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Obwohl bescheiden an Größe und Zahl, konnten Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen in der DDR durch ihre Aktivitäten in den achtziger Jahren einen öffentlichen Raum für freie kritische Diskussionen schaffen. Sie senkten die Hemmschwellen der Kritik am SED-Regime, benannten seine Schwächen und Defizite und trugen so wesentlich zur Wende bei. Der Autor dieses Buchs gibt nicht nur einen Überblick über die Basisgruppen und Bürgerbewegungen der DDR, sondern lotet auch die Umstände aus, durch welche die kleinen Gruppen im Herbst 1989 das Ende der SED-Herrschaft einleiteten.

Produktbeschreibung
Obwohl bescheiden an Größe und Zahl, konnten Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen in der DDR durch ihre Aktivitäten in den achtziger Jahren einen öffentlichen Raum für freie kritische Diskussionen schaffen. Sie senkten die Hemmschwellen der Kritik am SED-Regime, benannten seine Schwächen und Defizite und trugen so wesentlich zur Wende bei. Der Autor dieses Buchs gibt nicht nur einen Überblick über die Basisgruppen und Bürgerbewegungen der DDR, sondern lotet auch die Umstände aus, durch welche die kleinen Gruppen im Herbst 1989 das Ende der SED-Herrschaft einleiteten.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2001

Die Achtung vor den Mutigen
Warum scheiterte die DDR-Opposition im Herbst 1989?

Patrik von zur Mühlen: Aufbruch und Umbruch in der DDR. Bürgerbewegungen, kritische Öffentlichkeit und Niedergang der SED-Herrschaft. Reihe Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Band 56. Verlag J. H. W. Dietz, Bonn 2000. 304 Seiten, 44,- Mark.

Die informellen Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit in der DDR hatten es schwer. Um spitzeln zu können, mußten sie besonders aktiv in der Gruppe sein, in der sie Opposition witterten und die sie ebendeshalb bespitzeln sollten. Auf diese Weise halfen sie, das Anliegen der Gruppe weiterzuverbreiten und neue Verbündete zu finden. Je mehr Freunde es wurden, je mehr neue Gruppen der Opposition in der DDR entstanden, desto mehr IM wurden gebraucht. Was sie bekämpfen sollten, haben die IM groß gemacht. Was sie fest im Blick hatten, wurde unübersichtlich. Als sie ihrer Aufgabe nicht mehr gewachsen waren, brach das Chaos aus und zog sie mit in den historischen Abgrund.

Das Schicksal derjenigen, gegen die sich der Einsatz der IM richtete, war dem der Spitzel ähnlich. Viele Jahre lang traten die Bürgerrechtler, wie sie kurz genannt werden, mutig für eine pluralistische und demokratische, eine offene Gesellschaft ein. Sie meinten dabei aber stets die DDR. Sie wollten einen besseren Sozialismus, weil sie sich eine Welt ohne DDR und ohne DDR-Sozialismus nicht vorstellen konnten. Sie haben das erreicht, was sie auf keinen Fall wollten: die deutsche Einheit, noch dazu eine Einheit, die auf dem Anschluß der DDR an die Bundesrepublik beruht.

Aktenweise hat die Staatssicherheit die erste und gründlichste Geschichte der Opposition in der DDR geschrieben. An dem Werk kommt keiner vorbei, der über dieses Thema forscht. Manche Facette dessen, was man der Einfachheit halber Opposition nennt, wäre möglicherweise gar nicht bekannt, hätte die Staatssicherheit sie nicht notiert. Sie hat einerseits auf vergleichsweise harmlosen Treffen in den kirchlichen Umweltgruppen "feindlich-negative Kräfte" in Fülle ausgemacht und so kritischen Geistern erst das Bewußtsein gegeben, sie seien wohl Oppositionelle. Sie hat andererseits die wirklichen Gefahren für das SED-Regime nicht erkannt, etwa das Fanal, das von der massenhaften Flucht aus der DDR im Sommer 1989 ausging oder von der Kommunalwahl im Mai 1989 mit ihren offensichtlich gefälschten Ergebnissen. Die Staatssicherheit konnte auch nicht erkennen, daß ihre unberechenbare Wirkung die Oppositionellen zusammenrücken ließ und Leute dabei zu Verbündeten wurden, die davon heute besser nichts mehr wissen wollen.

Bedenkt man all diese DDR-typischen Vertracktheiten, dann stellt sich die Frage: Lohnt es überhaupt, eine Geschichte der DDR-Opposition zu schreiben? Mit dem Wissen, daß die DDR friedlich untergegangen ist und die Macht der Partei sich unvorhersehbar schnell und lautlos aufgelöst hat, neigt man zu vorlauten Urteilen. Lohnt es noch, über die Umweltgruppen Anfang der achtziger Jahre nachzudenken, über all die Friedensbewegten mit ihren Aufnähern "Schwerter zu Pflugscharen" am grünen Parka? Wozu noch an die Bluesmessen in den Kirchen denken, denen die Staatssicherheit wohl mehr politische Inhalte angedichtet hat, als die Bluesfans tatsächlich darin sahen?

Wem sagt der Protest von DDR-Künstlern gegen die Ausweisung des Sängers Wolf Biermann heute noch etwas, ein Protest, der nichts weiter war als eine vorsichtige Bitte im Christa-Wolf-Ton? Und was soll es lohnen, über die Opposition innerhalb der SED nachzudenken, über Leute wie Konrad Naumann oder Markus Wolf, die nur die Honecker-Macht durch ihre eigene Macht hätten ersetzen wollen? Und schließlich gar: Waren jene Kritiker des SED-Regimes von Rudolf Bahro über Wolfgang Ullmann bis zu Markus Meckel oder Rainer Eppelmann nicht sowieso Leute, die immer gegen die Macht sind, ob sie nun von der SED oder heute von den arrivierten Parteien der Westdeutschen ausgeübt wird?

All jenen, in deren Leben die Ausweisung Biermanns mit ihren bekannten Folgen, die Selbstverbrennung von Pfarrer Brüsewitz, der Sturm der DDR-Staatssicherheit auf die Umweltbibliothek in der Zionskirche oder das Verbot der sowjetischen Zeitschrift "Sputnik" eine Rolle gespielt haben, bleibt die Achtung vor den Mutigen, die sich immer offener gegen das SED-Regime aufgelehnt haben. Patrik von zur Mühlens Studie über den Auf- und Umbruch in der DDR versucht eine gerechte Würdigung von den vorsichtigen Anfängen in der Umweltbewegung an bis hin zur unmißverständlich gestellten Machtfrage spätestens mit der Gründung der SDP im brandenburgischen Schwante. Er schaut dabei in den kleinsten Winkel, man folgt ihm überallhin mit wachsender Spannung. Am Schluß steht eine kühle Analyse, weshalb die DDR-Opposition letztlich gescheitert ist: In den entscheidenden Tagen im Herbst 1989 nahmen andere ihr das Heft aus der Hand, so daß ihr die DDR abhanden kam, "weil ihre Meinungsführerschaft nur auf vorübergehender Interessenkoinzidenz mit der Bevölkerung beruhte". Nicht das Neue Forum gewann die erste freie Volkskammerwahl, sondern die CDU, die ein paar Wochen zuvor noch Blockpartei der SED gewesen war.

Und dennoch: Was wohl hätte jener Herbst vor elf Jahren gebracht, hätten nicht beherzte Bürgerrechtler, die fast alle aus der Kirche kamen, sich an die Spitze der ersten Demonstrationszüge gestellt? Daß wenigstens Namen wie Marianne Birthler, Vera Lengsfeld, Jens Reiche, Rainer Eppelmann, Gerd Poppe oder Steffen Reiche in Deutschland bekannt geworden sind, ist ein Akt höherer Gerechtigkeit. Und, so gesehen, ist auch von zur Mühlens beeindruckende Studie ein Akt der Gerechtigkeit.

FRANK PERGANDE

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Die Wiederholungen und das Fehlen anschaulicher Beispiele haben Jürgen Schmidt eine schwere Verdauung beschert. "Keine leichte Kost", meint er in seiner kurzen Kritik. Trotzdem sei es ein Verdienst des Autors, die umfangreiche Literatur zur DDR-Bürgerbewegung zu einer "Synthese destilliert" zu haben. Der Rezensent hebt hervor, dass der Autor keine Heldengeschichten erzählt, also auch die Schwächen der Bürgerbewegung darstellt und nüchtern bilanziert.

© Perlentaucher Medien GmbH