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In Deutschland stehen die Signale auf Veränderung. Wie können die Chancen der Globalisierung genutzt werden? Welche Antworten gibt es auf die Umbrüche in der Arbeitswelt, im Altersaufbau der Bevölkerung, im Wertesystem der Menschen? Wie muß eine neue Balance von Rechten und Pflichten aussehen - in Wirtschaft und Gesellschaft? Bodo Hombach benennt praxistaugliche Alternativen zu Wirtschaftsliberalismus und Dirigismus. Mit guten Argumenten beansprucht er für eine modernisierte SPD das Erbe Ludwig Erhards und den historischen Auftrag zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft. Entstanden ist ein…mehr

Produktbeschreibung
In Deutschland stehen die Signale auf Veränderung. Wie können die Chancen der Globalisierung genutzt werden? Welche Antworten gibt es auf die Umbrüche in der Arbeitswelt, im Altersaufbau der Bevölkerung, im Wertesystem der Menschen? Wie muß eine neue Balance von Rechten und Pflichten aussehen - in Wirtschaft und Gesellschaft? Bodo Hombach benennt praxistaugliche Alternativen zu Wirtschaftsliberalismus und Dirigismus. Mit guten Argumenten beansprucht er für eine modernisierte SPD das Erbe Ludwig Erhards und den historischen Auftrag zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft. Entstanden ist ein Ideenbuch für die gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Erneuerung, ein Plädoyer für einen "aktivierenden" Staat, der den Bürgern zur Seite steht. Der Vergleich mit den Reformstaaten in Europa zeigt: Das Jahrhundert einer erneuerten Sozialdemokratie hat begonnen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.1998

Hombachs zweites Godesberg
Schröders Wirtschaftsberater will der verteilungswütigen SPD eine marktwirtschaftliche Therapie verpassen

Bodo Hombach: Aufbruch. Die Politik der Neuen Mitte. Econ Verlag, Düsseldorf 1998. 229 Seiten, 39,80 Mark.

Viele waren überrascht, einige schockiert. Mitten während der Koalitionsverhandlungen prescht Bodo Hombach mit einem in Buchform gegossenen Plädoyer für einen Befreiungsschlag in der Sozial- und Steuerpolitik nach vorne. Hombachs Entwurf der Politik der neuen Mitte darf hohe programmatische Bedeutung für die SPD zugerechnet werden, da er als amtierender Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen und designierter neuer Kanzleramtsminister zu den einflußreichen Sozialdemokraten und Beratern Schröders zählt.

Was Hombach in seinem Buch einfordert, ist ureigenes Gedankengut der Sozialen Marktwirtschaft und damit eigentlich nichts Neues. Doch sei es notwendig, sich auf die ursprünglichen Ideale der Sozialen Marktwirtschaft zu besinnen, und zwar ganz im Sinne des Diktums von Ludwig Erhard: "Die Probleme unserer Volkswirtschaft werden nicht durch Division, sondern durch Multiplikation des Sozialprodukts gelöst." Denn wirtschaftliche Prosperität muß zunächst gesichert sein, damit erfolgreich Sozialpolitik betrieben werden kann. Hombach setzt also auf einen "dritten Weg" zwischen einer soziallistischen Umverteilungs- und Planungswirtschaft und einer Wirtschaftspolitik ohne jedes sozialpolitische Korrektiv. Pragmatismus statt (Verteilungs-)Ideologie lautet sein Credo. Bei dieser "Ethik der Tat" schimmert auch Sympathie für struktur- und industriepolitische Interventionen durch. So ganz traut Hombach dem Markt doch nicht. Dies erklärt auch die großen Hoffnungen, die Hombach wie auch Schröder in ein neues Bündnis für Arbeit setzen. Dabei gibt Hombach zu bedenken, daß Ziel eines Bündnisses für Arbeit zuvörderst "eine übereinstimmende Einschätzung der Lage und Handlungsperspektiven" bei Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften sein müsse, während es nur durch viele dezentraler Bündnisse verwirklicht werden könne. Dafür müßten Formen des "institutionalisierten Vertrauens" entwickelt werden. Die niederländische "Stiftung für Arbeit" sei hierfür ein gutes Beispiel. Notwendig sei ein langer Atem, kurzfristige Erfolge seien nicht zu bekommen.

Hombach sieht gerade in der neuen Flexibilität der Flächentarifverträge ein Beispiel für das neue deutsche Modell, für das Profil eines Bündnisses. Die Tarifparteien seien auf dem besten Weg, einen neuen Konsens zu finden, alte ideologische Fronten zu überwinden.

Nach Hombachs Ansicht führt kein Weg zur Politik der Verteilung zurück. Gerechtigkeit heißt für ihn, daß jeder den größten Teil dessen, was er durch eigene Kraft verdient, in der eigenen Tasche behalten kann. Die Kaufkraft zu steigern und die Binnenkonjunktur zu stärken könne nur durch ein Schließen der Brutto-netto-Schere gelingen. Gleichheit nicht auf der Ziellinie, sondern am Startblock sei richtig verstandene Gleichheit. Die soziale Komponente des Wirtschaftssystems sei kein "Rundum-sorglos-Staat", sondern ein Staat, der die Menschen durch soziale Sicherung befähigen soll, Risiken zu übernehmen und angemessen auf Veränderungen zu reagieren. Der Sozialstaat müsse zum Trampolin in den ersten Arbeitsmarkt werden, nicht zur Hängematte degenerieren.

Zur Rente, zu Einfach-Jobs, zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und zur Steuer scheinen bemerkenswerte Einsichten auf. Hombach zeigt, daß es mit einem "Weiter so" in der Rentenversicherung nicht getan ist, auch nicht mit kleinen Korrekturen. Der demographische Sprengsatz zwingt zu einer Mischung von umlagefinanzierten und kapitalgedeckten Rentenbausteinen. Die Sicherung des Lebensstandards im Alter kann von der gesetzlichen Rentenversicherung allein nicht mehr erwartet werden.

Die schlichten ökonomischen Wahrheiten machen für Hombach Veränderungen im System der Altersvorsorge dringend notwendig. Da ist die Rede vom holländischen Cappuccino-Modell, mit auf staatlicher Garantierente aufbauenden Ergänzungen durch betriebliche und private Eigenvorsorge (Sahne + Schokostreusel). Doch im Kaffeedunst verschwimmt die Trennlinie zwischen steuerfinanzierter Grundrente und beitragsfinanzierter Volksversicherung. Hier hätte Hombach konkreter werden und über den Begriff der "Garantierente" hinausgehen müssen. Eines allerdings wird klar: Geht die politische Reise in Richtung der von der SPD im Wahlkampf angedrohten Rücknahme der Reformen, dann wäre dies angesichts der Hombachschen Analyse völlig absurd; der Kanzleramtsminister Hombach und Wirtschaftsberater Schröders würde vorgeführt.

Erstaunliches ist bei Hombach auch zum Thema Einfach-Jobs im Niedriglohnbereich zu lesen, einem Thema, an das Sozialdemokraten und Gewerkschaftsfunktionäre bisher nicht zu rühren wagten. Da ist die Rede von einer höheren Durchlässigkeit zwischen Sozialsystem und Arbeitsmarkt, von der Diffamierung amerikanischer Beschäftigungserfolge und davon, daß man vom amerikanischen Beispiel lernen müsse. Wir lesen von einem erhöhten Druck, der auf Hilfeempfänger ausgeübt werden muß, und von der Notwendigkeit einer Debatte um die Frage, ob nicht jeder beliebige Job besser ist als gar keiner. Es wird eine Versachlichung der Diskussion um die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse gefordert, ihr Stellenwert als Chance gerade auch für geringer Qualifizierte und Langzeitarbeitslose hervorgehoben.

Hombach spricht sich auch für jenes "Kombi-Einkommen" aus, das die Arbeitgeber vor etwa eineinhalb Jahren als Instrument einer modernen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik entwickelt haben. Dieser pragmatische Ansatz gefällt Hombach, und es ist daher nur folgerichtig, daß er ihn gegen die Attacken aus dem sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Lager verteidigt. Dieses "Ja" zum Kombi-Einkommen paßt zu Hombachs Gedanken zu einem flexibleren Arbeitsmarkt. Allerdings werden von ihm Schritte wie Befristung, Zeitarbeit und Eingliederungshilfen genannt, die zum großen Teil von der noch amtierenden Regierung schon verfolgt worden sind und von der SPD oft erbittert bekämpft wurden. Dies gilt etwa für die Reform der Arbeitnehmerüberlassung, die Reform der Arbeitsförderung und die Sozialhilfereform.

Wenn Hombach die konzeptionslose Erhöhung des kündigungsschutzrechtlichen Schwellenwertes beklagt, dann liegt er insofern richtig, als die notwendigen Änderungen im Arbeitsrecht nur im Zusammenhang mit einer Gesamtkonzeption der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes diskutiert werden dürfen. Es gehört dann aber auch zur Ehrlichkeit zu sagen, daß gerade die von der alten Regierung durchgesetzten Reformen der Zeitarbeit, der Arbeitsförderung und der Sozialhilfe richtig waren und genau diese Gesamtkonzeption verfolgt haben.

Besonders bemerkenswert sind schließlich Hombachs Gedanken zu einer Ökosteuer. Die rot-grünen Koalitionäre können bei ihm nachlesen: "Die Gewohnheit, über Steuern zu steuern, muß aufgegeben werden." Würde dies zur Leitlinie der Steuerpolitik der neuen Regierung, dann wäre dies schlicht das Ende für alle Gegen- und Umverteilungspläne über Öko-, Energie- und sonstige Lenkungssteuern; die derzeit stattfindenden Koalitionsverhandlungen wären zum Scheitern verurteilt. Auf dem Weg zur "neuen Mitte" blieben nur die dringend notwendigen Strukturreformen in den sozialen Sicherungssystemen und die konsequente Beseitigung von Subventions- und Steuerausnahmetatbeständen übrig. Dies alles fordert Hombach und bietet so ein durchaus geschlossenes Konzept.

Es ist gleichzeitig die Absage an die Globalsteuerung über ein fiskalpolitisches Instrumentarium: "Von der Vorstellung schnell wirksamer und alleinseligmachender keynesianischer Rezepte haben sich die meisten längst verabschiedet." Doch nach wie vor träumen viele in der SPD den Traum der siebziger Jahre, den Traum der Globalsteuerung über Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik. Einer Angebotspolitik, auch einer rotlackierten à la Hombach, werden sie wenig Charme abgewinnen können. Denn Angebotspolitik versucht immer, Beschäftigungshemmnisse in der realen Welt der Nicht-Statistik zu beseitigen. Deregulierungen und Flexibilisierungen, Privatisierungen und Bürokratieabbau lassen sich eben nur schwer auf den Reißbrettern des Finanzministeriums abbilden.

Hier zeigt sich ein grundsätzlicher Gegensatz zur SPD-Politik. Obwohl Hombach in vielen Fällen Konkretisierungen vermeidet und damit das parteipolitische Porzellan weitestgehend unversehrt lassen will, ist er vom SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler schon im Vorfeld der Buch-Veröffentlichung scharf kritisiert worden. Er könne die strategische Kompetenz hinter Hombachs Thesen nicht erkennen, monierte Dreßler. In der Wahlplattform stehe das Gegenteil von dem, was Hombach schreibe.

Es klafft also eine beträchtliche Lücke zwischen der alten SPD und Hombachs Aufbruch. Dies weiß Hombach und fordert die SPD zur Modernisierung auf. Als Vorbild müsse "New Labour" dienen, das für eine politische Veränderungskultur jenseits alter Rituale stehe, eine Kultur, die sich dem Autor zufolge in der SPD vorerst nur zaghaft und planlos entwickelt. Hombach schreibt dazu: "Wer in der heutigen Zeit noch zu hundert Prozent hinter jedem Beschluß und zur Parteiprogrammatik in jedem Nebensachverhalt steht, ist ein Fall für die Therapie und nicht für den politischen Diskurs."

Das ist - kaum verbrämt - die Kampfansage Hombachs an die SPD-Programmatik und die in ihr nach wie vor dominierende Verteilungsideologie. Hierwird lieber dividiert als multipliziert; Arbeit soll geteilt werden, genauso wie Einkommen und Vermögen. Die Frage wird sein: Steht Hombach mit seiner Meinung allein oder ist er Schröders neuer programmatischer Kopf, der wirtschaftspolitische Vordenker der SPD? Im Interesse unseres Landes, seiner Unternehmen und seiner Beschäftigten ist zu hoffen, daß Hombachs Buch einen Blick auf eine neue, marktorientierte sozialdemokratische Wirtschaftspolitik erlaubt. Kann Hombach sich durchsetzen, dann kann die SPD ihre zweite marktwirtschaftliche Erneuerung, ihr "zweites Godesberg" bewältigen.

DIETER HUNDT

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