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  • ISBN-13: 9783746680088
  • ISBN-10: 3746680085
  • Artikelnr.: 24138761
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.2000

Diener ihrer Herren
Drei ehemalige SED-Funktionäre erinnern sich an schlechte Zeiten und finden die neuen nicht besser

Karl Schirdewan: Aufstand gegen Ulbricht. Im Kampf um politische Kurskorrektur, gegen stalinistische, dogmatische Politik. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1999, 3. Auflage. 224 Seiten, 14,90 Mark.

Harry Möbis: Von der Hoffnung gefesselt. Zwischen Stoph und Mittag - unter Modrow. Frankfurter Oder Editionen, Berlin 1999. 514 Seiten, 39,80 Mark.

Harri Czepuck: Meine Wendezeiten. Erinnerungen Erwägungen Erwartungen. Karl Dietz Verlag Berlin, Berlin 1999. 448 Seiten, 39,80 Mark.

Karl Schirdewan hätte als Titel für seine Erinnerungen nicht "Aufstand gegen Ulbricht" gewählt. Den Titel wählte der Verlag. Schirdewan hat das nicht verhindert, sich aber im Vorwort ein wenig distanziert. Er wusste, dass er als SED-Politbüromitglied nie einen Aufstand gegen Ulbricht geprobt hat. Dass er aber als ein spät, 1990, rehabilitierter Held gegen Ulbricht gefeiert wurde, tat ihm gut. Auch Gerhard Ziller, Fred Oelßner und Ernst Wollweber waren nicht Aufständische. Ebenso wenig Wilhelm Zaisser und Rudolf Herrnstadt.

Diese Namen werden genannt, wenn von einer innerparteilichen Opposition in der SED in den fünfziger Jahren gesprochen wird. Dabei ist der Begriff innerparteiliche Opposition schon irreführend, denn auch das gab es nicht. Es gab bestenfalls unterschiedliche Auffassungen über den Kurs der Partei, die immer dann zu Tage traten, wenn sich dem diktatorischen Machtanspruch der SED Widerstände entgegenstellten. Schirdewan nennt diese Widerstände in seinen Erinnerungen: der voreilige Beschluss der 2. SED-Parteikonferenz von 1952, mit dem Aufbau des Sozialismus zu beginnen, der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953, vor allem aber der XX. Parteitag der KPdSU.

Schirdewan war Gast dieses Parteitags, von der Geheimrede Chruschtschows jedoch erfuhr er erst einen Tag später. Er hielt damals die Zeit für gekommen, mehr innerparteiliche Demokratie auch in der SED durchzusetzen: "Ich wollte Karrieristen den Weg des Aufstiegs versperren und auch der Vetternwirtschaft entgegenwirken." Er habe, schreibt er, dabei keinen Geheimbund, keine Plattform bilden wollen. "Ein eigenes schriftliches politisches Programm hatte ich nicht, konnte ich nicht haben. Eine solche Ausarbeitung wäre als Plattform gebrandmarkt und als Todsünde gegen die Einheit der Partei verurteilt worden."

Immerhin schaffte es Schirdewan, sich als reformfreudiger Funktionär zu präsentieren und damit als der Mann gegen und später möglicherweise nach Ulbricht. Er verlor jedoch den Machtkampf im Politbüro. 1998 ist er gestorben, er hat also den Untergang der DDR und die Einheit Deutschlands erlebt. Sein Kommentar: "Die schreckliche soziale Situation, die in den Ländern der ehemaligen DDR entstanden ist, hat ihre Quellen in der unglaublichen Profitsucht, die mit dem Einigungsvertrag ihren Anfang nahm."

Schirdewan wurde zu einem Opfer des Systems, weshalb er als politischer Held galt. Seine Memoiren zeigen jedoch, dass er wie Ulbricht oder Honecker ein unbelehrbarer kommunistischer Funktionär war, der nie eingesehen hätte, dass die DDR am Sozialismus gescheitert ist und nicht an der "Profitsucht" des Kapitalismus. Das macht die Frage zweitrangig, ob eine Schirdewan-SED besser als eine Ulbricht-SED geworden wäre.

Trotzdem kann Schirdewan noch als ein interessanter Mann gelten, dessen Erinnerungen historischen Wert haben. Über andere ehemalige SED-Funktionäre lässt sich das nicht sagen, was sie nicht hindert, gleichfalls Erinnerungsbücher vorzulegen. Früher waren sie stille, graue Funktionäre, heute sind sie Helden. Harry Möbis war seit 1967 bis zum Ende der Regierung von Hans Modrow Staatssekretär beim Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, dem DDR-Regierungschef. Zuvor hatte er beim Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet und als Abteilungsleiter des Volkswirtschaftsrats, der "als Organ für die Stabilisierung der Volkswirtschaft und zur Organisation der Plandurchführung gebildet worden" war und nur vier Jahre bestand.

Immerhin nimmt sich Möbis in seinem dicken Buch persönlich zurück, er sieht sich als Diener seines Herrn. Dieser Herr hieß jahrzehntelang Willi Stoph, eine kurze Zeit lang Horst Sindermann und schließlich Hans Modrow. Im ersten Teil des Buches gelingt ihm eine mitunter packende Darstellung. Er schildert, wie der Einfluss des Ministerrates in der Wirtschaft zurückgedrängt wurde zugunsten des Politbüros. Möbis sieht in Günter Mittag, dem Wirtschaftssekretär des Politbüros, den Schuldigen. Er beschreibt die Selbstherrlichkeit Mittags, nennt ihn psychisch krank und sieht in ihm eine Ursache des DDR-Untergangs. Die SED-Wirtschaftspolitik sei am Ende nur noch Aktionismus gewesen, auf den der Ministerrat keinerlei Einfluss mehr gehabt habe. Selbst über die Devisensituation der DDR sei der Ministerrat nicht mehr informiert worden.

Der ehemalige Staatssekretär berichtet von Sorgen des Ministerrates, die heute nur noch kurios klingen. Anfang der achtziger Jahre sollte der Kaffee-Export reduziert werden, neue Kaffeemischungen fast ohne Kaffee wurden im kleinsten Kreis verkostet und schon dort für ungenießbar erklärt. Die DDR-Bevölkerung wehrte sich gegen diese neue Zumutung. Die Kaffemischungen blieben unbeachtet, die DDR musste wieder mehr Kaffee importieren. Damen-Slips, Fahrräder, Bleikristall oder Mischbatterien wurden zu Themen im Polibüro. Möbis schlussfolgert: Eine andere Wirtschaftspolitik wäre notwendig gewesen, die Wirtschaft hätte nicht in die Hände Mittags gelegt werden dürfen.

Die Erfahrungen im "Apparat", wie er den Ministerrat nennt, haben Möbis nicht genügt, ihn über sozialistische Wirtschaftspolitik zu belehren. Unter Modrow erwartete er, "eine wirkliche Erneuerung des Sozialismus in der DDR offen zu diskutieren". Die Entwicklung lief zum Glück anders. List und Täuschung wirft Möbis der Opposition vor, die sich im Herbst 1989 formiert hatte: "Sie waren in der Wahl ihrer Mittel und Methoden keineswegs moralischer als manche Funktionäre der SED, die vorgaben, dass man im Interesse der Arbeiterklasse sogar lügen und betrügen könne."

Peinlich wird das Buch, wenn Möbis die Bürgerrechtler als dumm und cholerisch darstellt. Rainer Eppelmann, heute Bundestagsabgeordneter der CDU, habe die Modrow-Regierung hinters Licht geführt. Wolfgang Ullmann sei kleinlich und rechthaberisch, Matthias Platzeck, heute Oberbürgermeister von Potsdam, gebrauche populistische Rhetorik.

Was als Bericht über die DDR-Wirtschaftspolitik interessant beginnt, endet in der Larmoyanz eines alternden SED-Funktionärs, der sich um seinen Lebensinhalt betrogen glaubt. Dem Buch hätte man einen durchsetzungsfähigeren Lektor gewünscht, der gut kürzen kann.

Das gilt ebenso für das unsägliche Buch von Harri Czepuck. Czepuck war Bonn-Korrespondent der SED-Zeitung Neues Deutschland, danach stellvertretender Chefredakteur, später Vorsitzender des DDR-Journalistenverbandes. Wenn Möbis glaubte, die DDR retten zu können durch eine neue sozialistische Wirtschaftspolitik, so war für Czepuck das Informationswesen der DDR schuld an ihrem Untergang. Aber, setzt er sofort hinzu, heute sei alles noch viel schlimmer. "Wenn ich die heutige, ziemlich auf einer Wellenlänge geschaltete deutsche Presse lese, verfalle ich auch nicht in Freudentaumel über ihren Stil.

Es gab sogenanntes Parteichinesisch nicht nur bei der SED", schreibt er auf Seite 116. Da hat der Leser schon Kapitel wie "Betrachtungen am Ende eines Jahrhunderts" und "Betrachtungen über den Verlauf eines Jahrhunderts" hinter sich. Wer sich dann noch weiter quält, stößt auf Sätze wie: "Für uns Deutsche gilt der deutsche Tellerrand, sei er nun aus Meissener Porzellan oder schlichter Plaste (ich verwende nicht das westdeutsche Unwort Plastik, weil es zwar aus dem Amerikanischen übernommen wurde, aber im Deutschen begrifflich nicht richtig ist) als Orientierungsmaßstab." Oder: "Die Geschichtsschreibung wird eines Tages sicher noch auf die Frage von Notwendigkeit und Möglichkeit der DDR zurückkommen müssen und es nicht nur bei dem Versuch belassen, es mit einer Fußnote abzutun. Die deutsche Gegenwart, nach der Vergrößerung Deutschlands auf Kosten von 17 Millionen Ostdeutschen (vielleicht nur 16,5, weil vielleicht eine halbe Million sich noch zu den Gewinnern der Einheit zählen kann), bestätigt, dass 40 Jahre Existenz der DDR verhindert haben, was jetzt auf uns zukommen könnte."

Dass Czepuck mit seinem dickleibigen Langweiler noch durch die Bibliotheken zieht, ist eine Errungenschaft der deutschen Freiheit, gegen die er so wettert. Czepuck merkt es nicht, er ist auch schon 71 Jahre alt. Aber der Verlag hätte merken können, mit welchem Unsinn er seinen Ruf ruiniert.

FRANK PERGANDE

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