Erst seit dem frühen 20. Jahrhundert gelten Die Aufzeichnungen aus dem Abseits als ein Hauptwerk nicht nur Fjodor Dostojewskijs, sondern der russischen Erzählkunstinsgesamt. Für das Verständnis der großen Romane Dosto jewskijs sind sie ein Schlüsseltext.Die Aufzeichnungen aus dem Abseits - sie erschienen erstmals 1864 - sind in zwei Teile gegliedert. Entgegen der Chronologie bietet Teil I (»Das Abseits«) den kommentieren den Nachtrag zu dem autobiographischen Bericht, der in Teil II (»Bei nassem Schnee«) erstattet wird, faktisch und zeitlich dem Kommentar jedoch vorgeordnet ist. Der Erzähler erläutert, analysiert und rechtfertigt also seine Lebensgeschichte, noch bevor er sie dem Leser dargeboten hat. Dass der »abseitige Mensch«, der alles daransetzt, seine unverwechselbare Eigenart gegenüber der mehrheitlichen Gleichmacherei und Anpassung zu behaupten, auf solche Weise typisiert und gleichsam als Modell vorgeführt wird, ist eins der zahlreichen Paradoxa, die das Faszinosum wie auch die Provokation der Aufzeichnungen ausmachen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2016Aus den Eskapaden eines Querdenkers
Zwischen Sperrigkeit und abseitiger Interpretation: Die Neuübersetzung von Dostojewskis "Aufzeichnungen aus dem . . ."
Es ist zum Mäusemelken! Warum nur hört man bei Neuübersetzungen so oft, bisherige Transpositionen hätten den Text hübsch glattgehobelt, nun aber erhalte die kastaniengroße Perle endlich ihre stachlige Schale? Ist das internationale Publikum bisher auf einen schick gestylten Handschmeichler hereingefallen?
Jüngstes Beispiel: Felix Philipp Ingolds Übersetzung von Dostojewskis "Sapiski is podpolja", die als "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" oder "Aufzeichnungen aus dem Untergrund" bekanntgeworden sind und von ihm nun "Aufzeichnungen aus dem Abseits" betitelt werden. In dem 1864 erschienenen Text legt ein namenloser Ich-Erzähler im ersten Teil seine Weltsicht dar, im zweiten berichtet er von konkreten Geschehnissen; schon allein die Frage, welche Beziehung zwischen beiden Teilen besteht, lässt sich nicht eindeutig beantworten.
Der Protagonist ist als Antiheld gezeichnet, der sich notfalls in den eigenen Ruin gesprächstherapieren könnte. Zweifellos leidet er, doch worunter, das lässt sich kaum diagnostizieren. Ängste, mangelnde Empathie, Paranoia und Selbstzweifel sind ebenso zu nennen wie latente Gewaltbereitschaft, Arroganz und Manie. Bereits im "Doppelgänger" (1846) hatte Dostojewski seinen Protagonisten in ein literarisches Seelenlabor gesteckt, um den typischen Befindlichkeiten des Menschen seiner Zeit auf die Schliche zu kommen. Die Verbannung nach Sibirien hatte dann seinen Blick auf die existentielle "kriminelle Natur" des Menschen gerichtet; sein Interesse an Reue, an der Erkenntnis der eigenen Schuld und Verantwortung war geweckt.
In einem Brief an seinen Bruder hält er fest, dass er in den "Aufzeichnungen" einen Vertreter aus der Mitte der Gesellschaft, einen kleinen Beamten, untersuche, eine gebildete, aber in sich zerrissene Figur. Für den so entstandenen hochartifiziellen, schwierigen Text lassen sich Spuren bis hin zu Svevos "Zeno Cosini" oder Sologubs "Kleinem Dämon" aufzeigen, Nietzsche hat dem Werk ein begeistertes Zeugnis ausgestellt.
Ingold interpretiert den Protagonisten nun als "Einzelgänger" und "Querdenker", der sich zwecks "Selbstbesinnung" an einen "selbstgewählten abgelegenen Aufenthaltsort" zurückgezogen habe, fasst ihn also als recht glaubwürdig auf. In den Hinweisen zur Übersetzung heißt es indes: "Im Unterschied zu früheren Eindeutschungen wurde vorrangig auf die sprachliche beziehungsweise stilistische Eigenart der ,Aufzeichnungen' geachtet"; zu diesen zählt Ingold unter anderem Fehler, Polyphonie und Wiederholungen. Überfällige Aufrauharbeit oder in den Dienst der Interpretation gestellte sprachliche Gestaltung - das ist hier die Frage.
Zunächst zur Polyphonie. Ingold greift tiefer in die Kiste sprachlicher Requisiten, als es beispielsweise seine Vorgänger Röhl, Rahsin oder Geier getan haben. Doch wird "sein" Dostojewski deswegen dostojewskihafter? Wendungen wie "in den Senkel stellen" (Helvetismen) oder Ausdrücke wie "doof, doof, doof" (Umgangssprache) und "männiglich" (Archaisierung) mögen Geschmackssache sein. Problematischer wird es, wenn das Vokabular unserer Gegenwart abgelauscht scheint. Beispiele? Der "Gutmensch" und der "Stinkefinger". Vollends fragwürdig wird Ingolds Vorgehen, wenn er um der Kraftmeierei willen textinterne Fäden kappt: An einer Stelle behauptet der Erzähler gegenüber Swerkow, einem früheren Schulkameraden, den er nach Jahren wiedersieht: "Ich hasse Geilheit und geile Böcke. Und geile Böcke ganz besonders." Der Knalleffekt mit "geil" ist gar nicht schlecht; im Original heißt es "Erdbeeren", eine Anspielung auf Gogols "Tote Seelen" und ein verklausulierter Begriff für "Sex". Ingold gibt den Begriff bei der einzigen anderen Erwähnung - als sich Swerkow zu Schulzeiten seiner "zukünftigen Geilheit" brüstet - jedoch schlicht mit "Liebelei" wieder. Das Neurotische des Erzählers, der sich ein solches Detail merkt, fällt unter den Tisch.
Es ist dies nicht das einzige Beispiel, in dem das Krankhafte und die zwischenmenschlichen Unzulänglichkeiten des Protagonisten gedimmt und das Hohelied des (gesunden) Individualisten angestimmt wird. Die (aggressiv-paranoide) Dichotomie "ich" versus "sie/die anderen" fällt dieser Aufweichung zum Opfer, wenn mal von "jenen", mal von "männiglich" die Rede ist. Dies ist besonders schade, sind die komplexen Mechanismen doch hochaktuell. Ingold akzentuiert stattdessen die Feinsinnigkeit des Erzählers: So ein Mann "schätzt" eine Liebe natürlich nicht, sondern "ästimiert" sie. Aber ja, zusammen mit der "Geilheit" gibt das eine hübsche Polyphonie.
Nun zum größten Widerhaken im Original, der bei allen Interpretationen Schwierigkeiten bereitet: der Begriff "podpolje". Er hat die Bedeutungen "Keller" oder "Untergrund", mitunter wurde er als Chiffre für "Unterbewusstsein" interpretiert. Röhl hat sich im Deutschen zu einem "Dunkel der Großstadt" durchgemüht, Rahsin zunächst "Kellerloch", in der Überarbeitung jedoch "Untergrund" gewählt. Die vor allem durch Gerüche sinnlich veranschaulichte Selbsterniedrigung des Protagonisten legt "Kellerloch" als überzeugendere Variante nahe. Das sperrige "podpolje" öffnet zudem Interpretationen das Tor - das von Ingold mit lautem Knall zugeschlagen wird.
Sein "Abseits" überzeugt durch nichts: Dostojewski hat den Ausdruck nicht gewählt. Punkt. Das Plastische des "Kellerlochs" geht völlig verloren. Die Zivilisations- und Fortschrittskritik wird am "Kristallpalast" (Crystal Palace) festgemacht, ihm steht mit "Mietskaserne", "Winkel" (für Zimmer) und sogar "Ameisenhaufen" ein ganzes architektonisches Ensemble zur Seite - und das "Kellerloch" gegenüber. Ingold verweist darauf, dass der Mann im Hochparterre oder höher wohne, offenbar negiert er die Möglichkeit eines metaphorischen Wortgebrauchs. Aus dem bei Geier dicht am Original formulierten Satz: "Schon damals trug ich das Kellerloch in meiner Seele" wird bei Ingold daher: "Schon damals kultivierte ich das Abseits."
Erstaunlich ist der Versuch, durch eine extrem an Lexik und Grammatik des Originals orientierte Wiedergabe den sprachlich wahren Dostojewski vorzustellen: "Mit Swerkow waren Sie doch immer nicht auf gutem Fuß" - Syntaxtreue, aber (unmotiviert) schlechter Stil. Manches ist dabei kaum noch zu verstehen: "Großflockig fiel der nasse Schnee; ich knöpfte auf, mir war anders zumute." Bei Röhl dagegen heißt es: "Der nasse Schnee fiel in großen Flocken; ich schlug den Mantel auseinander, ohne mich um den Schnee zu kümmern." Gewiss, der "Mantel" fehlt im Original, ist im Verb aber ebenso impliziert wie der "Kopf" im deutschen "nicken", der im Russischen meist noch explizit erwähnt wird.
Auch echte Fehler gibt es. Nachdem der Protagonist sich einmal zu einem "wir" verstiegen hat, legt er der imaginierten Zuhörerschaft bei Ingold folgende Worte in den Mund (wobei "Unterwelt" auf "podpolje/Abseits" zurückgeht): "Da sprechen Sie wohl nur für sich allein und für Ihr Elend in Ihrer Unterwelt, trauen sich aber nicht zu sagen: wir alle." Zum Vergleich Geier: "Reden Sie von sich und Ihrem Kellerloch-Elend, aber unterstehen Sie sich, ,wir alle' zu sagen."
Ingold stützt seine Interpretation des Erzählers als starken "Querdenker" mit allen Mitteln, herausgekommen ist jedoch ein holpriger, fehlerhafter Text. Dostojewski dagegen ist in den "Aufzeichnungen" ein Paradoxon gelungen: ein zerrissener Erzähler aus einem Guss. Diese Figur wird in der Ingold-Übersetzung zum intellektuellen Aussteiger, der huckepack einen Klon mit sozialer Inkompetenz trägt.
CHRISTIANE PÖHLMANN.
Fjodor Dostojewski: "Aufzeichnungen aus dem Abseits".
Hrsg. und aus dem Russischen von Felix Philipp Ingold. Dörlemann Verlag, Zürich 2016. 256 S., geb., 19,- [Euro].
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Zwischen Sperrigkeit und abseitiger Interpretation: Die Neuübersetzung von Dostojewskis "Aufzeichnungen aus dem . . ."
Es ist zum Mäusemelken! Warum nur hört man bei Neuübersetzungen so oft, bisherige Transpositionen hätten den Text hübsch glattgehobelt, nun aber erhalte die kastaniengroße Perle endlich ihre stachlige Schale? Ist das internationale Publikum bisher auf einen schick gestylten Handschmeichler hereingefallen?
Jüngstes Beispiel: Felix Philipp Ingolds Übersetzung von Dostojewskis "Sapiski is podpolja", die als "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" oder "Aufzeichnungen aus dem Untergrund" bekanntgeworden sind und von ihm nun "Aufzeichnungen aus dem Abseits" betitelt werden. In dem 1864 erschienenen Text legt ein namenloser Ich-Erzähler im ersten Teil seine Weltsicht dar, im zweiten berichtet er von konkreten Geschehnissen; schon allein die Frage, welche Beziehung zwischen beiden Teilen besteht, lässt sich nicht eindeutig beantworten.
Der Protagonist ist als Antiheld gezeichnet, der sich notfalls in den eigenen Ruin gesprächstherapieren könnte. Zweifellos leidet er, doch worunter, das lässt sich kaum diagnostizieren. Ängste, mangelnde Empathie, Paranoia und Selbstzweifel sind ebenso zu nennen wie latente Gewaltbereitschaft, Arroganz und Manie. Bereits im "Doppelgänger" (1846) hatte Dostojewski seinen Protagonisten in ein literarisches Seelenlabor gesteckt, um den typischen Befindlichkeiten des Menschen seiner Zeit auf die Schliche zu kommen. Die Verbannung nach Sibirien hatte dann seinen Blick auf die existentielle "kriminelle Natur" des Menschen gerichtet; sein Interesse an Reue, an der Erkenntnis der eigenen Schuld und Verantwortung war geweckt.
In einem Brief an seinen Bruder hält er fest, dass er in den "Aufzeichnungen" einen Vertreter aus der Mitte der Gesellschaft, einen kleinen Beamten, untersuche, eine gebildete, aber in sich zerrissene Figur. Für den so entstandenen hochartifiziellen, schwierigen Text lassen sich Spuren bis hin zu Svevos "Zeno Cosini" oder Sologubs "Kleinem Dämon" aufzeigen, Nietzsche hat dem Werk ein begeistertes Zeugnis ausgestellt.
Ingold interpretiert den Protagonisten nun als "Einzelgänger" und "Querdenker", der sich zwecks "Selbstbesinnung" an einen "selbstgewählten abgelegenen Aufenthaltsort" zurückgezogen habe, fasst ihn also als recht glaubwürdig auf. In den Hinweisen zur Übersetzung heißt es indes: "Im Unterschied zu früheren Eindeutschungen wurde vorrangig auf die sprachliche beziehungsweise stilistische Eigenart der ,Aufzeichnungen' geachtet"; zu diesen zählt Ingold unter anderem Fehler, Polyphonie und Wiederholungen. Überfällige Aufrauharbeit oder in den Dienst der Interpretation gestellte sprachliche Gestaltung - das ist hier die Frage.
Zunächst zur Polyphonie. Ingold greift tiefer in die Kiste sprachlicher Requisiten, als es beispielsweise seine Vorgänger Röhl, Rahsin oder Geier getan haben. Doch wird "sein" Dostojewski deswegen dostojewskihafter? Wendungen wie "in den Senkel stellen" (Helvetismen) oder Ausdrücke wie "doof, doof, doof" (Umgangssprache) und "männiglich" (Archaisierung) mögen Geschmackssache sein. Problematischer wird es, wenn das Vokabular unserer Gegenwart abgelauscht scheint. Beispiele? Der "Gutmensch" und der "Stinkefinger". Vollends fragwürdig wird Ingolds Vorgehen, wenn er um der Kraftmeierei willen textinterne Fäden kappt: An einer Stelle behauptet der Erzähler gegenüber Swerkow, einem früheren Schulkameraden, den er nach Jahren wiedersieht: "Ich hasse Geilheit und geile Böcke. Und geile Böcke ganz besonders." Der Knalleffekt mit "geil" ist gar nicht schlecht; im Original heißt es "Erdbeeren", eine Anspielung auf Gogols "Tote Seelen" und ein verklausulierter Begriff für "Sex". Ingold gibt den Begriff bei der einzigen anderen Erwähnung - als sich Swerkow zu Schulzeiten seiner "zukünftigen Geilheit" brüstet - jedoch schlicht mit "Liebelei" wieder. Das Neurotische des Erzählers, der sich ein solches Detail merkt, fällt unter den Tisch.
Es ist dies nicht das einzige Beispiel, in dem das Krankhafte und die zwischenmenschlichen Unzulänglichkeiten des Protagonisten gedimmt und das Hohelied des (gesunden) Individualisten angestimmt wird. Die (aggressiv-paranoide) Dichotomie "ich" versus "sie/die anderen" fällt dieser Aufweichung zum Opfer, wenn mal von "jenen", mal von "männiglich" die Rede ist. Dies ist besonders schade, sind die komplexen Mechanismen doch hochaktuell. Ingold akzentuiert stattdessen die Feinsinnigkeit des Erzählers: So ein Mann "schätzt" eine Liebe natürlich nicht, sondern "ästimiert" sie. Aber ja, zusammen mit der "Geilheit" gibt das eine hübsche Polyphonie.
Nun zum größten Widerhaken im Original, der bei allen Interpretationen Schwierigkeiten bereitet: der Begriff "podpolje". Er hat die Bedeutungen "Keller" oder "Untergrund", mitunter wurde er als Chiffre für "Unterbewusstsein" interpretiert. Röhl hat sich im Deutschen zu einem "Dunkel der Großstadt" durchgemüht, Rahsin zunächst "Kellerloch", in der Überarbeitung jedoch "Untergrund" gewählt. Die vor allem durch Gerüche sinnlich veranschaulichte Selbsterniedrigung des Protagonisten legt "Kellerloch" als überzeugendere Variante nahe. Das sperrige "podpolje" öffnet zudem Interpretationen das Tor - das von Ingold mit lautem Knall zugeschlagen wird.
Sein "Abseits" überzeugt durch nichts: Dostojewski hat den Ausdruck nicht gewählt. Punkt. Das Plastische des "Kellerlochs" geht völlig verloren. Die Zivilisations- und Fortschrittskritik wird am "Kristallpalast" (Crystal Palace) festgemacht, ihm steht mit "Mietskaserne", "Winkel" (für Zimmer) und sogar "Ameisenhaufen" ein ganzes architektonisches Ensemble zur Seite - und das "Kellerloch" gegenüber. Ingold verweist darauf, dass der Mann im Hochparterre oder höher wohne, offenbar negiert er die Möglichkeit eines metaphorischen Wortgebrauchs. Aus dem bei Geier dicht am Original formulierten Satz: "Schon damals trug ich das Kellerloch in meiner Seele" wird bei Ingold daher: "Schon damals kultivierte ich das Abseits."
Erstaunlich ist der Versuch, durch eine extrem an Lexik und Grammatik des Originals orientierte Wiedergabe den sprachlich wahren Dostojewski vorzustellen: "Mit Swerkow waren Sie doch immer nicht auf gutem Fuß" - Syntaxtreue, aber (unmotiviert) schlechter Stil. Manches ist dabei kaum noch zu verstehen: "Großflockig fiel der nasse Schnee; ich knöpfte auf, mir war anders zumute." Bei Röhl dagegen heißt es: "Der nasse Schnee fiel in großen Flocken; ich schlug den Mantel auseinander, ohne mich um den Schnee zu kümmern." Gewiss, der "Mantel" fehlt im Original, ist im Verb aber ebenso impliziert wie der "Kopf" im deutschen "nicken", der im Russischen meist noch explizit erwähnt wird.
Auch echte Fehler gibt es. Nachdem der Protagonist sich einmal zu einem "wir" verstiegen hat, legt er der imaginierten Zuhörerschaft bei Ingold folgende Worte in den Mund (wobei "Unterwelt" auf "podpolje/Abseits" zurückgeht): "Da sprechen Sie wohl nur für sich allein und für Ihr Elend in Ihrer Unterwelt, trauen sich aber nicht zu sagen: wir alle." Zum Vergleich Geier: "Reden Sie von sich und Ihrem Kellerloch-Elend, aber unterstehen Sie sich, ,wir alle' zu sagen."
Ingold stützt seine Interpretation des Erzählers als starken "Querdenker" mit allen Mitteln, herausgekommen ist jedoch ein holpriger, fehlerhafter Text. Dostojewski dagegen ist in den "Aufzeichnungen" ein Paradoxon gelungen: ein zerrissener Erzähler aus einem Guss. Diese Figur wird in der Ingold-Übersetzung zum intellektuellen Aussteiger, der huckepack einen Klon mit sozialer Inkompetenz trägt.
CHRISTIANE PÖHLMANN.
Fjodor Dostojewski: "Aufzeichnungen aus dem Abseits".
Hrsg. und aus dem Russischen von Felix Philipp Ingold. Dörlemann Verlag, Zürich 2016. 256 S., geb., 19,- [Euro].
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