Hemingway bezeichnete Robert Lowry, das "Wunderkind" der amerikanischen Literaturszene, als "das größte aller Talente". Eine Auswahl von Lowrys besten short stories, die in den vierziger Jahren entstanden sind - Miniaturen der Grausamkeit, in denen die großen Themen seiner Romane wiederkehren: Liebe, Tod, Wut, Verzweiflung, geschrieben mit Leidenschaft und schwarzen Humor.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.04.1997Der Wille zur Tragik
Die letzten Taten Robert Lowrys: Zum Abschluß der Werkausgabe
Als Robert Lowry vor drei Jahren in Cincinnati starb, hatte die Literaturgeschichte ihn schon lange vergessen. "Das größte aller Talente" - so hatte Hemingway seinen jungen Kollegen genannt - war nach einigen vielbeachteten Büchern, wie man so sagt, verstummt. Das heißt, er schrieb zwar noch, aber niemand wollte ihn mehr drucken. Er galt als geisteskrank und tat wenig, um diesen Eindruck zu entkräften. Die Neu- und deutsche Erstauflage seiner Werke im Rogner & Bernhard Verlag sollte er nicht mehr erleben. Nach zwei beachtlichen Romanen - "Tag, Fremder" und "Die falsche Sanftmut des Schnees" (siehe F.A.Z. vom 1. Oktober 1996) - folgen dort jetzt ein weiterer Roman und ein Band mit Erzählungen.
Der Erzählungsband "Aufenthalt in El Paso" gibt einen Querschnitt durch Lowrys frühe Arbeiten aus den vierziger Jahren und enthält neben mehreren Glanzstücken auch Gelegenheitsarbeiten. Robert Lowry teilte das Lebensgefühl der "lost generation", in die er, Jahrgang 1919, längst nicht mehr gehörte. Er hatte nichts verloren, als er jung mit dem Schreiben begann, und er hatte nicht viel erlebt. In seinen frühen Geschichten herrscht ein Wille zur Tragik, dem die Stoffe fehlen. Eine Mutter, die ihre Tochter mit ihrer Liebe erdrückt, ein Mädchen, das einem Nachbarsjungen beim Spielen den Arm bricht, eine junge Frau, die beim Trampen vergewaltigt wird - das nimmt sich aus wie mühsam zur Kurzgeschichte aufgewerteter Klatsch. Man spürt, wie die Erfahrung des Kriegs Lowrys Schreiben aufwertet, seinem Gefühl der Deformation Grund gibt.
Seine besten Erzählungen, darunter die hervorragende Titelgeschichte, schildern den Soldaten, der Zivilist sein darf und nicht mehr kann, der in immer neuen Abenteuern und Zechgelagen das Gefühl der Leere zu überwinden sucht. Aus Lowrys traurigem Lebensweg wissen wir, daß dieses Problem sein eigenes war, und zwei Dinge fallen auf: die Idealisierung des autobiographischen Helden und die Schuldzuweisungen an das "System".
Verzeihliche Eitelkeit, könnte man meinen, wäre da nicht der 1959 erschienene Roman "Lebendig begraben", der nun scheinbar etwas ganz anderes behandelt. In Wahrheit vollendet er Lowrys Versuch einer Umdichtung seiner Existenz: Ohne daß er etwas Böses getan hätte, wird der Redakteur James Ramsey in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Was als Schikane eines Dorfsheriffs beginnt, wird rasch tödlicher Ernst, denn niemand glaubt ihm, daß er gesund ist. Er erhält Elektroschocks und Insulinspritzen, die ihn mit der Zeit tatsächlich um den Verstand bringen. Einmal gelingt es ihm zu fliehen; doch seine karrierehungrige Frau verrät ihn an die Polizei. Die Behandlung setzt sich fort und endet schließlich mit seinem Tod.
Robert Lowry behandelt in diesem Roman den Wendepunkt seiner eigenen Biographie. Er selbst wurde 1952 in eine Anstalt eingeliefert, freilich nicht als Opfer behördlicher Willkür, sondern als gewalttätiger Trinker mit Anzeichen der Schizophrenie. Auch entließ man ihn wieder; doch sollte er noch oft in die örtliche Klinik zurückkehren, wo er auch, zuletzt ohne festen Wohnsitz, vierzig Jahre später starb. Wenn diese Erfahrung Lowrys Leben zerstörte, dann beendete der Roman, der davon handelt, seine Karriere als Schriftsteller. Denn James Ramsey kämpft nicht nur gegen die Behörden. Sein wahrer und unbesiegbarer Feind ist das verschworene Judentum. Überall dort, wo jemand ihm übel will, fällt ein jüdischer Name.
"Lebendig begraben" ist ohne jeden Zweifel ein antisemitischer Roman. Und ist es auch kein agitatorischer Antisemitismus mit benennbarem Ziel, so doch eine ins Krankhafte gesteigerte Borniertheit, die den Holocaust vor allem als Einschränkung der eigenen Redefreiheit wahrnimmt. Lowry, der gegen die Nazis gekämpft hat, will sich von niemandem vorschreiben lassen, was er über die Juden sagt. Zwar fragt sich sein Held immer wieder selbst, ob er nicht den Verstand verloren hat. Doch die jüdischen Seilschaften, vor denen er sich fürchtet, existieren in diesem Buch tatsächlich. Ramsey verliert seine Frau an einen triebhaften jüdischen Liebhaber, der sie prompt an seine "Landsleute" im Showgeschäft weitervermittelt. Auch die Psychiater, die ihn behandeln, sind Juden.
Von der Sexualangst bis zum Verfolgungswahn ist hier alles beisammen, was den pathologischen Antisemitismus ausmacht. Hans G. Helms versucht in einem fahrigen Nachwort, diesen Vorwurf herunterzuspielen, und entblödet sich dabei nicht, die Schockbehandlung, die Robert Lowry angedieh, mit den Experimenten der SS-Ärzte zu vergleichen. Nur dadurch sei er zeitweilig zum Antisemiten geworden. Das glaube, wer will. Für eine literarische Würdigung ist es ohnehin belanglos. Denn "Lebendig begraben" ist einfach ein schlechtes Buch, eine mühsam fiktionalisierte Klageschrift gegen die Schlechtigkeit der Welt, die nur aus dem Furor ihre Kraft bezieht. Als vierter und letzter Band einer Auswahlausgabe ist die Veröffentlichung dennoch zu vertreten. Wer "Tag, Fremder" oder eine andere von Robert Lowrys besten Erzählungen gelesen hat, möchte wissen, was aus dem Mann geworden ist, der beinah ein großer Schriftsteller geworden wäre - eine Neugier, die "Lebendig begraben" recht gründlich stillt.
Moralische Einwände kann man dagegen schlecht erheben. Das Buch ist kaum geeignet, antisemitische Regungen zu nähren. Zu deutlich zeigt es am eigenen Fall den Zusammenhang von Rassenwahn und Paranoia. Man darf sich allerdings fragen, ob es gerade dem deutschen Leser ansteht, mit kalter Neugier den Antisemitismus eines gemütskranken Amerikaners zu studieren. Wer hier keine Bedenken hat, findet ein Dokument geistiger Zerrüttung, das sich dennoch in die konventionelle Romanform fügt. So etwas ist selten, und noch seltener ist, daß ein Verlag den Mut hat, aus Interesse an einem Dichter ein so bizarres, hoffnungslos unverkäufliches Buch zu verlegen. MICHAEL ALLMAIER
Robert Lowry: "Aufenthalt in El Paso". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Antje Landshoff und Carl Weissner. Rogner & Bernhard Verlag, Hamburg 1997. 225 Seiten, geb., 29,- DM.
Robert Lowry: "Lebendig begraben". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Carl Weissner. Mit einem Nachwort von Hans G. Helms. Rogner & Bernhard Verlag, Hamburg 1997. 189 Seiten, geb., 25,- DM.
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Die letzten Taten Robert Lowrys: Zum Abschluß der Werkausgabe
Als Robert Lowry vor drei Jahren in Cincinnati starb, hatte die Literaturgeschichte ihn schon lange vergessen. "Das größte aller Talente" - so hatte Hemingway seinen jungen Kollegen genannt - war nach einigen vielbeachteten Büchern, wie man so sagt, verstummt. Das heißt, er schrieb zwar noch, aber niemand wollte ihn mehr drucken. Er galt als geisteskrank und tat wenig, um diesen Eindruck zu entkräften. Die Neu- und deutsche Erstauflage seiner Werke im Rogner & Bernhard Verlag sollte er nicht mehr erleben. Nach zwei beachtlichen Romanen - "Tag, Fremder" und "Die falsche Sanftmut des Schnees" (siehe F.A.Z. vom 1. Oktober 1996) - folgen dort jetzt ein weiterer Roman und ein Band mit Erzählungen.
Der Erzählungsband "Aufenthalt in El Paso" gibt einen Querschnitt durch Lowrys frühe Arbeiten aus den vierziger Jahren und enthält neben mehreren Glanzstücken auch Gelegenheitsarbeiten. Robert Lowry teilte das Lebensgefühl der "lost generation", in die er, Jahrgang 1919, längst nicht mehr gehörte. Er hatte nichts verloren, als er jung mit dem Schreiben begann, und er hatte nicht viel erlebt. In seinen frühen Geschichten herrscht ein Wille zur Tragik, dem die Stoffe fehlen. Eine Mutter, die ihre Tochter mit ihrer Liebe erdrückt, ein Mädchen, das einem Nachbarsjungen beim Spielen den Arm bricht, eine junge Frau, die beim Trampen vergewaltigt wird - das nimmt sich aus wie mühsam zur Kurzgeschichte aufgewerteter Klatsch. Man spürt, wie die Erfahrung des Kriegs Lowrys Schreiben aufwertet, seinem Gefühl der Deformation Grund gibt.
Seine besten Erzählungen, darunter die hervorragende Titelgeschichte, schildern den Soldaten, der Zivilist sein darf und nicht mehr kann, der in immer neuen Abenteuern und Zechgelagen das Gefühl der Leere zu überwinden sucht. Aus Lowrys traurigem Lebensweg wissen wir, daß dieses Problem sein eigenes war, und zwei Dinge fallen auf: die Idealisierung des autobiographischen Helden und die Schuldzuweisungen an das "System".
Verzeihliche Eitelkeit, könnte man meinen, wäre da nicht der 1959 erschienene Roman "Lebendig begraben", der nun scheinbar etwas ganz anderes behandelt. In Wahrheit vollendet er Lowrys Versuch einer Umdichtung seiner Existenz: Ohne daß er etwas Böses getan hätte, wird der Redakteur James Ramsey in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Was als Schikane eines Dorfsheriffs beginnt, wird rasch tödlicher Ernst, denn niemand glaubt ihm, daß er gesund ist. Er erhält Elektroschocks und Insulinspritzen, die ihn mit der Zeit tatsächlich um den Verstand bringen. Einmal gelingt es ihm zu fliehen; doch seine karrierehungrige Frau verrät ihn an die Polizei. Die Behandlung setzt sich fort und endet schließlich mit seinem Tod.
Robert Lowry behandelt in diesem Roman den Wendepunkt seiner eigenen Biographie. Er selbst wurde 1952 in eine Anstalt eingeliefert, freilich nicht als Opfer behördlicher Willkür, sondern als gewalttätiger Trinker mit Anzeichen der Schizophrenie. Auch entließ man ihn wieder; doch sollte er noch oft in die örtliche Klinik zurückkehren, wo er auch, zuletzt ohne festen Wohnsitz, vierzig Jahre später starb. Wenn diese Erfahrung Lowrys Leben zerstörte, dann beendete der Roman, der davon handelt, seine Karriere als Schriftsteller. Denn James Ramsey kämpft nicht nur gegen die Behörden. Sein wahrer und unbesiegbarer Feind ist das verschworene Judentum. Überall dort, wo jemand ihm übel will, fällt ein jüdischer Name.
"Lebendig begraben" ist ohne jeden Zweifel ein antisemitischer Roman. Und ist es auch kein agitatorischer Antisemitismus mit benennbarem Ziel, so doch eine ins Krankhafte gesteigerte Borniertheit, die den Holocaust vor allem als Einschränkung der eigenen Redefreiheit wahrnimmt. Lowry, der gegen die Nazis gekämpft hat, will sich von niemandem vorschreiben lassen, was er über die Juden sagt. Zwar fragt sich sein Held immer wieder selbst, ob er nicht den Verstand verloren hat. Doch die jüdischen Seilschaften, vor denen er sich fürchtet, existieren in diesem Buch tatsächlich. Ramsey verliert seine Frau an einen triebhaften jüdischen Liebhaber, der sie prompt an seine "Landsleute" im Showgeschäft weitervermittelt. Auch die Psychiater, die ihn behandeln, sind Juden.
Von der Sexualangst bis zum Verfolgungswahn ist hier alles beisammen, was den pathologischen Antisemitismus ausmacht. Hans G. Helms versucht in einem fahrigen Nachwort, diesen Vorwurf herunterzuspielen, und entblödet sich dabei nicht, die Schockbehandlung, die Robert Lowry angedieh, mit den Experimenten der SS-Ärzte zu vergleichen. Nur dadurch sei er zeitweilig zum Antisemiten geworden. Das glaube, wer will. Für eine literarische Würdigung ist es ohnehin belanglos. Denn "Lebendig begraben" ist einfach ein schlechtes Buch, eine mühsam fiktionalisierte Klageschrift gegen die Schlechtigkeit der Welt, die nur aus dem Furor ihre Kraft bezieht. Als vierter und letzter Band einer Auswahlausgabe ist die Veröffentlichung dennoch zu vertreten. Wer "Tag, Fremder" oder eine andere von Robert Lowrys besten Erzählungen gelesen hat, möchte wissen, was aus dem Mann geworden ist, der beinah ein großer Schriftsteller geworden wäre - eine Neugier, die "Lebendig begraben" recht gründlich stillt.
Moralische Einwände kann man dagegen schlecht erheben. Das Buch ist kaum geeignet, antisemitische Regungen zu nähren. Zu deutlich zeigt es am eigenen Fall den Zusammenhang von Rassenwahn und Paranoia. Man darf sich allerdings fragen, ob es gerade dem deutschen Leser ansteht, mit kalter Neugier den Antisemitismus eines gemütskranken Amerikaners zu studieren. Wer hier keine Bedenken hat, findet ein Dokument geistiger Zerrüttung, das sich dennoch in die konventionelle Romanform fügt. So etwas ist selten, und noch seltener ist, daß ein Verlag den Mut hat, aus Interesse an einem Dichter ein so bizarres, hoffnungslos unverkäufliches Buch zu verlegen. MICHAEL ALLMAIER
Robert Lowry: "Aufenthalt in El Paso". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Antje Landshoff und Carl Weissner. Rogner & Bernhard Verlag, Hamburg 1997. 225 Seiten, geb., 29,- DM.
Robert Lowry: "Lebendig begraben". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Carl Weissner. Mit einem Nachwort von Hans G. Helms. Rogner & Bernhard Verlag, Hamburg 1997. 189 Seiten, geb., 25,- DM.
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