Wir hatten keinen leichten Start ins Leben. Die entbehrungsreichen Kriegs- und Nachkriegsjahre prägten unsere Kindheit. Mit der Parole 'Rama dama' gab Oberbürgermeister Thomas Wimmer den Startschuss für die Aufräumarbeiten und den Wiederaufbau. Flüchtlinge strömten nach München und nach und nach kehrten unsere Väter aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Wir erlebten im Winter Schulunterricht im kalten Klassenzimmer und im Sommer Hitzvakanz. Unser Spielplatz waren die Trümmergrundstücke in der Innenstadt. Später tanzten wir Rock 'n' Roll und hörten AFN. Und als endlich das erste Lehrjahr geschafft war, merkten wir, dass wir erwachsen geworden waren.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.11.2008Münchner Seiten
Neues vom Büchermarkt
Volle Klassen und fromme Lehrer
Zwei Bücher beschreiben das Aufwachsen in München seit den 40er Jahren
Franz Freisleder
Im Rahmen seiner Reihe „Aufgewachsen in . . .”, die bisher Berlin, Bremen, Chemnitz und Dresden behandelt hat, richtet der Wartberg Verlag jetzt mit zwei Bänden den Blick auf München. Hauptsächlich auf das Bildarchiv ihres Mannes, des verstorbenen Fotoreporters Georg Fruhstorfer, konnte dessen Witwe Heidi zur Illustration ihrer Texte für den ersten Band zurückgreifen. Sie schreibt über die vierziger und fünfziger Jahre. Barbara Kettl-Römer und Angelika Rodatus befassen sich dann mit den sechziger und siebziger Jahren. Dazu passendes Bildmaterial holten sie sich aus unterschiedlichen Archiven und den eigenen Familienalben.
Die drei Autorinnen greifen bei ihren Schilderungen zurück auf persönliche Kindheits- und Jugenderinnerungen und ergänzen sie mit denen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. Dazu kommen in jedem Buch Chronik-Leisten über wichtige stadtpolitische Ereignisse und diverse Themen-Kästen. Letztere informieren zum Beispiel über die Frauenkirche und den Englischen Garten, über die Rama-dama-Aktion, das Olympia-Attentat oder den Dauererfolg des „Brandner Kaspar” auf Münchner Bühnen.
Beim älteren Leser erzeugt die Lektüre immer wieder ein „Ja, so war’s”-Gefühl, für die jüngere Generation dagegen sind die Zeitumstände nicht selten schwer nachvollziehbar: Etwa dass nach dem Krieg 70 Schüler in einer Münchner Volksschulklasse keine Seltenheit waren, und dass wegen Platz- und Lehrkräftemangels der Übertritt ins Gymnasium selbst bei guten Noten manchmal verwehrt wurde. Oder dass noch in den Fünfzigern die 17-jährige Wiebke im ersten Schneider-Lehrjahr täglich von sieben Uhr früh bis mittags fast ausschließlich mit Werkstatt auskehren, Brotzeit holen und Mittagessen aufwärmen für die Belegschaft beschäftigt war; dabei hatte sie doch in der Meisterschule für Mode schon einen Jahreskurs absolviert. Auch dass der Herr Pater und das Fräulein Religionslehrerin den Kindern „wegen der Würde des Festes” verboten, sich im Fasching vor ihrer Erstkommunion zu maskieren und „allzu lustig” zu sein, wirkt heute seltsam.
Fazit: Ein Mosaik mit viel Lokalkolorit, das den Wandel der kriegsgeschundenen Stadt zur blühenden, weltoffenen Metropole am Beispiel der Lebensumstände ihrer Jugend unterhaltsam ausbreitet. Fruhstorfer (Band 1), Kettl-Römer/Rodatus (Band 2): „Aufgewachsen in München”, Wartberg Verlag, jeweils 64 Seiten, pro Band 12.90 Euro.
Bildung mit dem Griffel statt mit dem Computer. Foto: Wartberg Verlag
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Neues vom Büchermarkt
Volle Klassen und fromme Lehrer
Zwei Bücher beschreiben das Aufwachsen in München seit den 40er Jahren
Franz Freisleder
Im Rahmen seiner Reihe „Aufgewachsen in . . .”, die bisher Berlin, Bremen, Chemnitz und Dresden behandelt hat, richtet der Wartberg Verlag jetzt mit zwei Bänden den Blick auf München. Hauptsächlich auf das Bildarchiv ihres Mannes, des verstorbenen Fotoreporters Georg Fruhstorfer, konnte dessen Witwe Heidi zur Illustration ihrer Texte für den ersten Band zurückgreifen. Sie schreibt über die vierziger und fünfziger Jahre. Barbara Kettl-Römer und Angelika Rodatus befassen sich dann mit den sechziger und siebziger Jahren. Dazu passendes Bildmaterial holten sie sich aus unterschiedlichen Archiven und den eigenen Familienalben.
Die drei Autorinnen greifen bei ihren Schilderungen zurück auf persönliche Kindheits- und Jugenderinnerungen und ergänzen sie mit denen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. Dazu kommen in jedem Buch Chronik-Leisten über wichtige stadtpolitische Ereignisse und diverse Themen-Kästen. Letztere informieren zum Beispiel über die Frauenkirche und den Englischen Garten, über die Rama-dama-Aktion, das Olympia-Attentat oder den Dauererfolg des „Brandner Kaspar” auf Münchner Bühnen.
Beim älteren Leser erzeugt die Lektüre immer wieder ein „Ja, so war’s”-Gefühl, für die jüngere Generation dagegen sind die Zeitumstände nicht selten schwer nachvollziehbar: Etwa dass nach dem Krieg 70 Schüler in einer Münchner Volksschulklasse keine Seltenheit waren, und dass wegen Platz- und Lehrkräftemangels der Übertritt ins Gymnasium selbst bei guten Noten manchmal verwehrt wurde. Oder dass noch in den Fünfzigern die 17-jährige Wiebke im ersten Schneider-Lehrjahr täglich von sieben Uhr früh bis mittags fast ausschließlich mit Werkstatt auskehren, Brotzeit holen und Mittagessen aufwärmen für die Belegschaft beschäftigt war; dabei hatte sie doch in der Meisterschule für Mode schon einen Jahreskurs absolviert. Auch dass der Herr Pater und das Fräulein Religionslehrerin den Kindern „wegen der Würde des Festes” verboten, sich im Fasching vor ihrer Erstkommunion zu maskieren und „allzu lustig” zu sein, wirkt heute seltsam.
Fazit: Ein Mosaik mit viel Lokalkolorit, das den Wandel der kriegsgeschundenen Stadt zur blühenden, weltoffenen Metropole am Beispiel der Lebensumstände ihrer Jugend unterhaltsam ausbreitet. Fruhstorfer (Band 1), Kettl-Römer/Rodatus (Band 2): „Aufgewachsen in München”, Wartberg Verlag, jeweils 64 Seiten, pro Band 12.90 Euro.
Bildung mit dem Griffel statt mit dem Computer. Foto: Wartberg Verlag
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