Schwierig, wenn die Sehnsucht nicht weiß, wo sie hin will
Im zweiten Teil der böhmischen Familiensaga geht es weiter mit Erika und ihren Freunden aus
Hohenfurth. Aus der Heimat von den Tschechen als Deutsche vertrieben oder verstreut durch den
Krieg und die Kriegsgefangenschaft, verläuft die
Geschichte noch stärker als im erster Teil
mehrsträngig. Im Mittelpunkt stehen immer noch Erika und ihr…mehrSchwierig, wenn die Sehnsucht nicht weiß, wo sie hin will
Im zweiten Teil der böhmischen Familiensaga geht es weiter mit Erika und ihren Freunden aus
Hohenfurth. Aus der Heimat von den Tschechen als Deutsche vertrieben oder verstreut durch den
Krieg und die Kriegsgefangenschaft, verläuft die Geschichte noch stärker als im erster Teil
mehrsträngig. Im Mittelpunkt stehen immer noch Erika und ihr steiniger Weg in eine Zukunft
zwischen Wien und München und wieder Wien, zwischen verschiedenen Männern aus der
Vergangenheit und Gegenwart und zwischen verschiedenen Rollen als Apothekerin, als Künstlerin,
als Mutter. Stets begleitet wird sie von treuen Freundinnen, teil aus Hohenfurth, teils aus ihrem
neuen Leben. Es geht um Familie, um Liebe, um Aufbruch, um Heimkehr, um Rache, Eifersucht
und sogar Mord. Aus der böhmischen wird eine wienersiche, dann eine münchnersiche und
schließlich wieder eine wienerische Familiengeschichte.
Und das ist letztlich, worin meiner Meinung nach das größte Problem dieser Reihe besteht. Die
Autorin kann sich genauso wenig entscheiden wie die Protagonistin. Sie möchte ihr alle
Möglichkeiten lassen und damit wird wenig stimmig. Ihren irrationalen Gefühlsschwankungen
zwischen Heimatverlust und neuer Verwurzelung, zwischen den verschiedenen Männern, häufig
innerhalb weniger Seiten, führte bei mir während des Lesens zu Erstaunen, zu Belustigung, aber
auch zu Unwillen und Ärger, weil ich mich als Leser sich nicht ernst genommen fühlte und das
Gefühl hatte, man könne mir alles vorsetzen, es werde mir im Gefühlstaumel schon nicht auffallen.
Was die Protagonistin an Widersprüchlichkeit als vermeintlichem Ausdruck von Vielschichtigkeit
zu viel hat, fehlt insbesondere den „bösen“ Gegenspielern: Diese sind zum Teil derart
eindimensional, dass sie entweder zur Karikatur ihrer selbst oder zur Groteske geraten. So wirkt die
auf verschiedene Art unglückliche Beziehung zwischen dem „schwulen“ Hann und der Liesl, die
auf der ein Seite männermordender Vamp und zugleich bodenlos naiv ist, geradezu komisch. Liesl
dient Hanns als Alibi-Ehefrau, ohne es zu wissen, sodass er nun das Problem hat, ihr trotz seiner
homoerotischen Neigungen zu „Liebesdiensten“ zu sein, was er durch das Spielen eines
Akkordeons, das er bei Annäherungsversuchen zwischen sich und Liesl schiebt, zu verhindern
sucht!?!
Auf der anderen Seite gibt es die bösen Nazi-Schergen, die schon von ihrer Physiognomie her
abstoßend sind und darüber hinaus psychopathologische Züge tragen. So wird Dieter Kurzmann
von der Tatsache, als Junge mit der Mutter aus Mangel an Gegebenheiten das Bett teilen zu müssen,
durch dieses Kindheitstrauma in die Arme des aus Band eins schon bekannten Sadisten Coelestin
getrieben und entwickelt ein mehr als gestörtes Verhältnis zu seinen Mitmenschen, dessen Ursache
hier aus Spannungsgründen nicht verraten werden soll.
Geradezu pietätlos erscheint es, wenn dieser Kurzmann auf der Flucht vor seiner Vergangenheit in
einem Braukeller (!) in Argentinien auf alte Gesinnungsgenossen trifft, die sich in betrunkenem
Zustand mit ihren Gräueltaten in den Konzentrationslagern brüsten. Ungeachtet der Tatsache, dass
diese dunkle Zeit von unermesslicher Brutalität gegen die Opfer war und dass es sicher auch
Menschen gab, aus denen diese Zeit die dunkelsten und primitivsten Triebe hervorgelockt hat,
denke ich, dass diese Episoden weder den Tätern noch den Opfern gerecht werden. Mir auf jeden
Fall waren sie anstößig.
Auch fehlt mir häufig der historische Bezug. Zwar wird anfänglich das Leid der Nachkriegszeit
kurz eingestreut, wenn Hunger oder Kälte oder die Schwierigkeit mit den Behörden bei der
Neuregelung des Lebens erwähnt werden. Aber auch hier folgt auf Kälte eine Seite später das Sitzen
am warmen Ofen, auf Hunger wenige Zeilen weiter der leckere Braten zu Weihnachten am festlich
gedeckten Tisch im Jahre 1946 (!). So lebt der Leser sich nicht in die Zeit ein. Gleichsam mit Erika
eingesponnen in ihren Gef