Eine Vierecksgeschichte um alte und neue Liebe in zwei Systemen
Wie ist es, wenn die neue Freundin das gleiche Papageien-Tattoo trägt wie die Frau, die einen nach vielen gemeinsamen Jahren verlassen hat. Stellen die beiden farbenprächtigen Vögel einen Zusammenhang zwischen den Frauen her? Sind sie ein Zeichen? Und wofür?
Im Zentrum des Romans steht die Geschichte von Arno und Angelika, die sich vor über fünfzig Jahren als Nachbarskinder an der Ostsee gefunden haben. Bis zur Wende waren sie ein Paar. Doch von einem Tag auf den anderen verlässt Angelika ihren Arno mit ihrem Geliebten Gussew. Über seine neue Freundin Lilly findet Arno wieder die Spur zu Angelika. Noch immer ist sie mit Gussew liiert, der inzwischen Immobiliengeschäfte betreibt.
Michael G. Fritz erzählt mit Fabulierfreude gleichnishaft und mit sinnlicher Sprache eine große Liebesgeschichte, in der ein nahezu vergessenes und zugleich einflussreiches Stück untergegangen geglaubter Welt weiterlebt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Wie ist es, wenn die neue Freundin das gleiche Papageien-Tattoo trägt wie die Frau, die einen nach vielen gemeinsamen Jahren verlassen hat. Stellen die beiden farbenprächtigen Vögel einen Zusammenhang zwischen den Frauen her? Sind sie ein Zeichen? Und wofür?
Im Zentrum des Romans steht die Geschichte von Arno und Angelika, die sich vor über fünfzig Jahren als Nachbarskinder an der Ostsee gefunden haben. Bis zur Wende waren sie ein Paar. Doch von einem Tag auf den anderen verlässt Angelika ihren Arno mit ihrem Geliebten Gussew. Über seine neue Freundin Lilly findet Arno wieder die Spur zu Angelika. Noch immer ist sie mit Gussew liiert, der inzwischen Immobiliengeschäfte betreibt.
Michael G. Fritz erzählt mit Fabulierfreude gleichnishaft und mit sinnlicher Sprache eine große Liebesgeschichte, in der ein nahezu vergessenes und zugleich einflussreiches Stück untergegangen geglaubter Welt weiterlebt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2020Treudeutsch essen, sozialistisch lieben
Eine paradoxe Post-DDR im Havelland? Der Roman "Auffliegende Papageien" von Michael G. Fritz
Die Romane, die Michael G. Fritz in den vergangenen zwölf Jahren veröffentlicht hat, sind durch ein großes Thema miteinander verbunden: das mehr oder weniger stille Weiterleben der DDR im vereinten Deutschland. So hat er bereits 2009 eine beunruhigende Tante Laura aus den Untiefen dieses versunkenen Landes hervorkommen und ihren ebenso rätselhaften wie unseligen Einfluss auf die neue Gegenwart nehmen lassen. In seinem zuvor erschienenen Roman "Die Rivalen" hat er die politische und erotische Konkurrenzbeziehung zweier Männer bis ins Jahr 1968 zurückverfolgt. Und auch in seinem neuen Roman "Auffliegende Papageien" nimmt sich Fritz wieder der Heimsuchung der Gegenwart durch Relikte der deutsch-deutschen Vergangenheit an.
Doch jetzt wird deutlich, wie sich das Thema über die Jahre hinweg verwandelt. Was einst realistisch erzählt war und darin seine zeitgeschichtliche Relevanz fand, scheint jetzt durch dünne Schichten von Phantastik überlagert und durchdrungen von einem Zug ins Märchenhafte. Das wirkt umso eindringlicher, als sich daran dreißig Jahre nach Ende der DDR zeigt, wie die immer weiter vergehende Zeit notwendig den Blick auf das Vergangene modifiziert und damit von der Vergangenheit selbst ein in vielen Aspekten verändertes Bild zeichnet. Der immer größer werdende zeitliche Abstand des Jetzt zum Einst zwingt den Erzähler dazu, für die innere Verschränkung von alter DDR und heutigem Deutschland neue, - und durchaus gewagte - Konstruktionen zu setzen, deren Realitätsgrad durch die Fiktion weniger bekräftigt als ironisch unterlaufen wird.
Naturgemäß ist in "Auffliegende Papageien" das Personal gegenüber den früheren Romanen deutlich gealtert. Immerhin steht der Journalist Arno noch im Berufsleben, in dem er sich seit dreißig Jahren als fester Freier bei einer mittelgroßen Zeitung durchschlägt und nach der Trennung von Angelika gleich nach der Wende kaum noch Ehrgeiz entwickelt hat, weder im Hinblick auf sein berufliches Fortkommen noch in Bezug auf sein Liebesleben. Dass er nun mit Ende fünfzig die Anzeichen seines körperlichen Niedergangs nicht mehr ignorieren kann, überrascht ihn nicht, beunruhigt ihn aber auch kaum. Ihn als Verlierer der Wende zu bezeichnen wäre zu hoch gegriffen. Und zu sagen, er habe resigniert, klänge schon zu pathetisch. Eher hat Arno seine Biographie an einem bestimmten Punkt eingefroren, und dieser Punkt liegt dreißig Jahre zurück, politisch im Jahr des Mauerfalls, privat in der Tatsache, dass seine Angelika ihn gleichzeitig verlassen hat.
Angelika ist damals mit einem gewissen Gussew auf und davon und erst nach einem Jahrzehnt wieder nach Berlin zurückgekehrt. Gussew wird als neureicher Kleinoligarch beschrieben, der aus einst veruntreuten Geldern des sterbenden Landes ein florierendes Immobiliengeschäft aufgebaut und zugleich auf seinem großzügigen Anwesen an der Havel so etwas wie einen kleinen Hofstaat um sich versammelt hat. Angelika ist seine Frau geworden und spielt die Rolle der Königin am Hofe, doch die neue Frau, die Arno durch einen merkwürdigen Zufall kennenlernt, Lilly, gehört ebenfalls in diese Entourage und hat zudem dasgleiche Tattoo wie Angelika zu bieten: einen blaugelben Papageien auf der Schulter, der einen Flügel spreizt.
Dass der Zufall hier wie an eigentlich allen Wendepunkten der Handlung Regie führt, springt den Leser als surreale Überformung der erzählten Welt an und führt direkt in deren innere Paradoxie. Die Art und Weise wie Arno Lilly kennenlernt ebenso wie die anonymen Zahlungen, die er über Jahrzehnte angenommen hat und die plötzlich, als die eigentliche Handlung beginnt, aussetzen, genauso wie später die umstandslose Aufnahme Arnos in die Geschäfts- und Lebenswelt Gussews greifen ebenso zurück auf die Verhältnisse in der alten DDR, wie sie deren Weiterleben in den kapitalistischen Szenarien des Kleinoligarchen grotesk überzeichnen. Hinzu kommt, dass Gussew, der sich wirtschaftlich denkbar weit vom Sozialismus entfernt hat, eine geradezu absurde Nostalgie nach allem, was nach DDR riecht und schmeckt, verbreitet, verbunden mit einer befremdlichen kulinarischen Deutschtümelei, für die er sogar eine Zeitschrift gründet und Arno als deren Chef einsetzt. Ja, Gussews Reich ist gewissermaßen eine paradoxe Post-DDR im Havelländischen, in der die Männer noch Patriarchen und die Frauen ihnen gern zu Diensten sind, in der treudeutsch gegessen und sozialistisch geliebt wird und in der es zu einem recht überraschenden Schluss dieser Geschichte kommt.
Michael G. Fritz erweist sich darin einmal mehr als hintergründiger Erzähler, der die verschiedensten Tonarten beherrscht, die er zu einem sehr eigenen, oft lakonisch grundierten Sound zu mischen versteht. Am Ende erkennt man, dass sich die Vergangenheit, von der die Rede ist, nicht einfach abwickeln ließ. Doch zugleich ahnt man, dass sie sich in unseren Erzählungen immer weiter verändert. Fritz erzählt davon, dass die Wiederkehr der DDR in der Gegenwart kein Gespenstertreiben ist, dass sie auch nicht in nostalgischen Momenten bloß aufblitzt, sondern dass sie mit dem heutigen Leben tief verwachsen ist und sie uns in ihrer befremdlichsten Form als paradoxe Logik des Unvergangenen begegnet.
CHRISTIAN SCHÄRF
Michael G. Fritz:
"Auffliegende Papageien". Roman.
Mitteldeutscher Verlag,
Halle 2019. 256 S.,
br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine paradoxe Post-DDR im Havelland? Der Roman "Auffliegende Papageien" von Michael G. Fritz
Die Romane, die Michael G. Fritz in den vergangenen zwölf Jahren veröffentlicht hat, sind durch ein großes Thema miteinander verbunden: das mehr oder weniger stille Weiterleben der DDR im vereinten Deutschland. So hat er bereits 2009 eine beunruhigende Tante Laura aus den Untiefen dieses versunkenen Landes hervorkommen und ihren ebenso rätselhaften wie unseligen Einfluss auf die neue Gegenwart nehmen lassen. In seinem zuvor erschienenen Roman "Die Rivalen" hat er die politische und erotische Konkurrenzbeziehung zweier Männer bis ins Jahr 1968 zurückverfolgt. Und auch in seinem neuen Roman "Auffliegende Papageien" nimmt sich Fritz wieder der Heimsuchung der Gegenwart durch Relikte der deutsch-deutschen Vergangenheit an.
Doch jetzt wird deutlich, wie sich das Thema über die Jahre hinweg verwandelt. Was einst realistisch erzählt war und darin seine zeitgeschichtliche Relevanz fand, scheint jetzt durch dünne Schichten von Phantastik überlagert und durchdrungen von einem Zug ins Märchenhafte. Das wirkt umso eindringlicher, als sich daran dreißig Jahre nach Ende der DDR zeigt, wie die immer weiter vergehende Zeit notwendig den Blick auf das Vergangene modifiziert und damit von der Vergangenheit selbst ein in vielen Aspekten verändertes Bild zeichnet. Der immer größer werdende zeitliche Abstand des Jetzt zum Einst zwingt den Erzähler dazu, für die innere Verschränkung von alter DDR und heutigem Deutschland neue, - und durchaus gewagte - Konstruktionen zu setzen, deren Realitätsgrad durch die Fiktion weniger bekräftigt als ironisch unterlaufen wird.
Naturgemäß ist in "Auffliegende Papageien" das Personal gegenüber den früheren Romanen deutlich gealtert. Immerhin steht der Journalist Arno noch im Berufsleben, in dem er sich seit dreißig Jahren als fester Freier bei einer mittelgroßen Zeitung durchschlägt und nach der Trennung von Angelika gleich nach der Wende kaum noch Ehrgeiz entwickelt hat, weder im Hinblick auf sein berufliches Fortkommen noch in Bezug auf sein Liebesleben. Dass er nun mit Ende fünfzig die Anzeichen seines körperlichen Niedergangs nicht mehr ignorieren kann, überrascht ihn nicht, beunruhigt ihn aber auch kaum. Ihn als Verlierer der Wende zu bezeichnen wäre zu hoch gegriffen. Und zu sagen, er habe resigniert, klänge schon zu pathetisch. Eher hat Arno seine Biographie an einem bestimmten Punkt eingefroren, und dieser Punkt liegt dreißig Jahre zurück, politisch im Jahr des Mauerfalls, privat in der Tatsache, dass seine Angelika ihn gleichzeitig verlassen hat.
Angelika ist damals mit einem gewissen Gussew auf und davon und erst nach einem Jahrzehnt wieder nach Berlin zurückgekehrt. Gussew wird als neureicher Kleinoligarch beschrieben, der aus einst veruntreuten Geldern des sterbenden Landes ein florierendes Immobiliengeschäft aufgebaut und zugleich auf seinem großzügigen Anwesen an der Havel so etwas wie einen kleinen Hofstaat um sich versammelt hat. Angelika ist seine Frau geworden und spielt die Rolle der Königin am Hofe, doch die neue Frau, die Arno durch einen merkwürdigen Zufall kennenlernt, Lilly, gehört ebenfalls in diese Entourage und hat zudem dasgleiche Tattoo wie Angelika zu bieten: einen blaugelben Papageien auf der Schulter, der einen Flügel spreizt.
Dass der Zufall hier wie an eigentlich allen Wendepunkten der Handlung Regie führt, springt den Leser als surreale Überformung der erzählten Welt an und führt direkt in deren innere Paradoxie. Die Art und Weise wie Arno Lilly kennenlernt ebenso wie die anonymen Zahlungen, die er über Jahrzehnte angenommen hat und die plötzlich, als die eigentliche Handlung beginnt, aussetzen, genauso wie später die umstandslose Aufnahme Arnos in die Geschäfts- und Lebenswelt Gussews greifen ebenso zurück auf die Verhältnisse in der alten DDR, wie sie deren Weiterleben in den kapitalistischen Szenarien des Kleinoligarchen grotesk überzeichnen. Hinzu kommt, dass Gussew, der sich wirtschaftlich denkbar weit vom Sozialismus entfernt hat, eine geradezu absurde Nostalgie nach allem, was nach DDR riecht und schmeckt, verbreitet, verbunden mit einer befremdlichen kulinarischen Deutschtümelei, für die er sogar eine Zeitschrift gründet und Arno als deren Chef einsetzt. Ja, Gussews Reich ist gewissermaßen eine paradoxe Post-DDR im Havelländischen, in der die Männer noch Patriarchen und die Frauen ihnen gern zu Diensten sind, in der treudeutsch gegessen und sozialistisch geliebt wird und in der es zu einem recht überraschenden Schluss dieser Geschichte kommt.
Michael G. Fritz erweist sich darin einmal mehr als hintergründiger Erzähler, der die verschiedensten Tonarten beherrscht, die er zu einem sehr eigenen, oft lakonisch grundierten Sound zu mischen versteht. Am Ende erkennt man, dass sich die Vergangenheit, von der die Rede ist, nicht einfach abwickeln ließ. Doch zugleich ahnt man, dass sie sich in unseren Erzählungen immer weiter verändert. Fritz erzählt davon, dass die Wiederkehr der DDR in der Gegenwart kein Gespenstertreiben ist, dass sie auch nicht in nostalgischen Momenten bloß aufblitzt, sondern dass sie mit dem heutigen Leben tief verwachsen ist und sie uns in ihrer befremdlichsten Form als paradoxe Logik des Unvergangenen begegnet.
CHRISTIAN SCHÄRF
Michael G. Fritz:
"Auffliegende Papageien". Roman.
Mitteldeutscher Verlag,
Halle 2019. 256 S.,
br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main