Rechtsradikale Parteien und neofaschistische Gruppen werden zu einem immer größeren Problem an unseren Grenzen im Osten. Wahlsiege in Ungarn und Polen machen ebenso Schlagzeilen wie die blutige Jagd auf Minderheiten durch paramilitärische Gruppen oder Skinheads. Die Korrespondenten Gregor Mayer und Bernhard Odehnal beobachten seit Jahren die wachsende Bedrohung und sind dabei selbst in die Schusslinien geraten. In ihrem Buch beleuchten sie in Reportagen und Analysen die rechtsextreme Szene in Ungarn, der Slowakei, Tschechien, Polen, Kroatien und Bulgarien. Auf der Grundlage von Insiderinformationen stellen sie die ideologischen Hintergründe dar, die Führer, das Bedrohungspotenzial und die Querverbindungen zu rechtsradikalen Gruppen in Deutschland und Österreich. Und sie benennen deutlich die Gefahr, die von der nationalistischen Agitation ausgeht für die politische Stabilität der einzelnen Länder selbst wie für die Europäische Union insgesamt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2010Beunruhigende Fakten
Länderessays über Rechtsextremisten in Osteuropa
Zwei österreichische Mitteleuropa-Korrespondenten schlagen Alarm: In Osteuropa findet ein "Aufmarsch" der Rechtsextremisten statt; die "rechte Gefahr" bedrohe die Stabilität der Transformationsstaaten und betreffe auch Europa insgesamt. Beobachtungen und Recherchen "vor Ort" sind die Grundlage der Länderessays. Sie beschreiben die rechtsextreme Entwicklung und die gegenwärtige Situation in Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Kroatien, Serbien und Bulgarien. So entsteht eine Art journalistischer Verfassungsschutzbericht über die diversen kleinen Gruppierungen der Rechtsextremen, über ihre nationalistischen, neofaschistischen und rassistischen Ideologien und deren historische Wurzeln sowie vor allem über ihre gewaltsamen Aktivitäten.
Die Aggressionen richten sich gegen die Minderheiten im jeweiligen Land - "vor allem gegen Roma (in allen Ländern), gegen Juden (besonders in Ungarn, Serbien und der Slowakei), gegen andere Volksgruppen (Türken und Bulgarien), gegen Homosexuelle (praktisch überall)". Trotz aller lokalen Unterschiede stellen die Autoren insofern eine weitere Gemeinsamkeit fest, als die Gewaltexzesse in Ungarn, Tschechien und den Nachbarländern von einer neuen Generation in der rechtsextremen Szene verübt werden. Die alten nationalistischen Parteien treten von der Bühne ab; sie seien entweder in Auflösung begriffen oder hätten sich an den politischen Mainstream angepasst, was keineswegs zur Entwarnung Anlass gebe. Zumindest für Ungarn gelte, dass "extremistische, antisemitische und romafeindliche Haltungen und Meinungen bereits in hohem Maße die Mitte der Gesellschaft erreicht und sie durchdrungen" hätten. Hier zeige sich am deutlichsten, wie historische Traumata (der Verlust von einem Drittel des Vorkriegsterritoriums und von 3,2 Millionen ethnischen Ungarn durch den Friedensvertrag von Trianon), soziale Fehlentwicklungen nach der Wende 1989 und aktuelles Versagen der neuen politischen Eliten zusammenwirken und den Boden für rechtsextreme Gruppen bereiten.
Die Autoren verschweigen nicht, dass in den ethnischen Auseinandersetzungen Gewalt und Gegengewalt einander bedingen und dass oftmals viele Bürger, die sich mit ihren Problemen von der offiziellen Politik alleingelassen fühlen, bei den gewaltsamen Demonstrationen auf der Seite der Extremisten stehen, so zum Beispiel bei der Straßenschlacht in der hauptsächlich von Roma bewohnten Neubausiedlung Janov am Rande der nordböhmischen Kleinstadt Litvinov am 17. November 2008. Einen Lynchmord der Roma in Nordostungarn (am 15. Oktober 2006) nutzte die rechtsextreme Partei Jobbik, um ihre These von der "Zigeunerkriminalität" zu propagieren und die paramilitärische Organisation "Ungarische Garde" zu gründen. Sie wurde allerdings ein Jahr später gerichtlich verboten. Indes, die Saat des Hasses ging und geht auf. Morde an Roma sind zu beklagen; 2008/09 kam es zu einer Serie von Anschlägen auf Roma-Siedlungen mit sechs Toten.
So beunruhigend diese Fakten sind, so ergibt sich doch aus anderen Informationen der Autoren, dass entgegen ihrer pessimistischen Einschätzung die staatlichen Ordnungskräfte in Ungarn und in den anderen Ländern durchaus in der Lage sind, die rechtsextremistische Gefahr abzuwehren. Das Verbot der "Ungarischen Garde" und kürzlich das Verbot der tschechischen "Arbeiterpartei" sowie zahlreiche (wenn auch langwierige) Strafgerichtsprozesse sind deutliche Signale. Die Attraktivität von rechtsextremen Demonstrationen nimmt ab. Vor allem aber ist die rechtsextremistische Szene nach wie vor zersplittert. Kann man da von einem "Aufmarsch" sprechen? Sofern der Versuch zur Parteibildung unternommen wurde, war der Erfolg an den Wahlurnen minimal. Aber kann aus der Existenz der rechtsextremen Splittergruppen, deren transnationale Kontakte schon wegen der nationalistischen Ideologie sehr begrenzt sind, und kann aus dem relativen Wahlerfolg einer rechtsextremen Partei realistischerweise eine "rechte Gefahr aus Osteuropa" hergeleitet werden? Verwiesen sei beispielsweise darauf, dass die UK Independence Party bei der Europa-Wahl 17,4 Prozent der Stimmen und 13 Abgeordnete erhalten hat; trotzdem wird man nicht eine aus Westeuropa kommende rechte Gefahr an die Wand malen wollen. Prekär ist die Warnung der Autoren, dass es als Folge des ethnischen Hasses "auch einmal zu spontanen und dann zunehmend organisierten Formen der Gegengewalt" kommen könnte.
WERNER LINK
Gregor Mayer/Bernhard Odehnal: Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa. Mit einem Geleitwort von Paul Lendvai. Residenz Verlag, St. Pölten, Salzburg 2010. 297 S., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Länderessays über Rechtsextremisten in Osteuropa
Zwei österreichische Mitteleuropa-Korrespondenten schlagen Alarm: In Osteuropa findet ein "Aufmarsch" der Rechtsextremisten statt; die "rechte Gefahr" bedrohe die Stabilität der Transformationsstaaten und betreffe auch Europa insgesamt. Beobachtungen und Recherchen "vor Ort" sind die Grundlage der Länderessays. Sie beschreiben die rechtsextreme Entwicklung und die gegenwärtige Situation in Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Kroatien, Serbien und Bulgarien. So entsteht eine Art journalistischer Verfassungsschutzbericht über die diversen kleinen Gruppierungen der Rechtsextremen, über ihre nationalistischen, neofaschistischen und rassistischen Ideologien und deren historische Wurzeln sowie vor allem über ihre gewaltsamen Aktivitäten.
Die Aggressionen richten sich gegen die Minderheiten im jeweiligen Land - "vor allem gegen Roma (in allen Ländern), gegen Juden (besonders in Ungarn, Serbien und der Slowakei), gegen andere Volksgruppen (Türken und Bulgarien), gegen Homosexuelle (praktisch überall)". Trotz aller lokalen Unterschiede stellen die Autoren insofern eine weitere Gemeinsamkeit fest, als die Gewaltexzesse in Ungarn, Tschechien und den Nachbarländern von einer neuen Generation in der rechtsextremen Szene verübt werden. Die alten nationalistischen Parteien treten von der Bühne ab; sie seien entweder in Auflösung begriffen oder hätten sich an den politischen Mainstream angepasst, was keineswegs zur Entwarnung Anlass gebe. Zumindest für Ungarn gelte, dass "extremistische, antisemitische und romafeindliche Haltungen und Meinungen bereits in hohem Maße die Mitte der Gesellschaft erreicht und sie durchdrungen" hätten. Hier zeige sich am deutlichsten, wie historische Traumata (der Verlust von einem Drittel des Vorkriegsterritoriums und von 3,2 Millionen ethnischen Ungarn durch den Friedensvertrag von Trianon), soziale Fehlentwicklungen nach der Wende 1989 und aktuelles Versagen der neuen politischen Eliten zusammenwirken und den Boden für rechtsextreme Gruppen bereiten.
Die Autoren verschweigen nicht, dass in den ethnischen Auseinandersetzungen Gewalt und Gegengewalt einander bedingen und dass oftmals viele Bürger, die sich mit ihren Problemen von der offiziellen Politik alleingelassen fühlen, bei den gewaltsamen Demonstrationen auf der Seite der Extremisten stehen, so zum Beispiel bei der Straßenschlacht in der hauptsächlich von Roma bewohnten Neubausiedlung Janov am Rande der nordböhmischen Kleinstadt Litvinov am 17. November 2008. Einen Lynchmord der Roma in Nordostungarn (am 15. Oktober 2006) nutzte die rechtsextreme Partei Jobbik, um ihre These von der "Zigeunerkriminalität" zu propagieren und die paramilitärische Organisation "Ungarische Garde" zu gründen. Sie wurde allerdings ein Jahr später gerichtlich verboten. Indes, die Saat des Hasses ging und geht auf. Morde an Roma sind zu beklagen; 2008/09 kam es zu einer Serie von Anschlägen auf Roma-Siedlungen mit sechs Toten.
So beunruhigend diese Fakten sind, so ergibt sich doch aus anderen Informationen der Autoren, dass entgegen ihrer pessimistischen Einschätzung die staatlichen Ordnungskräfte in Ungarn und in den anderen Ländern durchaus in der Lage sind, die rechtsextremistische Gefahr abzuwehren. Das Verbot der "Ungarischen Garde" und kürzlich das Verbot der tschechischen "Arbeiterpartei" sowie zahlreiche (wenn auch langwierige) Strafgerichtsprozesse sind deutliche Signale. Die Attraktivität von rechtsextremen Demonstrationen nimmt ab. Vor allem aber ist die rechtsextremistische Szene nach wie vor zersplittert. Kann man da von einem "Aufmarsch" sprechen? Sofern der Versuch zur Parteibildung unternommen wurde, war der Erfolg an den Wahlurnen minimal. Aber kann aus der Existenz der rechtsextremen Splittergruppen, deren transnationale Kontakte schon wegen der nationalistischen Ideologie sehr begrenzt sind, und kann aus dem relativen Wahlerfolg einer rechtsextremen Partei realistischerweise eine "rechte Gefahr aus Osteuropa" hergeleitet werden? Verwiesen sei beispielsweise darauf, dass die UK Independence Party bei der Europa-Wahl 17,4 Prozent der Stimmen und 13 Abgeordnete erhalten hat; trotzdem wird man nicht eine aus Westeuropa kommende rechte Gefahr an die Wand malen wollen. Prekär ist die Warnung der Autoren, dass es als Folge des ethnischen Hasses "auch einmal zu spontanen und dann zunehmend organisierten Formen der Gegengewalt" kommen könnte.
WERNER LINK
Gregor Mayer/Bernhard Odehnal: Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa. Mit einem Geleitwort von Paul Lendvai. Residenz Verlag, St. Pölten, Salzburg 2010. 297 S., 21,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Ein mutiges und bisher tabuisiertes Thema gehen die Journalisten Gregor Mayer und Bernhard Odehnal in ihrem neuen Buch "Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa" an, meint die Rezensentin Alice Bota. In investigativen Recherchen, so Bota, untersuchen die Autoren die Bedrohungen, die von Rechten und Rechtsextremen aus sechs Ländern Osteuropas (eigentlich Mittelosteuropas weiß die Rezensentin) ausgehen. So würde der Einfluss rechter Gruppierungen und Parteien immer größer,die Vernetzung untereinander stärker und die Politiker der etablierten Parteien zunehmend hilfloser. Bota weist auf das besonders ausführliche Kapitel über Ungarn und seinen demokratiefeindlichen Ministerpräsidenten Viktor Orban hin; hier zeige sich deutlich, wie ein rechtskonservativer Populist durch nationalistische Äußerungen die Macht der Rechten gestärkt habe. Vor allem die rechten ungarischen Medien seien es auch, informiert Bota auch, von denen die meisten Anfeindungen gegen die beiden Autoren ausgingen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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