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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.01.2011

Der Pudel als Höllenhund
Die Künstlerin Meret Oppenheim zeichnete ihre Träume auf
Was es mit den Träumen auf sich hat, ist bis heute nicht ausgemacht. Nur dass sie etwas zu bedeuten haben, darin scheinen sich alle Zeiten einig, auch jene, in denen galt: Nicht ich habe geträumt, sondern es träumte mir. Wenn Krimhild im Traum zwei Adler erschienen, die ihren Falken zerrissen, so wusste ihre Mutter, Frau Ute, sogleich, dass die Tochter ihren künftigen Liebsten durch Meuchelmord verlieren würde. Auch Sigmund Freud sah die Träume als Königsweg in einen Bereich, an den man sonst schlecht herankam, nur dass er sie nicht pro-, sondern diagnostisch nahm und statt voraus auf die Zukunft hinab ins Innere bezog.
Der gedeutete Traum jedoch verliert seine Kraft wie ein wildes Tier, wenn es gezähmt wird. Wenige Träumer sind stark genug, das Fremde, das sich ihnen so intim offenbart hat, nicht in ihr Eigentum überführen zu wollen und den Traum sein zu lassen, was er ist. Arthur Schnitzler tut es in seinen späteren Tagebüchern. Und Meret Oppenheim.
Siebenundfünfzig Jahre lang hat Oppenheim, die Künstlerin, von der jeder ihr Werk „Frühstück in Pelz“ kennt (wenn auch oft nicht viel anderes), ihre Träume aufgezeichnet, von ihrem fünfzehnten Lebensjahr an bis kurz vor ihrem Tod. In Anbetracht der Länge dieser Zeit wird man das Konvolut mit rund achtzig Seiten ziemlich schmal finden. Es entspricht der Schmalheit ihres Œuvres überhaupt; nur Weniges wird aus dem Schweigen zum Ausdruck gehoben. Wenn man an das viele Schmalz denkt, das andere Surrealisten (etwa Salvador Dalí) abgesondert haben, berührt die Fettlosigkeit dieses Werks sehr angenehm. Und man braucht ja auch nicht viel Platz, um von einem Traum das, was überhaupt erzählbar ist, zu erzählen.
„Der Höllenhund“, lautet eine der frühesten Aufzeichnungen, „sprang über einen kleinen Abhang. Wir (Christin und ich) fingen ihn und wollten ihn töten. Sie suchte nach einem Instrument während ich ihn zwischen die Knie geklemmt hatte und ihn an eine Mauer drückte (Er stand aufrecht, kehrte mir den Rücken zu). Um ihn abzulenken, fragte ich ihn nach seinem Namen. (Einmal: ‚Oder heissest Du etwa Amadäus?’) Bei jeder Frage drückte ich ihm den Daumen auf die Hirnschale, um ihn bewusstlos zu machen. Christin fand nur eine weiche Bleiröhre und da ging ich selbst um etwas besseres zu finden. Sie fragte inzwischen den Hund weiter. Endlich fand ich eine alte Nagelfeile. Die bohrte ich ihm in den Kopf. (Skizze)“
Die Träumerin widersteht selbst dem Offensichtlichsten, das sie zum Interpretieren drängt. Dass im Amadäus die liebliche Musik Mozarts sich mit dem tief zweideutigen Dämon Asmodäus kreuzt und der Dämon die Oberhand behält, indem er sich ans Rumpelstilzchen anlehnt, dazu gibt sie keinerlei Kommentar ab. Stattdessen fügt sie die Skizze bei, zwei kleine Bildchen, gekonnt, aber mit noch kindlicher Hand ausgeführt; der Höllenhund wird darin zum schwarzen Pudel und die gefährliche Begegnung zum Waldspaziergang. Doch bereits hier ist vorgebildet, wie sich Werk und Traum zusammenschließen werden; sie stehen durch eine Art kommunizierender Röhren in Verbindung, unterirdisch, an allen Deut- und Kontrollinstanzen vorbei. Der Betrachter sieht davon nur erstaunt, wie der Pegel in beiden Gefäßen gleiche Höhe hat.
Fast ein halbes Jahrhundert später träumt Oppenheim, das Meer werfe einen ausgewaschenen Wurzelstock ans Ufer, „ein wunderschönes Gebilde. Es hatte etwa die Formen einer Frau. (. . .) So etwa, ganz ungefähr, sah das Holz aus“, und wieder folgt die Skizze. Sie bescheidet sich damit, etwas graphisch darzustellen, das sich sprachlich nicht so gut hätte erfassen lassen; aber ganz unter der Hand ergibt sich dabei das Bild einer elegant knienden Ballerina. Aus seiner illustrativ gebundenen Unfreiheit schlägt es plötzlich um in eine besondere, höhere Freiheit. Von diesem Blatt her versteht man Oppenheims Vorliebe für Treibholz, diese knappen festen Ausgeburten eines unendlichen formlosen Ozeans, die man einfach so auflesen kann, vorausgesetzt, man hat den Blick dafür. Wenn Marcel Duchamp ein Urinal zum Kunstwerk umdeklariert, so steckt in dieser großspurigen Geste etwas Gesuchtes; wahrhaft gefundene sind Oppenheims Objekte.
Unter dem Einfluss Carl Gustav Jungs, dem sie persönlich verbunden war, hat Oppenheim hin und wieder leider doch ein wenig interpretiert; und man spürt sofort, was verlorengeht, wenn ihr geträumtes weißes Pferdchen, das im Wagen eine kleine Truhe aus Arvenholz zwischen riesigen Fuhrwerken mit Ladungen aus Tomaten und anderem Gemüse hindurchzieht, anschließend in Bezug zu ihrer Situation als Künstlerin gebracht wird: Das Pferdchen sei sie selbst, die Truhe ihr kleines, aber kostbares Werk, das seinen Weg zwischen all den raumgreifenden Großkünstlern hindurch suchen müsse. Da ist bestimmt was dran; und trotzdem verdrießt die Art, wie die Träumerin hier ihren Traum benutzt, um sich selbst ins Recht zu setzen. Ein Traum soll selbstlos bleiben.
Doch das sind Erscheinungen am Rande. Oppenheims Traumproduktion, wie sie dem Leser in diesem von der Nachlassverwalterin Christiane Meyer-Thoss liebevoll edierten Band der Bibliothek Suhrkamp entgegentritt, war nicht besonders ergiebig, dafür aber um so nachhaltiger. Gleich der zweite Traum, aus dem Jahr 1928, lautet so: „Vor mir steigt aus der Tiefe eine Säule, die sich oben im Nebel oder in den Wolken verliert. Von unten auf steigt dichter Dunst, der sich in Spiralen um die Säulen dreht. Darauf liegen oder sitzen Götter. Ähnlich den griechischen Götterstatuen, aber nicht aus Marmor, sondern lebendig. Auch Knaben, Pane, Frauen.“ Genau diese Traumsäule (abzüglich der Götterfiguren) hat sie viele Jahrzehnte später, gegen Ende ihres Lebens, auf dem Berner Bärenplatz als Brunnen verwirklicht. BURKHARD MÜLLER
MERET OPPENHEIM: Träume. Aufzeichnungen. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Christiane Meyer-Thoss. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2010. 117 Seiten, 16,90 Euro.
Andere Surrealisten sonderten
viel Schmalz ab – dieses
Traum-Werk ist angenehm fettlos
Vom fünfzehnten Lebensjahr bis zu ihrem Tod notierte die deutsch-schweizerische Künstlerin Meret Oppenheim (1913- 1985, hier ein verfremdetes Selbstporträt) ihre Träume – das Konvolut umfasst nicht mehr als 80 Seiten, denn man braucht ja nicht viel Platz, um von einem Traum das, was überhaupt erzählbar ist, zu erzählen.
Foto: oh
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