Drei Männer, zwei Länder und eine Firma in explosiver Gemengelage: »King's Moving« ist das Umzugsunternehmen von David King, der sich in New York und New Jersey nicht nur um Lagerung und Logistik kümmert, sondern mühsam die Scherben seiner Ehe und im Leben seiner launischen Tochter Tammy aufräumt. Dem Wunsch seiner Sekretärin nach einem gemeinsamen Leben entzieht er sich, willigt aber ein, dass sich sein Neffe Yoav aus Israel bei ihm einquartiert. Der hat den Militärdienst hinter sich und verbringt nun den obligatorischen Auslandsaufenthalt als Kistenschlepper. Kaum des Englischen mächtig, holpert Yoav im Truck des Onkels ebenso fremd durch Manhattan wie vorher durch den Gazastreifen. Als Luter, ein Schwarzer in Schwierigkeiten, die Hypothek für sein Haus nicht mehr abbezahlen kann, kommen Davids Logistik und Yoavs Muskelkraft ins Spiel: Doch der Räumungsauftrag mündet in einem Desaster.Joshua Cohen, Autor von »Vier neuen Nachrichten« und »Buch der Zahlen«, erweist sich in seinemneuen Roman als mitreißender Erzähler und satirischer Beobachter des menschlichen Seelenhaushalts.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019Nur kein Sentiment!
Joshua Cohen schaut in seinem Roman "Auftrag für Moving Kings" Möbelpackern auf die Finger.
Von Melanie Mühl
Alle, die bislang aus Furcht vor überfordernder Komplexität die Finger von Joshua Cohens nicht immer ganz leicht zu konsumierender Prosa gelassen haben, sollten dem Roman "Auftrag für Moving Kings" des 1980 in Amerika geborenen Schriftstellers unbedingt eine Chance geben. Denn dieser Roman ist erstens mit 300 Seiten für Cohens Verhältnisse recht schmal. Und zweitens sorgt die eher konventionelle Erzählweise dafür, dass man bei der Lektüre nicht so leicht den Durchblick verliert oder, wie es ein amerikanischer Kritiker formulierte: an postmoderner Migräne leidet.
David King, einer der Protagonisten, führt ein erfolgreiches Leben, jedenfalls beruflich: Der Sohn eines jüdischen Einwanderers, der den Holocaust überlebte, besitzt eine lukrative Umzugsfirma in New York, deren muskelbepackte Rauhbeine in großem Stil Zwangsvollstreckungen durchführen. Das ist ein harter Job, härter, als die Möbel von Verliebten in ein gemeinsames Penthouse an der Upper East Side zu transportieren. Für Sentimentalitäten bleibt demnach kein Raum, Privat allerdings steht es um den in die Jahre gekommenen David miserabel: Seine Frau Bonnie, die er mit seiner Mitarbeiterin Ruth betrogen hat, will ihn finanziell ebenso bluten lassen, wie er sie seelisch hat bluten lassen. Die gemeinsame Tochter Tammy erinnert sich nur dann an die Existenz des Vaters, wenn sie Geld braucht. Kings Herz krampft zudem, und sexuell bringt er es auch nicht mehr, was Ruth erschütternderweise nichts ausmacht.
Cohen hat ein enormes Talent dafür, seine Figuren in kürzester Zeit zum Leben zu erwecken, von der ersten Seite an atmen sie, reißen den Leser mit. "Alle inneren Kämpfe waren an seiner Miene abzulesen. All seine Rollen rangen miteinander: König, einfacher Bürger, Selfmademan, Unvollendeter. Der Alkohol, das rote Fleisch, die Milchprodukte. Die Tabletten - angeblich gegen hohen Blutdruck, angeblich gegen hohen Cholesterinspiegel - und die, bei denen er nicht sicher war: gegen Angstzustände. Er traute keiner davon, er schluckte sie bloß."
Leider verschwindet David alsbald im Hintergrund, und sein Neffe Yoav betritt die Szene. Yoav, der gerade seinen dreijährigen Militärdienst in Israel abgeleistet hat, arbeitet gemeinsam mit Uri, seinem Freund und einstigem Schicksalsgenossen beim Militär, für "Moving Kings" - gestählte, mit allen Wassern gewaschene Typen, denen rasch klar wird, dass der Militärdienst und das harte Umzugsgeschäft einiges miteinander zu tun haben. In der Ferne erworbene Fähigkeiten bewähren sich bei der täglichen Plackerei. Zwar hatten Yoav und Uri bei der israelischen Armee Sachen zerstören, plattmachen und Häuser niederwalzen dürfen, während sie hier in New York alles möglichst heil bergen, ja beinahe zärtlich mit kostbaren Gegenständen umgehen mussten - und trotzdem: "Sie gingen immer noch in ein Haus und durchsuchten die Räume etagenweise. Suchten nach Menschen, dann nach Besitz. Räumten zuerst die Menschen, dann den Besitz. Der Besitz blieb bei ihnen, die Menschen konnten gehen, wohin sie wollten, solange es jenseits der Grundstücksgrenze war." Bei Cohens fulminanter Sprache und seiner erzählerischen Intensität verzeiht man ihm auch die schwächste Figur des Romans, Avery Luter, einen zum Islam konvertierten Schwarzen und arbeitslosen Vietnam-Veteran, dessen Haus zwangsgeräumt wird.
Innere und äußere Heimat sind bei Cohen fragile Gebäude, einsturzgefährdete Behausungen, die einem Sicherheit vorgaukeln, wo es keine Sicherheit gibt. Weil für Yoav und Uri alle Gegenwart Vergangenheit ist, tauchen immer wieder deren israelische Erinnerungen auf, die Raketen, die Marschflugkörper, die Handgranaten, die Schüsse, diese ganze kriegskranke Welt, die ihre Kämpfer traumatisiert ausspuckt, ohne sie jemals entkommen zu lassen. Von Anfang an ist klar, dass die Sehnsucht nach Ankommen nie erfüllt wird, bei Yoav nicht, bei Uri nicht, und genau genommen auch nicht bei David. Dass der Roman nicht alle Großthemen, die er in den Blick nimmt, wirklich ausleuchtet, mag eine Schwäche sein, ändert aber nichts daran, dass Cohen keine 700 Seiten benötigt, um eine Geschichte zu erzählen, die nachhallt.
Joshua Cohen: "Auftrag für Moving Kings". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2019. 288 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Joshua Cohen schaut in seinem Roman "Auftrag für Moving Kings" Möbelpackern auf die Finger.
Von Melanie Mühl
Alle, die bislang aus Furcht vor überfordernder Komplexität die Finger von Joshua Cohens nicht immer ganz leicht zu konsumierender Prosa gelassen haben, sollten dem Roman "Auftrag für Moving Kings" des 1980 in Amerika geborenen Schriftstellers unbedingt eine Chance geben. Denn dieser Roman ist erstens mit 300 Seiten für Cohens Verhältnisse recht schmal. Und zweitens sorgt die eher konventionelle Erzählweise dafür, dass man bei der Lektüre nicht so leicht den Durchblick verliert oder, wie es ein amerikanischer Kritiker formulierte: an postmoderner Migräne leidet.
David King, einer der Protagonisten, führt ein erfolgreiches Leben, jedenfalls beruflich: Der Sohn eines jüdischen Einwanderers, der den Holocaust überlebte, besitzt eine lukrative Umzugsfirma in New York, deren muskelbepackte Rauhbeine in großem Stil Zwangsvollstreckungen durchführen. Das ist ein harter Job, härter, als die Möbel von Verliebten in ein gemeinsames Penthouse an der Upper East Side zu transportieren. Für Sentimentalitäten bleibt demnach kein Raum, Privat allerdings steht es um den in die Jahre gekommenen David miserabel: Seine Frau Bonnie, die er mit seiner Mitarbeiterin Ruth betrogen hat, will ihn finanziell ebenso bluten lassen, wie er sie seelisch hat bluten lassen. Die gemeinsame Tochter Tammy erinnert sich nur dann an die Existenz des Vaters, wenn sie Geld braucht. Kings Herz krampft zudem, und sexuell bringt er es auch nicht mehr, was Ruth erschütternderweise nichts ausmacht.
Cohen hat ein enormes Talent dafür, seine Figuren in kürzester Zeit zum Leben zu erwecken, von der ersten Seite an atmen sie, reißen den Leser mit. "Alle inneren Kämpfe waren an seiner Miene abzulesen. All seine Rollen rangen miteinander: König, einfacher Bürger, Selfmademan, Unvollendeter. Der Alkohol, das rote Fleisch, die Milchprodukte. Die Tabletten - angeblich gegen hohen Blutdruck, angeblich gegen hohen Cholesterinspiegel - und die, bei denen er nicht sicher war: gegen Angstzustände. Er traute keiner davon, er schluckte sie bloß."
Leider verschwindet David alsbald im Hintergrund, und sein Neffe Yoav betritt die Szene. Yoav, der gerade seinen dreijährigen Militärdienst in Israel abgeleistet hat, arbeitet gemeinsam mit Uri, seinem Freund und einstigem Schicksalsgenossen beim Militär, für "Moving Kings" - gestählte, mit allen Wassern gewaschene Typen, denen rasch klar wird, dass der Militärdienst und das harte Umzugsgeschäft einiges miteinander zu tun haben. In der Ferne erworbene Fähigkeiten bewähren sich bei der täglichen Plackerei. Zwar hatten Yoav und Uri bei der israelischen Armee Sachen zerstören, plattmachen und Häuser niederwalzen dürfen, während sie hier in New York alles möglichst heil bergen, ja beinahe zärtlich mit kostbaren Gegenständen umgehen mussten - und trotzdem: "Sie gingen immer noch in ein Haus und durchsuchten die Räume etagenweise. Suchten nach Menschen, dann nach Besitz. Räumten zuerst die Menschen, dann den Besitz. Der Besitz blieb bei ihnen, die Menschen konnten gehen, wohin sie wollten, solange es jenseits der Grundstücksgrenze war." Bei Cohens fulminanter Sprache und seiner erzählerischen Intensität verzeiht man ihm auch die schwächste Figur des Romans, Avery Luter, einen zum Islam konvertierten Schwarzen und arbeitslosen Vietnam-Veteran, dessen Haus zwangsgeräumt wird.
Innere und äußere Heimat sind bei Cohen fragile Gebäude, einsturzgefährdete Behausungen, die einem Sicherheit vorgaukeln, wo es keine Sicherheit gibt. Weil für Yoav und Uri alle Gegenwart Vergangenheit ist, tauchen immer wieder deren israelische Erinnerungen auf, die Raketen, die Marschflugkörper, die Handgranaten, die Schüsse, diese ganze kriegskranke Welt, die ihre Kämpfer traumatisiert ausspuckt, ohne sie jemals entkommen zu lassen. Von Anfang an ist klar, dass die Sehnsucht nach Ankommen nie erfüllt wird, bei Yoav nicht, bei Uri nicht, und genau genommen auch nicht bei David. Dass der Roman nicht alle Großthemen, die er in den Blick nimmt, wirklich ausleuchtet, mag eine Schwäche sein, ändert aber nichts daran, dass Cohen keine 700 Seiten benötigt, um eine Geschichte zu erzählen, die nachhallt.
Joshua Cohen: "Auftrag für Moving Kings". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2019. 288 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»'Auftrag für Moving Kings' liest sich wie 'Die Sopranos' auf Jüdisch: ein packend und mit leidenschaftlichem Witz erzählter Roman.«The New Yorker»Joshua Cohen entfaltet auf 300 Seiten seinen brillanten Witz und erzählt eine politisch brisante Geschichte - mit messerscharfen Dialogen, mal kuriosen, mal anrührenden Szenen.«Deutschlandfunk Kultur»Die Fabel vom menschlichen Makel als Slapstick-Komödie.«Süddeutsche Zeitung