Jahrzehntelang hat Tim Guldimann als Unterhändler und Schweizer Botschafter in Konflikten vermittelt. Er ist kein Mann der leisen Töne und ist damit oft angeeckt, verfügt aber über enorme Erfahrung: Er war Vermittler im Ersten Tschetschenienkrieg, Leiter der OSZE-Missionen in Kroatien und im Kosovo, Botschafter in Teheran und Berlin. Nun zieht er Bilanz - im Interview nimmt er ausführlich Stellung zu den drängenden Problemen unseres Landes: die Schweiz als Heimat und ihr Verhältnis zur EU, ihre Weltoffenheit, das Neutralitätsdogma und die Schwierigkeit, sich als Migrationsgesellschaft zu verstehen. Seine klaren Worte zeigen, warum Guldimann die derzeit profilierteste Stimme der Schweizer Politik ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2016Querdenker
Eidgenosse Guldimann
Tim Guldimann, Botschafter der Schweiz in der Bundesrepublik Deutschland von 2010 bis 2015, stieg am Ende seiner Dienstzeit in die Politik ein. Bei den Eidgenössischen Wahlen vom Oktober 2015 wurde er - weiterhin in Berlin lebend - für die Schweizer Sozialdemokraten in den Nationalrat gewählt. In einem schon Mitte 2015 abgeschlossenen Interview-Buch mit zwei Schweizer Journalisten nahm Guldimann ausführlich zu seinen diplomatischen Posten und zu aktuellen Fragen Stellung. Deutlich hervor tritt die selbstgewählte Rolle des idealistischen und scharfzüngigen Querdenkers, der bei seinen Vorgesetzten im Berner Außendepartement des Öfteren aneckte. Politisch treibt ihn das Selbstverständnis und die Außendarstellung der Schweiz um. So kritisiert er eine "Verzwergung" seines Landes mit dem Ziel, sich unter Verweis auf angebliche Unbedeutsamkeit internationalen Aktivitäten zu entziehen. Des Weiteren hält er es für symptomatisch, dass sich die Schweiz im Rahmen der UN mit Singapur, Jordanien, Costa Rica und Liechtenstein zur Gruppe der "Small 5" zusammenschloss. Recht provokant, aber anschaulich wirkt das von Guldimann entworfene Bild, wonach mit Blick auf die heutigen Abgrenzungstendenzen die "Karte von 1941/42 mit der rundherum von den Achsenmächten eingeschlossenen und bedrohten Schweiz" im kollektiven helvetischen Bewusstsein noch immer den historischen Bezugspunkt bildet. Was das Verhältnis der Schweiz zur EU betrifft, so gehört Guldimann zur schwindenden Zahl der Beitrittsbefürworter, hält jedoch einen solchen Schritt aktuell nicht für möglich. Vielmehr gelte es zu verhindern, dass das Verhältnis zu Brüssel durch rechte "Abschottungspopulisten" nachhaltig beschädigt werde. Daher solle doch zunächst durch einen Rahmenvertrag mit der EU der bilaterale Weg gesichert werden.
PHILIP ROSIN
Tim Guldimann: Aufbruch Schweiz! Zurück zu unseren Stärken. Ein Gespräch. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2015. 160 S., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eidgenosse Guldimann
Tim Guldimann, Botschafter der Schweiz in der Bundesrepublik Deutschland von 2010 bis 2015, stieg am Ende seiner Dienstzeit in die Politik ein. Bei den Eidgenössischen Wahlen vom Oktober 2015 wurde er - weiterhin in Berlin lebend - für die Schweizer Sozialdemokraten in den Nationalrat gewählt. In einem schon Mitte 2015 abgeschlossenen Interview-Buch mit zwei Schweizer Journalisten nahm Guldimann ausführlich zu seinen diplomatischen Posten und zu aktuellen Fragen Stellung. Deutlich hervor tritt die selbstgewählte Rolle des idealistischen und scharfzüngigen Querdenkers, der bei seinen Vorgesetzten im Berner Außendepartement des Öfteren aneckte. Politisch treibt ihn das Selbstverständnis und die Außendarstellung der Schweiz um. So kritisiert er eine "Verzwergung" seines Landes mit dem Ziel, sich unter Verweis auf angebliche Unbedeutsamkeit internationalen Aktivitäten zu entziehen. Des Weiteren hält er es für symptomatisch, dass sich die Schweiz im Rahmen der UN mit Singapur, Jordanien, Costa Rica und Liechtenstein zur Gruppe der "Small 5" zusammenschloss. Recht provokant, aber anschaulich wirkt das von Guldimann entworfene Bild, wonach mit Blick auf die heutigen Abgrenzungstendenzen die "Karte von 1941/42 mit der rundherum von den Achsenmächten eingeschlossenen und bedrohten Schweiz" im kollektiven helvetischen Bewusstsein noch immer den historischen Bezugspunkt bildet. Was das Verhältnis der Schweiz zur EU betrifft, so gehört Guldimann zur schwindenden Zahl der Beitrittsbefürworter, hält jedoch einen solchen Schritt aktuell nicht für möglich. Vielmehr gelte es zu verhindern, dass das Verhältnis zu Brüssel durch rechte "Abschottungspopulisten" nachhaltig beschädigt werde. Daher solle doch zunächst durch einen Rahmenvertrag mit der EU der bilaterale Weg gesichert werden.
PHILIP ROSIN
Tim Guldimann: Aufbruch Schweiz! Zurück zu unseren Stärken. Ein Gespräch. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2015. 160 S., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main