Marktplatzangebote
14 Angebote ab € 8,80 €
  • Gebundenes Buch

Für den größten Teil des 20. Jahrhunderts warder Kommunismus weltweit die beherrschende politische Bewegung. Seine ideologischen Wurzeln liegen tief im 19. Jahrhundert, beginnend mit dem berühmten "Manifest" von Marx und Engels. Mit der Oktoberrevolution 1917 gewann er staatliche Gewalt im größten Land der Erde und wurde rasch zum Leitbild nicht nur der Dritten Welt, sondern auch breiter Kreise im Westen. Mit der chinesischen Revolution 1949 und den antikolonialen Befreiungsbewegungen schien er seinen globalen Siegeszug zu vollenden. Dann folgte der Untergang der Sowjetunion und ihrer…mehr

Produktbeschreibung
Für den größten Teil des 20. Jahrhunderts warder Kommunismus weltweit die beherrschende politische Bewegung. Seine ideologischen Wurzeln liegen tief im 19. Jahrhundert, beginnend mit dem berühmten "Manifest" von Marx und Engels. Mit der Oktoberrevolution 1917 gewann er staatliche Gewalt im größten Land der Erde und wurde rasch zum Leitbild nicht nur der Dritten Welt, sondern auch breiter Kreise im Westen. Mit der chinesischen Revolution 1949 und den antikolonialen Befreiungsbewegungen schien er seinen globalen Siegeszug zu vollenden. Dann folgte der Untergang der Sowjetunion und ihrer Trabanten in Osteuropa. Abgesehen von China, das sich wirtschaftlich und auch politisch öffnet, gibt es heute nur noch drei kommunistische Staaten: Kuba, Nordkorea und Vietnam.
Zeit also für eine große Bilanz dieser folgen- und opferreichsten politischen Ideologie der vergangenen Epoche. Sie wird von einem der weltweit führenden Kommunismus-Experten vorgelegt : Archie Brown, Professor für Politische Wissenschaften an der Oxford University. Souverän schildert er die Entwicklung der kommunistischen Idee vom 1848 veröffentlichten "Kommunistischen Manifest" über die Gründung kommunistischer Parteien, die Weltkriegsepoche bis hin zur Ost-West-Konfrontation im Kalten Krieg und zum Niedergang des Kommunismus als politischer und ideologischer Faktor der Weltpolitik.
Autorenporträt
Archie Brown, geboren 1938, bis zu seiner Emeritierung 2005 Professor für Politische Wissenschaften an der Oxford University und Fellow des dortigen St. Anthony's College. Zahlreiche Gastprofessuren im In- und Ausland, Mitglied der British Academy seit 1991, Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Sciences. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte der Sowjetunion und des Kommunismus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2009

Der Glaube an die Formbarkeit der Welt
Archie Browns Geschichte des Kommunismus nimmt die Propaganda beim Wort

Solange die sozialen Verhältnisse Ungleichheit und Ungerechtigkeit erzeugen, werden Menschen der Versuchung nicht widerstehen können, nach Lösungen zu suchen, die scheinbar endgültig sind. Und deshalb ist die Frage, was der Kommunismus war, nicht nur für das Verständnis des vergangenen, sondern auch des gegenwärtigen Geschehens von Belang. Aber was war der Kommunismus? Eine Idee? Eine Bewegung, die sich aus Ideen hervorbrachte? Wer nur von Ideen spricht, wird auf die Frage, was der Kommunismus war, keine zufriedenstellende Antwort bekommen.

Zwar hatten alle kommunistischen Regime eindeutige Vorstellungen darüber, wie mit der Vielfalt der Wirklichkeit zu verfahren sei. Aber die Antworten, die Kommunisten auf diese Herausforderung gegeben haben, waren so verschieden wie die Wirklichkeiten, die sie verändern wollten. Das ist auch der Grund, warum das kommunistische Experiment in der Sowjetunion und in China mehrere Millionen Menschen das Leben kostete oder um ihre Freiheit brachte, während die späte Diktatur in der DDR zwar für viele Menschen bedrückend, aber kaum mehr lebensbedrohlich gewesen ist. Es gab in der DDR keine Deportationen von Bauern, keine Massenerschießungen nach Quoten, keinen GULag und keinen unberechenbaren Staatsterror, dem jedermann zum Opfer hätte fallen können. Das alles versteht man, wenn zu Bewusstsein kommt, dass sich der Versuch europäischer Kommunisten, sich in Übereinstimmung mit sowjetischen Vorstellungen vom Kommunismus zu bringen, anderen kulturellen Mustern folgte als die Experimente Maos oder Pol Pots. Wenn wir wissen wollen, was die kommunistischen Regime jeweils waren, an verschiedenen Orten und unter verschiedenen Umständen, hilft uns der Hinweis auf den Kommunismus nicht weiter.

Das ist auch der Grund, warum Archie Browns Geschichte des Kommunismus misslungen ist. Der Kommunismus, sagt Brown, sei ein System gewesen, das von einer Staatspartei regiert, von einer Planwirtschaft gelenkt und von einer marxistischen Ausschließlichkeitsideologie mit Heilserwartung legitimiert worden sei. Aber was ist mit einer solchen Definition überhaupt gewonnen, wenn sie es nicht zugleich ermöglicht, die Verschiedenheit jener Herrschafts- und Glaubenssysteme zu beschreiben, die sich kommunistisch nannten? Darauf weiß Brown keine Antwort. Seine Geschichte begnügt sich damit, zu erzählen, was sich in den Ländern, die kommunistisch regiert wurden, politisch ereignet hat. Dabei erfährt man nur, was in ungezählten Überblicksdarstellungen zur Geschichte der Sowjetunion und anderer kommunistischer Länder schon gesagt worden ist.

Wozu braucht man eine Geschichte der russischen Revolution und des Bürgerkrieges, der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, der nationalsozialistischen Besatzungspolitik, wozu eine Geschichte des Langen Marsches und der Kulturrevolution in China, des Korea-Krieges und der Kuba-Krise, der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen und des "Prager Frühlings", wenn sie nicht zugleich davon erzählt, was der Kommunismus als Idee, als Lebensform und Herrschaftsstil war? Dieses Problem wird vor allem in jenen Passagen deutlich, in denen Brown selbst auf die Verschiedenheit jener Experimente verweist, die ihren Urhebern als kommunistisch galten. Für Pol Pot, schreibt Brown, seien die Schriften von Marx und Lenin bedeutungslos gewesen, als er sich dazu entschlossen habe, Hunderttausende ermorden zu lassen, und auch Stalin habe sich den Kommunismus nur als blutige Diktatur eines Alleinherrschers vorstellen können. Maos Kulturrevolution aber hält Brown für einen authentischen Ausdruck kommunistischer Herrschaftspraxis, obwohl sie doch vor allem der Versuch eines Despoten war, seine Macht durch die Erzeugung von Chaos und Gewalt zu erweitern. Wer könnte all das über Wladyslaw Gomulka, Alexander Dubcek oder die Eurokommunisten in Italien und Frankreich sagen?

Menschen haben eine Geschichte, und sie leben in einer kulturellen Ordnung, die es ihnen ermöglicht, Ideen auf eine Weise zu haben, die sich anderen Menschen nicht erschließt. Deshalb waren Stalin und Pol Pot, Castro und Honecker, die von sich behauptet hatten, sie seien Kommunisten, auch nicht Repräsentanten ein und desselben. Es ist nicht einmal wahrscheinlich, dass sie die gleichen Träume von der schönen neuen Welt träumten. Eine Geschichte des Kommunismus, die die Propaganda beim Wort nimmt, hat ihr Thema verfehlt.

Man erfährt in diesem Buch aber auch nichts über die Gemeinsamkeiten, die Kommunisten überall auf der Welt aneinander gebunden haben. Denn Kommunisten haben Überzeugungen und Handlungsgewohnheiten geteilt, die ihnen eine gemeinsame Sprache und einen gemeinsamen Stil ermöglichten: den Glauben an die Erreichbarkeit eindeutiger Ordnungen und die Formbarkeit der Welt, die Verteidigung von Ideen gegenüber der Wirklichkeit, die Organisation der Wirtschaft im Modus der Kampagne und den Kampf gegen Abweichler in den eigenen Reihen. Man könnte auch sagen, dass es eine kommunistische Art des Sprechens, des Herrschens und des Wirtschaftens gab, einen kommunistischen Stil und ein kommunistisches Milieu. Browns Darstellung teilt darüber nichts mit. Warum war das Milieu des Kommunismus für viele Menschen attraktiv, im Westen ebenso wie im Osten Europas? Welche Faszination ging von ihm aus, und welche Werthaltungen erzeugte es? Auf diese Fragen müsste eine Geschichte des Kommunismus Antworten geben. Archie Brown hat solche Fragen nicht gestellt, und deshalb hat er auch keine Antworten gefunden, die den Nachgeborenen das kommunistische Experiment erklären.

JÖRG BABEROWSKI

Archie Brown: Aufstieg und Fall des Kommunismus. Propyläen Verlag, Berlin 2009. 944 S., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Wenig Begeisterung bringt Karl Schlögel, der mit "Terror und Traum. Moskau 1937" gerade selbst ein Buch zum Thema publiziert hat, diesem Buch des britischen Historikers Archie Brown  entgegen. Schlögels Hauptvorwurf richtet sich gegen Browns Vollständigkeitsansatz, den er auf Kosten der Ausarbeitung interessanter Einzelaspekte erfüllt sieht. Auch lese man hier weniger einen Abriss der Geschichte des Kommunismus als die Geschichte seiner unterschiedlichen Ausprägungen in der UdSSR, China oder den mitteleuropäischen Staaten - manchmal so knapp wie es eben in Lehrbüchern leider der Fall sei. Auch fehlen Schlögel Informationen zu den verschiedenen "sozialen Schubkräften" und Krisen, die den Kommunismus im 20. Jahrhundert so geschichtsmächtig und -bildend machten. Dass Brown ganz andere Möglichkeiten gehabt hätte, sein Thema zu bearbeiten, zeigt sich Schlögel an Stellen, wo er Browns "intime und persönliche Kenntnisse" zum Tragen kommen sieht, die ihn auch als Schüler Leonard Shapiros und Alec Noves zeigen, und die für ihn zu den Höhepunkten dieses Kompendiums gehören.

© Perlentaucher Medien GmbH