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Zwanzig Jahre Aufbau Ost - was ist vergangen, was ist entstanden? Was bleibt und was wächst jenseits von Goldkati und dem Ampelmännchen? Claudia Rusch hat sich auf Spurensuche gemacht: Nach einer Vergangenheit, die in die Gegenwart reicht, und nach einer Zukunft, die Aufbruch und Aufbau bedeutet. Sie hat Geschichten aufgeschrieben, die ohne Klischees, voller Wärme und mit klarem Blick von einem Land und seinen Menschen erzählen, das seit zwanzig Jahren unterwegs ist in eine neue Realität.

Produktbeschreibung
Zwanzig Jahre Aufbau Ost - was ist vergangen, was ist entstanden? Was bleibt und was wächst jenseits von Goldkati und dem Ampelmännchen?
Claudia Rusch hat sich auf Spurensuche gemacht: Nach einer Vergangenheit, die in die Gegenwart reicht, und nach einer Zukunft, die Aufbruch und Aufbau bedeutet. Sie hat Geschichten aufgeschrieben, die ohne Klischees, voller Wärme und mit klarem Blick von einem Land und seinen Menschen erzählen, das seit zwanzig Jahren unterwegs ist in eine neue Realität.
Autorenporträt
Claudia Rusch, geboren 1971, aufgewachsen auf Rügen, in der Mark Brandenburg und seit 1982 in Berlin. Sie studierte Germanistik und Romanistik, arbeitete sechs Jahre als Fernseh-Redakteurin und lebt als Autorin in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2009

„Den ham se abgeholt”
Von Banalität, Verdrängung und Fremdeln: Claudia Rusch erzählt fünfzehn Geschichten aus Ostdeutschland
Man muss mit der Fliegenklatsche beginnen. Eines Tages nämlich sucht Claudia Rusch nach Gegenständen, die in ihrem Küchenschrank zwanzig Jahre Einheit überstanden haben und noch aus DDR-Zeiten stammen. Sie findet einen Handmixer, einen löffelförmigen Tubenausquetscher (EVP 0, 75), einen Kronkorkenöffner und, eben, eine Fliegenklatsche. In den Griff gegossen sind sowohl der Preis (EVP 2 Mark) als auch das Kombinat, in dem sie hergestellt wurde. „VEB Sprengstoffwerk Gnaschwitz”, steht auf dem Griff.
Eine Fliegenklatsche aus dem Sprengstoffwerk?
Es ist dies eine von vielen Stellen des neuen Buches der ostdeutschen Autorin, die dem Leser auf banale Weise und en passant die Absurditäten dieses kleinen untergegangen Staates wieder ins Bewusstsein rufen. Absurditäten auf allen Ebenen, aber von unterschiedlicher Tragweite. Wahlen, bei denen man nie die Wahl hatte. Fliegenklatschen aus dem Sprengstoffwerk. Nachbarn, die keine Nachbarn, sondern Spitzel waren. Arbeiterkinder, die studieren mussten und Intellektuellenkinder, die es nicht durften. Klopapier, das nichts aufsaugte, sondern allenfalls verteilte, und das nur deshalb so hart war, „weil auch der letzte Arsch rot” werden sollte. So witzelte man damals, so schreibt es Claudia Rusch. Im Witz aber lag schon der Trost, und also hielt man vieles aus.
Der verschwundene Großvater
Eine schöne Idee ist das. Claudia Rusch, 1971 geboren und an der Ostsee groß geworden, hat sich aufgemacht und ist von Nord nach Süd durch die früheren Bezirke der DDR gereist. Fünfzehn Geschichten sind entstanden, die vom „Aufbau Ost” erzählen wollen. Was ist los mit Ostdeutschland, zwanzig Jahre nach dem Mauerfall? Was ist entstanden, und wie?
Im Jahr 1952 war das sozialistische Deutschland willkürlich in 15 Bezirke eingeteilt worden, was vielleicht der letzte Schnitt war, um den Ostteil Deutschlands endgültig loszulösen von seiner Kriegs- und Vorkriegsgeschichte. Im Bezirk Rostock beginnt die Reise der Autorin. Dort, wo sie das Ende ihres Großvaters recherchiert hat. Er war Kreisratsvorsitzender und Genosse, der wegen „staatsfeindlicher Hetze im schweren Fall” seines Amtes enthoben wurde und in der Untersuchungshaftanstalt der Stasi in Rostock unter ungeklärten Umständen zu Tode kam. Aber, so erfährt Rusch aus den Akten, der Großvater starb nicht allein, es gab einen Zeugen, einen Mithäftling. Vier Tage lang saßen sie zusammen in der Stasi-Zelle. Die Enkelin und dieser Zeuge finden einander, und es beginnt eine Freundschaft, die in der Vergangenheit ankert.
Es geht viel um Vergangenes in Claudia Ruschs Buch, und auch ein wenig um das, was auf dieser Vergangenheit gewachsen ist. Die erste der fünfzehn Geschichten gibt den Ton des Buches vor. Die DDR war eine Diktatur, ein menschenverachtendes System. Man konnte sterben in Stasi-Zellen, ohne je ein Verfahren bekommen zu haben. Wie der Großvater. Jeder wusste, „wie man sich ,richtig‘ verhält und was der Satz ,Den hamse abgeholt‘ bedeutet . . . Wie ein Reflex begleitete Selbstkontrolle jede Handlung in der Öffentlichkeit. Das fiel einem kaum noch auf”. Wer etwas anderes behauptet, sagt Rusch, der lügt. Wer in ihrem Buch den Kuschelstaat oder das Lob der Nische oder ostalgische Ergüsse zu finden hofft, sucht vergebens, genauso wie in ihrem Erinnerungsbuch „Meine freie deutsche Jugend” (2003).
Claudia Rusch wurde hineingeboren in die überschaubare Welt der DDR-Oppositionellen. Bald schon stand sie selbst „auf dem Index”. Als Zehnjährige stempelte ein Lehrer sie in der Schule öffentlich als „faschistische Agentin” ab, weil sie den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen” trug. Der Lehrer unterrichtet heute noch. Politische Bildung, nicht irgendein Fach, an derselben Schule.
Claudia Rusch erzählt das ohne Wut, und dennoch spürt man ihre Verletzung. Sie nennt das: die Banalität des Lebens. Verdrängung gehöre zum Alltag. „Es geht nicht um eine Verdammung des Lebens in diesem Staat, es geht um eine differenzierte Auseinandersetzung mit ihm.” Diese Sätze wurzeln vermutlich in ihrer eigenen Trauerarbeit.
Es ist ein neugieriger, versöhnlicher Blick, mit dem Claudia Rusch das Alte wie das Neue anschaut. Wer die DDR kennengelernt hat, wird vieles wiederfinden. Manches wird zu wärmender Erinnerung. Die Herrnhuter Sterne zum Beispiel, das Bürgel-Geschirr aus dem Bezirk Gera, blau mit weißen Punkten, dem man nachjagte wie der Raufasertapete und Südfrüchten, wenn der Winter kam. Bürgel war Bückware, also nur unter dem Ladentisch zu bekommen. Man hütete es über die Jahre, damit das Unersetzbare ja nicht zu Bruch gehen möge. Heute kann man es überall kaufen, an der Ostsee, in Berlin, in Bürgel selbst.
Auch nach Kahla reist die Autorin. Kahla, einst die Porzellanstadt der DDR. Heute ist sie entvölkert, die Einwohnerzahl fast halbiert, und das Grau, das die Farbe der DDR war, regiert noch immer die Straßen der Stadt. „Ich befand mich in einer Rolle”, schreibt Rusch im Angesicht bröckelnden Putzes, „die ich nie geglaubt hatte, jemals zu spielen: Ich war ein Wessi auf Ostbesuch. Ich stand als Fremde in der DDR.”
Ganz anders ihr Besuch in Halle-Neustadt (früher HA-NEU genannt). Plattenbauten, die eilig hochgezogen worden waren für die Chemiearbeiterfamilien von Buna und Leuna. Von den Zwanzig-Geschossern, die inzwischen oft farbig verkleidet sind, sagt sie: „Sie waren auf ihre Weise schön.”
Halle-Neustadt gilt als sozialer Brennpunkt. Rusch beschreibt auch die menschenleeren Straßen, den Leerstand der Wohnungen. Aber man wünscht sich nicht nur an dieser Stelle mehr als die Beschreibungen des Äußeren. Einmal klingeln an einer Tür. Sich zu einem Rentner auf die Bank setzen. Fragen stellen. Sich auf einem Spielplatz umgucken und den Gesprächen der arbeitslosen Mütter zuhören. Von dem Befinden der Menschen, den Veränderungen, die sich mitmachen mussten, mitmachen durften, will man etwas erfahren. Der Titel „Aufbau Ost” ist schön gewählt, aber dessen programmatischem Charakter wird Claudia Rusch nicht gerecht.
Man erfährt aber viel von dem, was die Autorin selbst beschäftigt. Im Grunde spiegelt sie ihre eigene Vergangenheit an den Haltepunkten ihrer Reise durch Ostdeutschland. In diesen Rückspiegelungen ist ihr Erzählen voller Kraft. Die Beschreibung des Russischunterrichts zum Beispiel. „Ich kenne keinen Ostdeutschen”, schreibt sie, „den man nicht mitten in der Nacht wecken und der trotzdem auf Anhieb sagen könnte, wie das russische Wort für Sehenswürdigkeit lautet: Dostoprimetschatjelnost.”
Vor dem Tor mit Rotem Stern
Auf Verständigung zwischen Sowjetmenschen und DDR-Bürgern war der Unterricht allerdings nicht angelegt. Stark ist die Szene, in der Rusch ein Mädchen aus Potsdam beschreibt, das seine sowjetische Brieffreundin kennenzulernen hofft. Die Gleichaltrige von der Wolga war mit ihren Eltern, der Vater als Offizier, nach Potsdam abkommandiert worden. Endlich, so glaubten die Mädchen, würden sie sich kennenlernen. So nah doch jetzt. Dann steht die Deutsche vor dem Tor mit dem Roten Stern, fragt den Wachsoldaten nach der Freundin. Als sie endlich kommt, können sie gar nicht miteinander reden, dafür reichen die Sprachkenntnisse nicht. Aber die Deutsche versteht durch Gemurmel und Gesten der Freundin, dass sie sich nun nicht mehr schreiben und sich auch nicht sehen dürften. „Die Eltern hatten es verboten. Jetzt, wo man nebeneinander wohnte.”
Das Ende der Reise ist Berlin. Da, wo alles immer im Fluss ist. Man ist gerne mitgereist durch die fünfzehn Bezirke, hat Fertiges bestaunt und Unfertiges bedauert. Dass die Autorin selbst offenbar noch lange nicht fertig ist mit ihrer eigenen Geschichte, spürt man an vielen Stellen des Buches. Ein Glück. Und: Wie könnte es auch anders sein?
RENATE MEINHOF
CLAUDIA RUSCH: Aufbau Ost. Unterwegs zwischen Zinnowitz und Zwickau. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 192 Seiten, 16,95 Euro.
Für Chemiearbeiter errichtet: Halle-Neustadt Foto: Caro / Hechtenberg
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gefallen hat Renate Meinhof die Lektüre dieses Erkundungs- und Erinnerungsbuches zum Thema Ostdeutschland. Claudia Rusch, so erfahren wir, hat sich auf eine Reise durch die früheren fünfzehn Bezirke der ehemaligen DDR gemacht und hierüber fünfzehn Geschichten geschrieben. Darin erinnert sich die Autorin an Absurditäten des Alltags in der DDR, aber, informiert die Rezensentin, Ostalgie sucht man hier vergebens. Ruschs Reise ist eine sehr persönliche, erfahren wir, denn die Autorin versucht unter anderem Licht in die letzten Tage ihres Großvaters zu bringen, der in einem Stasigefängnis in Rostock starb. Auf den verschiedenen Stationen ihrer Reise spiegele sich die Vergangenheit der Autorin, meint Meinhof, die Ruschs Erzählung besonders in diesen "Rückspiegelungen" besonders stark findet. Mit Blick auf den ostdeutschen Alltag zwanzig Jahre nach dem Mauerfall hätte sich die Rezensentin aber weniger Beschreibung und mehr Einblick gewünscht - dem Anspruch einer Verortung der aktuellen Lage Ostdeutschlands wird das Buch so nicht gerecht, meint Meinhof. Dem wohlwollenden Urteil tut dies, scheint es aber, keinen Abbruch.

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