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»Angela Steidele bringt die Epoche der Aufklärung zum Leuchten.« Denis Scheck
Leipzig im 18. Jahrhundert, seiner glänzendsten Zeit. Von den Messen tragen die Händler nicht nur Waren, sondern auch Ideen nach ganz Europa. Johann Sebastian Bach vermisst das Universum in Tönen, unterstützt von seiner Frau, der Kammersängerin Anna Magdalena, und seiner ältesten Tochter Dorothea. Derweil erforscht das Ehepaar Gottsched die deutsche Sprache und verbreitet unermüdlich das Licht der Aufklärung. Empört über die Biographie, die Johann Christoph Gottsched nach dem frühen Tod seiner Frau Luise…mehr

Produktbeschreibung
»Angela Steidele bringt die Epoche der Aufklärung zum Leuchten.« Denis Scheck

Leipzig im 18. Jahrhundert, seiner glänzendsten Zeit. Von den Messen tragen die Händler nicht nur Waren, sondern auch Ideen nach ganz Europa. Johann Sebastian Bach vermisst das Universum in Tönen, unterstützt von seiner Frau, der Kammersängerin Anna Magdalena, und seiner ältesten Tochter Dorothea. Derweil erforscht das Ehepaar Gottsched die deutsche Sprache und verbreitet unermüdlich das Licht der Aufklärung. Empört über die Biographie, die Johann Christoph Gottsched nach dem frühen Tod seiner Frau Luise veröffentlicht, beschließt Dorothea Bach, ihre eigenen Erinnerungen zu Papier zu bringen. Es war doch alles ganz anders mit Voltaire, Lessing und dem jungen Goethe! Schließlich leben wir im Zeitalter des hochgelahrten Frauenzimmers!

Leichthändig und heiter zeichnet Angela Steidele in ihrem Roman ein gewitztes Porträt der Aufklärung aus Frauensicht. Mitreißend erzählt sie von Musikern und Buchdruckern, Dichterinnen und Schauspielerinnen, von Turbulenzen des Geistes, wissenschaftlichen Höhenflügen und von der Weltweisheit in der Musik. Historisch versiert, unsere Gegenwart im Blick, schildert sie Schicksalsjahre einer Epoche, in der es kurz möglich schien, Frauen und Männer könnten gemeinsam die Welt zur Vernunft bringen.
Autorenporträt
Wissenschaftlich recherchieren – literarisch schreiben ist Angela Steideles Markenzeichen in Werken wie Geschichte einer Liebe: Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens (2010), Anne Lister. Eine erotische Biographie (2017), Zeitreisen (2018), Poetik der Biographie (2019) und In Männerkleidern. Das verwegene Leben der Catharina Linck alias Anastasius Rosenstengel, hingerichtet 1721 (2021). Für ihren Roman Rosenstengel (2015) erhielt sie den Bayerischen Buchpreis. Aufklärung. Ein Roman war 2023 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und wurde mit dem Klopstock-Preis für neue Literatur ausgezeichnet. Die Autorin, geb. 1968, lebt in Köln.
Rezensionen
»So profund und kurzweilig wie die Musik Johann Sebastian Bachs ist Steideles Roman ... Mit bissigem Witz und souveräner Ironie lässt Angela Steidele eine ganze Epoche aus Frauensicht auf unterhaltsamste Weise wiederauferstehen. Unwiderstehlich!« Denis Scheck Der Tagesspiegel 20230701

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wer hat eigentlich den Text für Bachs Weihnachtsoratorium geschrieben? Rezensent Andreas Platthaus kann nach der Lektüre von Angela Steideles "Aufklärung" einen Vorschlag machen: Vielleicht war es Luise Gottsched, deren Gatten man zumindest dem Namen nach noch kennt. Sie ist eine der Protagonistinnen des aus der Perspektive von Bachs Tochter Dorothea geschriebenen Lobgesangs auf die Stadt Leipzig als Zentrum geistiger Elite, erfahren wir. Und sie habe bereits als Schriftstellerin gearbeitet. Luise, Dorothea und ihre Stiefmutter Anna Magdalena dürfen sich bei Steidele angeregt und klug unterhalten, freut sich der Rezensent, ohne, dass der Roman zu "bildungsbeflissen" daherkommt, vielmehr werde die Fabulierlust der Autorin deutlich. Und ihre Liebe zu starken Frauenfiguren, denen der Kritiker schon zu ihrer Zeit mehr Aufmerksamkeit gewünscht hätte. Dass Luise Gottsched letzten Endes nicht die Dichterin des Oratoriums gewesen sein kann, ist für Platthaus dann auch nicht mehr so wichtig. Bald ist Weihnachten und da ist das Buch allemal ein gutes Geschenk, meint er.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.11.2022

Gelehrte
Freundinnen
Die Geschichte kann man nicht umschreiben,
aber die Geschichten: Angela Steideles
neuer Roman bringt Gleichberechtigung
in die Frühaufklärung
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Ein Buchtitel wie ein Paukenschlag: „Aufklärung“. Vermuten könnte man dahinter ein Sachbuch, das die Epoche, auf die wir, je nach Blickwinkel, den Glanz oder das Elend der Moderne zurückführen, wieder einmal neu beleuchtet. Aber dieses Buch ist „Ein Roman“, explizit mit unbestimmtem Artikel, und es ist sogar ein Unterhaltungsroman. Zudem handelt es sich um ein Werk der feministischen Literatur, und selten war Feminismus so kurzweilig.
Ferner haben wir es mit einem Musikroman zu tun, der mutwillig einkalkuliert, dass sein imaginativer Überschwang puristische Musikologen verstimmen muss . Ein historischer Roman? Jedenfalls keiner, der vorgaukelt, dass es genauso gewesen sein könnte: Diesem Trugschluss wird vorgebeugt durch ironische Brechungen, Anachronismen und unverhohlene Schwindeleien, die an die Usancen der literarischen Postmoderne erinnern. Deren letztes Stündlein hat ja angeblich im Jahr 2010 geschlagen, aber das dürfte Angela Steidele wenig kümmern.
Zeitreisen der etwas anderen Art sind die Spezialität der Autorin, die vor knapp zwanzig Jahren mit ihrer Dissertation über „Liebe und Begehren zwischen Frauen in der deutschsprachigen Literatur 1750-1850“ ihr wissenschaftliches und literarisches Grundthema etablierte und seitdem mehrere Bücher dazu publiziert hat. Gleich zweimal, in Form eines Romans und eines biografischen Berichts, bearbeitete sie das Schicksal der Catharina Linck alias Anastasius Rosenstengel, die kurz nach 1700 ein Leben in Männerkleidern führte, als Musketier kämpfte, als Frauenheld notorisch wurde, eine Geliebte heiratete und am Ende durch Hinrichtung starb. Das Motiv der Erotik zwischen Frauen kommt selbstverständlich auch in Steideles neuem Werk vor, aber hier ist es eher beiläufig eingewoben in ein Geflecht intellektueller Beziehungen unter Frauen und Männern, das als eine Art rückwärtsgewandter Utopie ins protestantische Leipzig des 18. Jahrhunderts projiziert wird.
Die Erzählstimme gehört Catharina Dorothea Bach, der ältesten Tochter des Komponisten aus erster Ehe. Kurioserweise scheint sie sich als Projektionsfigur besonders zu eignen, obwohl (oder weil) man gar nichts über sie weiß, abgesehen von jener Notiz Johann Sebastians, die da lautet, dass das Mädchen im Familien-Ensemble „nicht schlimm einschläget“. Im Bach-Jahr 2000 trat sie schon einmal als fiktive Tagebuchschreiberin auf, in dem deutlich weniger aufklärerischen, aber auch nicht komplett trivialen Roman „Mein Vater, der Kantor Bach“ von Andreas Liebert, einem Musikwissenschaftler und Autor im historischen Populärgenre. Überschneidungen waren da wohl kaum zu vermeiden: Das Bild der unbemannten Tochter, die für die jüngeren Geschwister sorgt, sich mit ihrer hochmusikalischen Stiefmutter Anna Magdalena gut versteht und ihre eigene Begabung unter den Scheffel stellt, wird hier wie dort liebevoll ausgemalt.
Aber natürlich geht es Angela Steidele nicht um den Vater Bach, den sie nebenbei mit viel Respekt und Einfühlung als klug schweigenden Beobachter und leicht cholerisches Genie porträtiert. Im Zentrum steht bei ihr die kühn erfundene Freundschaft zwischen Dorothea Bach und Luise Adelgunde Gottsched, jener berühmten „Gottschedin“, die als Schriftstellerin und Übersetzerin, als Galionsfigur weiblicher Gelehrsamkeit und Geistesautonomie zu den herausragenden Persönlichkeiten der Epoche zählte. Aus der verbürgten Tatsache, dass ihr Göttergatte, der Sprachforscher und Literaturtheoretiker Johann Christoph Gottsched, sie nicht nur als Zu- und Mitarbeiterin kräftig ausnutzte, sondern auch versuchte, ihren Anteil an seinem Werk herunterzuspielen, wird bei Steidele die Initialzündung für Dorothea Bachs Bericht.
Nach Luises frühem Tod im Jahr 1762 möchte sie ihre Erinnerungen schriftlich festhalten und empört sich zugleich über den rührselig-herablassenden Nekrolog des Witwers auf seine „Gehülfin“. Er wiederum hat ihr Luises Korrespondenz, die deren Görlitzer Herzensfreundin Dorothee von Runckel veröffentlichen will, zur Sichtung anvertraut – Überraschungen inbegriffen. In dieser Lage lässt Steidele die Ich-Erzählerin, nunmehr Mitte fünfzig, auf ein drei Jahrzehnte umspannendes Panorama aus akribisch recherchierten Fakten und verwegener Fiktion zurückblicken, inszeniert als vielstimmiges Gespräch über die Verheißungen und Herausforderungen der sich anbahnenden neuen Zeit.
Hier treten sie in wechselnden Konstellationen zum Wettstreit der Ideen an, die klugen Köpfe, die sich damals im intellektuellen Brennpunkt Sachsens versammelten, von denen jedoch nur fragmentarisch überliefert ist, inwieweit sie untereinander Umgang hatten. Man trifft sich im Kaffeehaus, im „Goldenen Bären“ , im Theater oder in einem der frühesten Salons, in der Thomasschule, in der Universität, in den Häusern der Bachs oder des „Gelehrtentandems“ Gottsched: der Musiktheoretiker Lorenz Mizler, der Komponist Johann Adolf Scheibe, Bachs Librettist Christian Friedrich Henrici alias Picander, die Buchdrucker Breitkopf senior und junior, der Mediziner Gottlieb Ludwig, der Theologe Johann August Ernesti sowie, als sanftmütige Nervensäge, der hypochondrische Schriftsteller Christian Fürchtegott Gellert. Zu ihnen gesellen sich starke Frauen wie die Dichterin, Musikerin und Salon-Gründerin Christiana Mariana Ziegler und die rebellische Theaterprinzipalin Caroline Neuber. Später schaut die reise- und lebenslustige Gräfin Bentinck vorbei , der junge Lessing streut seinen kritischen Geist in die Runde, Klopstock und Goethe geben ihre studentischen Gastspiele und bringen neue Farben in die Konversation, aber auch ein ungeniert geringschätziges Frauenbild. Klatsch und Intrigen, Bosheiten und Missgunst sind im heraufdämmernden Licht der Vernunft stets mit von der Partie und steigern das Amüsement.
Man debattiert über Künste und Wissenschaften, Theater und Sprache, Philosophie und Religion, aber noch kaum über Politik. Noch sitzen die feudalen Regenten Europas fest im Sattel; der aufgeklärte Preußenkönig Friedrich II. schenkt Bach nicht nur ein Fugenthema, sondern überfällt 1756 Sachsen aus Habgier und plündert Leipzig aus. Auch die Schatten des Krieges und die Mühsal des Alltags nimmt Angela Steidele in den Blick, und gleichsam als Gegengewicht gewährt sie der Musik Bachs, ihrer Entstehung und Ausführung breiten Raum, mal kundig, mal unbekümmert spekulativ, und macht sie ihrerseits zum Gegenstand erhellender Debatten.
Trotz ihrer dezidiert weiblichen Perspektive und trotz der Durchsetzungskraft, die sie den Frauengestalten der Frühaufklärung zuschreibt, hat Steidele dem Roman keinen agitatorischen Sound mitgegeben. Vielmehr stellt sie in ihrem Disput-Tableau eine Art Gleichberechtigung her, die jeder einzelnen Figur ihre Stärken wie ihre Defizite zugesteht. Ihr gelingen pointierte kleine Charakterskizzen, ohne dass sie dem historischen Personal peinlich nahe rückt. Auch hat sie eine Sprache gefunden, die angenehm frei von Manierismen ist, sich weder dem 18. Jahrhundert noch der Gegenwart anbiedert . Wenn allerdings ein Herr Laurentius Gugl für kostenloses Wissen plädiert und ein Herr Stephan Jobst die Substitution von Büchern durch Maschinen prophezeit, kann man diese zukunftsweisenden Anspielungen etwas albern finden. Aber sie fügen sich in den leichten, lockeren Ton und in das Anliegen, ein heutiges Publikum mit einer Vergangenheit ins Gespräch zu bringen, die uns jede Menge uneingelöste Versprechen und unvollendete Projekte hinterlassen hat.
Bach wird respektvoll als klug
schweigender Beobachter und
zart cholerisches Genie porträtiert
Trotz der dezidiert weiblichen
Perspektive hat der Roman
keinen agitatorischen Sound
Angela Steidele: Aufklärung. Ein Roman. Insel Verlag, Berlin 2022.
603 Seiten, 25 Euro.
Galionsfigur weiblicher Gelehrsamkeit und Göttergatte: Luise Adelgunde und Johann Christoph Gottsched.
Foto: OH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2022

Jauchzet, frohlocket über dieses Buch

Angela Steideles Roman "Aufklärung" macht seinem Titel alle Ehre. Er erzählt auf ebenso inspirierende wie witzige Weise über das Leipzig der Bach-Zeit.

Überall wird derzeit Bachs Weihnachtsoratorium gespielt, aber nirgendwo so wie an dem Ort, für den es 1734 geschrieben wurde: in der Thomaskirche von Leipzig, wo Bach als Kantor wirkte. Unter seinem aktuellen Nachfolger Andreas Reize singt man dort zu Beginn derzeit nicht "Jauchzet, frohlocket! Auf, preiset die Tage", sondern "Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!". So lautet der Text in der Königin-Kantate, BWV 214, von Bach im Jahr zuvor komponiert und dann für den ersten Teil des Weihnachtsoratoriums als Musik wiederverwendet, aber textlich verändert: Aus einer weltlichen, nur zu einmaligem Gebrauch (Kurfürstinnengeburtstag) gedachten Kantate wird eine geistliche, die in jedes Kirchenjahr passt. Und also heute noch immer.

Reize begründet seinen Rückgriff auf den Ursprungstext nicht mit Originalitätssucht, sondern musikalisch: Malt der Text nicht in Worten aus, was wir hören? Aber ist das eine musikalische Kategorie? Hätte Reize den neuen Roman von Angela Steidele gelesen, hätte er sich die Sache womöglich noch einmal überlegt. Und dazu wäre gar nicht die Lektüre aller sechshundert Seiten nötig gewesen, sondern es hätte gereicht, bis zur Seite 52 zu kommen. Da befinden wir uns in der Leipziger Wohnung Johann Sebastian Bachs. Es ist kurz vor Weihnachten 1734, und der Hausherr probiert mit seinen Familienangehörigen den neuen Text auf die alte Musik, wie wir aus dem Munde seiner ältesten Tochter erfahren: "Papa spielte, und wir sangen das Zwischenstück. 'Dienet dem Höchsten mit herrlichen Chören.' 'Die Koloraturen immer auf ö, ja, das ist klangschön, ö ist immer gut zu singen. Schön obertönig.' 'Sie hat die Chöre dazuerfunden, weil die Pauken und die Trompeten nicht mehr im Text selber vorkommen, sondern nur noch im Orchester. Aber so ist das Gotteslob durch Musik doch wieder drin.'"

Wer aber ist "sie", die da von den Bachs als Textdichterin gelobt wird? Bis heute weiß doch niemand, wer den Text fürs Weihnachtsoratorium geschrieben hat. Ein Roman aber kann sich darüber hinwegsetzen und Gewissheit simulieren: Es ist Luise Gottsched, und wenn Sie diesen Namen noch nie gehört haben sollten, sagt das einiges über die geschlechterungerechte Überlieferungslage der Literaturgeschichte aus. Und über unser Verständnis jener Epoche, die wir heute "Aufklärung" nennen.

So heißt auch Steideles Roman: "Aufklärung". Und fürwahr: Selten war ein Titel passender. Denn erst einmal spielt er zur Zeit der Aufklärung, und dann klärt er uns auf. Nicht nur über den Rang jener Luise Gottsched, der Gattin des heute zwar auch nicht mehr in aller Munde, aber immerhin noch in einigen Köpfen präsenten Johann Christoph Gottsched, der seinerzeit der einflussreichste deutsche Sprachwissenschaftler war und in Leipzig lehrte. Und mit Bach so gut bekannt war, dass er ihm ein paar Kantatentexte schrieb. Aber offenbar nicht die fürs Weihnachtsoratorium.

Seine Frau wäre dagegen in der Tat eine gute Option gewesen, denn die Gottschedin war unter ihrem Mädchennamen Kulmus bereits eine Autorin eigenen Rechts - und eine Liebhaberin der bachschen Musik. Wie sich in Steideles intellektuellem Stadtporträt - und genau das ist "Aufklärung": ein Hymnus auf Leipzig als Versammlungsstätte einiger der besten Köpfe des mittleren achtzehnten Jahrhunderts - so manche Frau plötzlich im Mittelpunkt des Geschehens wiederfindet, allen voran die Icherzählerin, jene 1708 geborene Dorothea Bach, über die nicht mehr bekannt ist als ein Satz ihres Vaters aus einem Brief von 1730, wonach seine "itzige Frau" (Dorotheas Stiefmutter Anna Magdalena Bach) einen "sauberen Sopran" singe und "auch meine älteste Tochter nicht schlimm einschläget".

Doch was hat Angela Steidele aus diesem einen Satz gemacht! Wie gesagt, ein ganzes Stadtporträt aus der Sicht von Dorothea Bach. Und mehr als das: ein Epochenporträt, gegründet auf dem revolutionären Geist der bachschen Musik. Der hier befeuert wird durch die Leipziger Umgebung, allen voran Frau und Tochter, die als begabte Sängerinnen ihren eigenen Blick auf die Kompositionen haben. "Aufklärung" ist gerade in den imaginierten Dialogen ein Konversationsstück ganz im Stil jener Zeit. Aber eines, das man liest, als unterhielten sich da unsere Zeitgenossinnen. Die Romanfiguren Dorothea, Anna Magdalena und vor allem Luise sind unvergesslich. Auch unvergesslich witzig.

Denn die Männer treten mit der Ausnahme des ständig überlasteten Bach als Gockel auf, die ohne die Unterstützung und oft genug auch Zuarbeit ihrer Frauen gar keine geistigen Höhenflüge hätten antreten können. Sie katzbuckeln vor den Mächtigen, allen voran dem preußischen König Friedrich II., der von Steidele als skrupelloser Ästhet gezeichnet wird - eine Karikatur mit leider nur allzu realistischen Zügen. In dieses Buch ist eine Recherchefülle eingegangen, die man jederzeit spürt, jedoch nicht als bildungsbeflissenes Erzählen (wenn auch die Fußnoten zu auf den jeweiligen Seiten erwähnten Werken nicht hätten sein müssen), sondern als lustvolles Phantasieren darüber, wie es hätte sein können. Und ungeachtet der meist misslichen Lage der Frauen in den dreißig Jahren Erzählzeit, wünscht man sich, es wäre alles so gewesen mit diesen Könnerinnen.

Angela Steidele, übrigens eine begeisterte Bach-Chorsängerin, thematisiert die Unzuverlässigkeit einer jeden (auch ihrer) Romanrekonstruktion überdeutlich, wenn sie die betagte Dorothea, die am Ende des Siebenjährigen Kriegs im verheerten Sachsen mit der Niederschrift ihrer Erinnerungen an glücklichere Tage beginnt, durch deren Nichten darauf hinweisen lässt, dass so manches nicht stimmen könne. Luise Kulmus etwa kam erst nach der ersten Aufführung des Weihnachtsoratoriums nach Leipzig, um Gottsched zu heiraten. Aber das ändert nichts an der inneren Wahrhaftigkeit dieses Buchs, das mit seiner Vielstimmigkeit und den wechselnden Rhythmen der Erzählung selbst ein großes Oratorium geworden ist. Und wie Bachs Musik ein allzeit perfektes Weihnachtsgeschenk. ANDREAS PLATTHAUS

Angela Steidele: "Aufklärung". Roman.

Insel Verlag, Berlin 2022. 603 S., geb., 25,- Euro.

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