Mit Musik kennt Beat, der Held dieses Romans, sich aus. Mit Frauen auch. Immerhin hat er viele Filme gesehen, viele Bücher gelesen. Was zwar nicht immer hilft, manchmal aber schon. Drei Jobs braucht Beat, um sich über Wasser zu halten: Er kellnert im Heaven, schreibt gelegentlich Musikkritiken und beliefert einen Pornoproduzenten mit »Ideen«, mit Bildern, die er aus seinem Leben »schießt«. Doch aus seiner beengten Lebenssituation hat ihn das nicht geführt, es ist keine gute Zeit für die Generation der schwindenden Chancen. Wie ein Seismograf nimmt Beat die unterschwellige Aggression wahr, die die Leute mühsam oder gar nicht mehr unter Kontrolle haben. Wie der Mann, der vor ihm in der Straßenbahn sitzt und plötzlich ausrastet. Wann ist er selbst soweit? Er muss dringend aufräumen in seinem Leben. Vor allem jedoch muss er die Sache mit dem Pornoproduzenten und der Polizei klären. Erst dann kann er sich auf Monika konzentrieren, die Frau mit den Singles. Die Musik liebt und auflegt.Mit der das Leben anders sein könnte. »Aufräumen« erzählt vom Leben eines Mannes, der am Rande der Gesellschaft steht und nicht wieder in sie hinein findet. Er erzählt von Blessuren und Verletzungen, von Wutschüben und Hoffnung, von früheren Wünschen und jetzigen Illusionen. Von Frauen und vom Träumen, von der Kraft der Musik und, immer wieder, von der Liebe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.07.2008Kübelkartoffelsalat
Am falschen Ende der Beat-Generation: Franz Doblers neuer Roman handelt von einem abgehalfterten Retrofreak, der sich nach dem großen Reinemachen sehnt.
Gründe zum Aufräumen gibt es für den fünfundvierzigjährigen Beat genug: Mit keinem seiner drei Jobs ist er zufrieden, dazu gehen ihm die Nachbarn in seiner Wohngemeinschaft zunehmend auf die Nerven, hören sie doch ständig diesen "pseudomodernen Kifferstadionschrottrock", den Beat verachtet. Seine musikalische Vorliebe gilt den sechziger Jahren, deshalb würde er die jungen Leute am liebsten in ein "Musikinternat unter Talibanführung" einweisen lassen.
So wird verständlicherweise die Schar von Beats Freunden immer kleiner, und nun verfolgt ihn auch noch Dieter, einer seiner Chefs. Der glaubt nämlich, Beat habe die Polizei auf ihn gehetzt. Einen Anlass dafür gäbe es durchaus, denn Dieter vertreibt längst nicht mehr allein die harmlos-witzigen Sexfilme, für die ihm Beat seit langem Ideen aus dem Fundus seiner eigenen erotischen Phantasien liefert - Haustürmissionarinnen und Politessen spielen dabei eine wichtige Rolle. Jetzt handelt Dieter mit gewalttätiger, menschenverachtender Ware, und das verabscheut der Moralist Beat zutiefst; sein Ehrenkodex verbietet ihm freilich auch, Dieter zu verraten.
Kein Wunder also, dass Beat seinen Tag in gereizter Stimmung beginnt und überall auf ebenfalls gereizte Menschen trifft. In der morgendlichen Straßenbahn begegnet ihm ein "austickender Mann", den Beat fasziniert beobachtet und dessen aggressives Gebrüll er für sich in rhythmischen Wohlklang verwandelt - womit einmal mehr bewiesen wäre, dass die besten Songs, wie Beat zu wissen glaubt, "einfach auf der Straße" liegen: "45 und alles ist weg / 45 und du liegst im Dreck / aber nicht mit mir, yeah / ich hol mir alles zurück, yeah / alles, alles zurück".
Diese scheinbar mit leichter Hand improvisierten Verse finden sich am Anfang des schmalen Romans. Der Ton, den sie vorgeben, hält bis zum Ende durch: Franz Dobler erzählt die Geschichte seines Helden Beat in einem wohlkalkulierten Rhythmus, bei dem sich atemlose Passagen mit ruhigeren Sequenzen abwechseln und in dem immer wieder dieselben Leitmotive variiert werden: Beats innere Unruhe und seine Furcht davor, die Kontrolle über sich zu verlieren, seine Liebe zur Musik und vor allem seine wachsende Leidenschaft für die attraktive Monika, die wie er in einer Diskothek auflegt und die er gerade erst kennengelernt hat.
Franz Dobler, der selbst immer noch gern als Discjockey arbeitet, weiß sehr genau, welchen Sog ein kraftvoller Rhythmus entfalten kann. Davon zeugt unter anderem seine vielgerühmte Biographie von Johnny Cash aus dem Jahre 2002. Aber schon sein Debütroman "Tollwut" (1991) bestach durch das Tempo, mit dem die Geschichte des jungen Matthias erzählt ist, der zum Verbrecher wird, weil der elterliche Bauernhof an einen Spekulanten fällt.
Für seinen neuen Roman hat sich der 1959 geborene Dobler Zeit gelassen. In den letzten Jahren veröffentlichte er vor allem kleine Glossen und Geschichten, von denen manche in seiner Wahlheimat Augsburg spielen und die von unangepassten, schrägen Typen erzählen, die mit den Spielregeln der modernen Wohlstandsgesellschaft nur schwer zurechtkommen. Einen solchen liebenswürdigen Außenseiter hat er nun also ins Zentrum seines neuen Romans gestellt: Beat, dessen Name zwar meist korrekt zweisilbig ausgesprochen, von seinen Freunden aber auch als Kommentar zu seiner musikhistorischen Verortung verstanden wird, lebt, wie es im Jargon der modernen Soziologie heißt, in prekären Arbeitsverhältnissen: An einem Tag der Woche kellnert er im "Heaven", einem dieser Edelschuppen, zu deren Stammgästen das "klassische Arschlochkind von reichen Eltern gehört", das von Beat und seinen Kollegen natürlich souverän in seine Schranken verwiesen wird. Daneben schreibt Beat Musikkritiken für ein obskures Magazin und verkauft seine erotischen Phantasien an den Filmproduzenten Dieter, der aber längst, wie gesagt, auf brutalere Stoffe setzt.
Das alles klingt ein wenig nach überholter Sozialromantik, doch ist Franz Dobler ein zu guter Erzähler, um das schlichte Klischee vom guten Leben jenseits der bürgerlichen Moral neu aufzuwärmen. So fällt sein Held immer wieder aus allen Rollen heraus, die man ihm beim Lesen zuschreiben möchte: Der vermeintliche Genussmensch Beat hat zu Hause eine Sammlung mit psychopathologischer Literatur, zu deren Hauptwerken das "Buch Amok" gehört, eine Studie über Amokläufer und Massenmörder, die er mit Hingabe durcharbeitet. Um seinen krebskranken Freund Kossinsky, dessen draufgängerische Rhetorik durchaus der seines Namensvetters aus Schillers "Räubern" entspricht, kümmert sich Beat mit erstaunlicher Fürsorge; und zu seinen Lieblingskneipen gehört das brave "Bei Gerda", dessen Chefin "Kübelkartoffelsalat" mit Würstchen serviert.
Vor allem aber versteht Franz Dobler meisterhaft das Spiel mit populären Genres. Die Liebesgeschichte zwischen Beat und Monika entwickelt sich innerhalb weniger Kapitel zu einem rasanten verbal-erotischen Schlagabtausch, der an die amüsanten Wortgefechte von Hollywoods frühen Screwball-Komödien erinnert. Filmische Reminiszenzen weckt auch die Konfrontation Beats mit seinem Verfolger Dieter, dem fiesen Porno-Produzenten. Der große Showdown findet auf der Terrasse eines Frühstücksrestaurants statt, wo in wohlgeordneter Choreographie Gut und Böse aufeinandertreffen - High Noon zwischen Apfelschorle und erstem Bier.
Die immer absurder wirkende, auf ein wunderbar kitschiges Happy End zusteuernde Handlung darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, wie genau Franz Dobler seinen Roman konstruiert hat. Das äußere Geschehen spielt sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden ab, entspricht also genau einem Sonnenumlauf, wie es Aristoteles als Zeitmaß für große Dramen festgelegt hat. Und wie in einem wohlgebauten Theaterstück gibt es auch in Doblers Roman keine blinden Motive oder lockeren Handlungsfäden. Selbst der "austickende Mann" aus der Straßenbahn kreuzt ganz am Ende noch einmal Beats Weg, was beinahe zu einem tragischen Ende führt. Die Katastrophe bleibt allerdings aus; denn wenn auch keine antiken Götter über Beats Geschick walten, retten ihn immerhin die Gattungsgesetze der Komödie. Auch davon versteht Franz Dobler eine Menge.
SABINE DOERING.
Franz Dobler: "Aufräumen". Roman. Verlag Antje Kunstmann, München 2008. 206 S., geb., 17,90 [Euro].
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Am falschen Ende der Beat-Generation: Franz Doblers neuer Roman handelt von einem abgehalfterten Retrofreak, der sich nach dem großen Reinemachen sehnt.
Gründe zum Aufräumen gibt es für den fünfundvierzigjährigen Beat genug: Mit keinem seiner drei Jobs ist er zufrieden, dazu gehen ihm die Nachbarn in seiner Wohngemeinschaft zunehmend auf die Nerven, hören sie doch ständig diesen "pseudomodernen Kifferstadionschrottrock", den Beat verachtet. Seine musikalische Vorliebe gilt den sechziger Jahren, deshalb würde er die jungen Leute am liebsten in ein "Musikinternat unter Talibanführung" einweisen lassen.
So wird verständlicherweise die Schar von Beats Freunden immer kleiner, und nun verfolgt ihn auch noch Dieter, einer seiner Chefs. Der glaubt nämlich, Beat habe die Polizei auf ihn gehetzt. Einen Anlass dafür gäbe es durchaus, denn Dieter vertreibt längst nicht mehr allein die harmlos-witzigen Sexfilme, für die ihm Beat seit langem Ideen aus dem Fundus seiner eigenen erotischen Phantasien liefert - Haustürmissionarinnen und Politessen spielen dabei eine wichtige Rolle. Jetzt handelt Dieter mit gewalttätiger, menschenverachtender Ware, und das verabscheut der Moralist Beat zutiefst; sein Ehrenkodex verbietet ihm freilich auch, Dieter zu verraten.
Kein Wunder also, dass Beat seinen Tag in gereizter Stimmung beginnt und überall auf ebenfalls gereizte Menschen trifft. In der morgendlichen Straßenbahn begegnet ihm ein "austickender Mann", den Beat fasziniert beobachtet und dessen aggressives Gebrüll er für sich in rhythmischen Wohlklang verwandelt - womit einmal mehr bewiesen wäre, dass die besten Songs, wie Beat zu wissen glaubt, "einfach auf der Straße" liegen: "45 und alles ist weg / 45 und du liegst im Dreck / aber nicht mit mir, yeah / ich hol mir alles zurück, yeah / alles, alles zurück".
Diese scheinbar mit leichter Hand improvisierten Verse finden sich am Anfang des schmalen Romans. Der Ton, den sie vorgeben, hält bis zum Ende durch: Franz Dobler erzählt die Geschichte seines Helden Beat in einem wohlkalkulierten Rhythmus, bei dem sich atemlose Passagen mit ruhigeren Sequenzen abwechseln und in dem immer wieder dieselben Leitmotive variiert werden: Beats innere Unruhe und seine Furcht davor, die Kontrolle über sich zu verlieren, seine Liebe zur Musik und vor allem seine wachsende Leidenschaft für die attraktive Monika, die wie er in einer Diskothek auflegt und die er gerade erst kennengelernt hat.
Franz Dobler, der selbst immer noch gern als Discjockey arbeitet, weiß sehr genau, welchen Sog ein kraftvoller Rhythmus entfalten kann. Davon zeugt unter anderem seine vielgerühmte Biographie von Johnny Cash aus dem Jahre 2002. Aber schon sein Debütroman "Tollwut" (1991) bestach durch das Tempo, mit dem die Geschichte des jungen Matthias erzählt ist, der zum Verbrecher wird, weil der elterliche Bauernhof an einen Spekulanten fällt.
Für seinen neuen Roman hat sich der 1959 geborene Dobler Zeit gelassen. In den letzten Jahren veröffentlichte er vor allem kleine Glossen und Geschichten, von denen manche in seiner Wahlheimat Augsburg spielen und die von unangepassten, schrägen Typen erzählen, die mit den Spielregeln der modernen Wohlstandsgesellschaft nur schwer zurechtkommen. Einen solchen liebenswürdigen Außenseiter hat er nun also ins Zentrum seines neuen Romans gestellt: Beat, dessen Name zwar meist korrekt zweisilbig ausgesprochen, von seinen Freunden aber auch als Kommentar zu seiner musikhistorischen Verortung verstanden wird, lebt, wie es im Jargon der modernen Soziologie heißt, in prekären Arbeitsverhältnissen: An einem Tag der Woche kellnert er im "Heaven", einem dieser Edelschuppen, zu deren Stammgästen das "klassische Arschlochkind von reichen Eltern gehört", das von Beat und seinen Kollegen natürlich souverän in seine Schranken verwiesen wird. Daneben schreibt Beat Musikkritiken für ein obskures Magazin und verkauft seine erotischen Phantasien an den Filmproduzenten Dieter, der aber längst, wie gesagt, auf brutalere Stoffe setzt.
Das alles klingt ein wenig nach überholter Sozialromantik, doch ist Franz Dobler ein zu guter Erzähler, um das schlichte Klischee vom guten Leben jenseits der bürgerlichen Moral neu aufzuwärmen. So fällt sein Held immer wieder aus allen Rollen heraus, die man ihm beim Lesen zuschreiben möchte: Der vermeintliche Genussmensch Beat hat zu Hause eine Sammlung mit psychopathologischer Literatur, zu deren Hauptwerken das "Buch Amok" gehört, eine Studie über Amokläufer und Massenmörder, die er mit Hingabe durcharbeitet. Um seinen krebskranken Freund Kossinsky, dessen draufgängerische Rhetorik durchaus der seines Namensvetters aus Schillers "Räubern" entspricht, kümmert sich Beat mit erstaunlicher Fürsorge; und zu seinen Lieblingskneipen gehört das brave "Bei Gerda", dessen Chefin "Kübelkartoffelsalat" mit Würstchen serviert.
Vor allem aber versteht Franz Dobler meisterhaft das Spiel mit populären Genres. Die Liebesgeschichte zwischen Beat und Monika entwickelt sich innerhalb weniger Kapitel zu einem rasanten verbal-erotischen Schlagabtausch, der an die amüsanten Wortgefechte von Hollywoods frühen Screwball-Komödien erinnert. Filmische Reminiszenzen weckt auch die Konfrontation Beats mit seinem Verfolger Dieter, dem fiesen Porno-Produzenten. Der große Showdown findet auf der Terrasse eines Frühstücksrestaurants statt, wo in wohlgeordneter Choreographie Gut und Böse aufeinandertreffen - High Noon zwischen Apfelschorle und erstem Bier.
Die immer absurder wirkende, auf ein wunderbar kitschiges Happy End zusteuernde Handlung darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, wie genau Franz Dobler seinen Roman konstruiert hat. Das äußere Geschehen spielt sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden ab, entspricht also genau einem Sonnenumlauf, wie es Aristoteles als Zeitmaß für große Dramen festgelegt hat. Und wie in einem wohlgebauten Theaterstück gibt es auch in Doblers Roman keine blinden Motive oder lockeren Handlungsfäden. Selbst der "austickende Mann" aus der Straßenbahn kreuzt ganz am Ende noch einmal Beats Weg, was beinahe zu einem tragischen Ende führt. Die Katastrophe bleibt allerdings aus; denn wenn auch keine antiken Götter über Beats Geschick walten, retten ihn immerhin die Gattungsgesetze der Komödie. Auch davon versteht Franz Dobler eine Menge.
SABINE DOERING.
Franz Dobler: "Aufräumen". Roman. Verlag Antje Kunstmann, München 2008. 206 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Kein Pop weit und breit, und Anton Thuswaldner ist heilfroh darüber. Franz Dobler nennt er respektvoll den Hardrocker unter den literarischen Zeitgenossen. Die Figuren in diesem Roman erscheinen Thuswaldner als tickende Zeitbomben, kaputt und voller Angst und Hass. Den Helden selbst kann er sich nur untergehend vorstellen, ein guter Kerl zwar, aber ohne Chance. Darin erinnert das Buch ihn an Döblins "Berlin Alexanderplatz" und Franz Biberkopf. Will er den Text als Lehrstück begreifen, was ihm Doblers "Brechtsche Emphase" nahelegt, so nur als eines ohne Lehre. Das macht für ihn noch kein großes Buch, doch die Lust des Autors "dem Kapitalismus sprachlich" zu begegnen, die hat ihm imponiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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