (Dort liegt auch der Nachlaß.) Daß an diesem Leben - so gemütlich der Erzähler in manchen Geschichten Laßwitz' im Salon thronen mag - vieles als Enge und Beschwernis empfunden wurde, macht die den bürgerlichen Beruf wunderlich konterkarierende Literaturproduktion wohl deutlich sichtbar. Laßwitz ist der erste deutsche Autor, der sich eindeutig in die Geschichte der Science-fiction einordnen läßt, seine Texte schweifen weit fort und heißen in ihren Untertiteln gerne etwa "aus dem vierundzwanzigsten und neununddreißigsten Jahrhundert".
Laßwitz war ein Anhänger der Philosophie von Gustav Fechner, dessen Biographie er schrieb und dessen Schriften er herausgab. Diese sogenannte Psychophysik, eine Lehre von der Beseelung der gesamten Natur in all ihren Formen, ist die direkte Voraussetzung für viele seiner Fiktionen - etwa "Aspira. Der Roman einer Wolke" (1905) oder "Sternentau. Die Pflanze vom Neptunsmond" (1909). Ein Text wie "Homchen. Ein Tiermärchen aus der oberen Kreide" (in "Nie und immer", 1902) bietet ein interessantes Vergleichsstück zu unserer gegenwärtigen Dinomania: Hier fällt die Heldenrolle einer Art von kleinem Beuteltier zu, das in einer Welt der Riesenwesen geschickt zu überleben versteht. Vieles an diesen Büchern ist schön; legt man allerdings die Imaginationen des Zeitgenossen Paul Scheerbart daneben (den "Lesabéndio" etwa oder "Die Seeschlange"), hat man den Unterschied zwischen einem großen Phantasten und einem dichterisch dilettierenden Naturwissenschaftler. Man hört in Laßwitz' Texten oft den Vollbart rauschen, vor allem wenn ein Humor von gravitätischer Munterkeit losgelassen wird; die Vorliebe des Autors für das Didaktische ist kaum zu zügeln, und als Erhabenstes von der Welt erscheint allzuoft der deutsche Ordinarius.
Und doch verfügt Laßwitz über einen Ehrentitel, der bei genauem Hinsehen ehrlich verdient ist: Seine Bücher wurden während der Herrschaft des Nationalsozialismus verboten. Wohl weniger, weil sie in allen kosmischen Maskierungen nie ganz die Herkunft aus der (epigonalen) bürgerlichen Aufklärung verleugneten, sondern weil sie Achtung vor dem Leben in allen seinen Verkörperungen zum Ausdruck brachten, nicht nur vor seinen großen, starken, heroischen Formen - was für das Denken der Nazis die vielleicht unangenehmste Blasphemie war.
Laßwitz' Hauptwerk, der 1897 erschienene Roman "Auf zwei Planeten", war seinerzeit ein Bestseller und wurde immer wieder in wechselnder Gestalt aufgelegt. Nun hat nach hundert Jahren der Heyne-Verlag, der seine oft interessante, doch oft auch recht lieblos edierte Science-fiction-Produktion anscheinend ein wenig nobilitieren möchte, den Text als Jubiläumsausgabe von Rudi Schweikert herausgeben lassen. So liegt das Buch jetzt in seiner sehr nützlichen und liebevoll gemachten Edition vor; der Sammler wird beim Anblick des Heyne-Covers zwar leicht die Zähne zusammenbeißen, aber den mit Vor- und Nachwort, Werkgeschichte, Bibliographie und so weiter ausgestatteten, klug kommentierten Band doch dankbar ins Regal stellen. Schweikert, der 1977 im "Bargfelder Boten" über Laßwitz referiert und den Roman 1979 in der Arno Schmidts Vorlieben gewidmeten Reihe "Haidnische Altertümer" schon einmal herausgegeben hat, opfert hier wieder den Namen Schmidts. Sein kenntnisreiches Nachwort bleibt zwischen "Insel Felsenburg" und "Arthur Gordon Pym" dem Bargfelder Kanon nichts schuldig.
Was geschieht "auf zwei Planeten", auf Erde und Mars? Von dem Augenblick an, da eine Forschungsexpedition bei einem Nordpol-Ballonflug - wie ihn damals gerade der Schwede André unternommen hatte - über einem insgeheim errichteten Stützpunkt der Martianer dahinsegelt und dort havariert, sieht sich unsere Erdenwelt mit einem mehrfach und uneindeutig gebrochenen Spiegelbild konfrontiert: Der Mars ist der irdischen Zivilisation weit überlegen, doch indem er versucht, die Erde zu ihrem eigenen Besten zu kolonisieren, wird er zum negativen Ideal. Mit den Martianern rückt unvermutet die Utopie des technischen und politischen Fortschritts heran, und das Utopische reagiert mit ärgerlicher Ungeduld, wenn wir von seiner höheren Ordnung und Vernunft nicht gleich begeistert sind. So gehört es zum Witz von Laßwitz, daß die Martianer gleichzeitig idealisierte Vorbilder und verhaßte Imperialisten sind. Es ist keine geringe Leistung, daß Laßwitz die Lage der Kolonisierten ("daß wir uns auflehnen müssen gegen das Gute") so hellsichtig beschrieben hat, wenn auch mit einem Happy-End, das den Weltenfrieden ex machina herabschweben läßt.
Schweikert stellt den Text als eines der drei großen Phantastica des Jahres 1897 vor, neben Vernes "Le Sphinx des Glaces" ("Die Eissphinx"), einer kuriosen, ebenfalls in polaren Eiswüsten angesiedelten antimetaphysischen Fortsetzung von Poes "Pym", und neben H. G. Wells' "The War of the Worlds". Wells' Buch ist das schwarze Pendant zu Laßwitz - mit einem Szenarium von unversöhnlicher Gewalttätigkeit der Invasoren vom Mars, die nur durch die Bakterien der Erde besiegt werden. Das ist seit einem Jahrhundert nun das Grundmodell eines Genres geblieben: Invasionen aus dem Weltraum sind - woran uns die letzten zwei, drei Kino-Jahre immer wieder erinnerten - Begegnungen mit einem radikal anderen, und dieses andere erscheint als Aggressives.
Es hat etwas seltsam Bewegendes, Laßwitz' Text zu lesen, in dem Erden- und Marsmenschen sich am Ende altmodisch versöhnen. Sie sind sich allerdings auch zum Verwechseln ähnlich, und insofern hat Laßwitz nicht sehr viel gewagt, aber es steckt doch eine so schwärmerische wie lakonische Einsicht in diesem Buch: Daß wir, die bekannten und auch alle theoretisch möglichen Lebewesen, entsprechend betrachtet, doch naturgeschwisterlich allesamt, nur das darstellen, was der eigenartig poetische Titel von Laßwitz' Dissertation ausdrückt: "Über Tropfen, welche an festen Körpern hängen und der Schwerkraft unterworfen sind".
Kurd Laßwitz: "Auf zwei Planeten". Herausgegeben von Rudi Schweikert. Heyne Verlag, München 1998., 1071 S., geb., 34,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main