Ein Guckkasten, eine Indianerfigur, ein Schlafpelz, Goldmünzen, eine Wünschelrute, verästelte Bäume und eine Silenbüste: Ausgehend von diesen antik-exotisch oder verwunschen anmutenden Objekten vollzieht Martin Mulsow, unermüdlicher Chronist der Frühen Neuzeit, Tiefenbohrungen in die Welt um 1700 und führt voller Detailkenntnis ins brodelnde Zeitalter der Aufklärung. Fernab von Heldenerzählungen und den Routinen der Triumphgeschichte treten auf diese Weise Schicksale von Gelehrten vor Augen, die bereit waren, die alte Welt mit ihren Gedanken zu sprengen, aber an den Missständen und der Bequemlichkeit ihrer Mitmenschen verzweifelten. Es erscheinen wuchernde Wissensgeflechte aus kühler Rationalität und Okkultem sowie mal dunkle, mal glanzvolle Lese- und Bücherwelten aus heiligem Ernst und beißendem Spott. Nahezu haptisch wird so das geistige Klima einer Epoche fühlbar, die sich aufschwang, in Zweifel zu ziehen, was über Tausende von Jahren gegolten hatte: ein durchaus fremdes Zeitalter, das den Startschuss für eine Revolution der Skepsis gab, die bis heute anhält.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Peter Burschel besucht mit Martin Mulsow die Kabinette des skeptischen 18. Jahrhunderts und wirft ein Auge auf ihre "dingliche Ausstattung", auf Porzellanindianer, Schlafrock, Satyrfigur und Goldtaler. Inwieweit dieser "Nippes" als Sonden zum Wissen zwischen Barock und Aufklärung zu verstehen ist, macht ihm der Autor nachvollziehbar, indem er die mit ihnen verbundenen Vorstellungen und Sehnsüchte erläutert. So lernt Burschel etwa, dass der Schlafrock des Historikers Tobias Pfanner Distanz zum Hof bedeutete. Das Buch ist ein Glücksfall, findet Burschel.
© Perlentaucher Medien GmbH
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