Paul Morand ist eine der schillerndsten Gestalten Frankreichs: als Diplomat und Kosmopolit zählt er zu den größten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts; er liebte Männer, Frauen und schnelle Autos, heiratete eine rumänische Prinzessin und lebte in den besten Hotels von Paris, London und Madrid. Paul Morand genoss sein rauschhaftes Leben im Luxus in vollen Zügen, das größte Glück jedoch fand er stets im Meer. Er war ein notorischer Schwimmer, den es sein Leben lang zu jeder Jahreszeit an die Küsten zog. Doch die Aufzeichnungen seiner Schwimmerlebnisse sind weit mehr als Zeugnis einer Leidenschaft; sie sind das Porträt einer versunkenen Welt, die der schreiblustige Lebemann vom Meer aus gesehen verewigt hat. Morand in seinen eigenen Worten: "Als auf schuldig bekennender Hedonist und allzu sehr darauf bedacht, sich allein vom Geschehen wiegen zu lassen, wird der Autor schreiben, wie er gelebt hat: rücklings auf den Wellen treibend, keine andere Methode als die seiner Laune kennend auf der beschwerlichen Stiege hinab zur verlorenen Zeit. Nur das Meer und die Lust, wie ein Senkblei ins Wasser zu tauchen, halten seine Rede zusammen; er wird sich seiner vagabundierenden Feder wie der Fisch der Strömung überlassen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2005Wasserschlucken und Durchatmen
Paul Morand beschreibt Baden als literarische Daseinsform
Manche Autoren erklären im Alter rückblickend gern, welche literarischen Strömungen sie durchgemacht, welche Landschaften sie durchwandert, welche politischen Ereignisse sie geprägt haben. Paul Morand erzählte im Alter von zweiundsiebzig Jahren lieber, in welchen Wassern er geschwommen ist. Politisch war seine Karriere ohnehin nicht famos: mondäne Ästheten-Existenz in der Zwischenkriegszeit, dann Diplomatendienst fürs Vichy-Regime, schließlich vereinsamendes Nörglertum bis zum Tod 1976. Blieb also die aquatische Küstenerinnerung - Algarve, Costa del Sol, Liparische Inseln, Dalmatien, Hoek van Holland, Cornwall, Azoren - eines "notorischen Schwimmers", der offenbar auch noch im Alter schneller die Badehose geschürzt als die Krawatte geknüpft hatte.
Diese 1960 erstmals erschienenen Aufzeichnungen spiegeln den etwas müde gewordenen Witz eines literarischen Causeurs. In manchen seiner Romane und Essays der Zwischenkriegszeit traf der Vielschreiber Morand mit prägnanten Formulierungen Züge der heraufziehenden Individualgesellschaft. Marcel Proust begrüßte ihn 1920 in einem - dieser Ausgabe nachgestellten - Text als eines der verheißungsvollen Talente der französischen Literatur. In den hier veröffentlichten Aufzeichnungen wollte der Autor hingegen nur noch "mit Sand spielen", wie Kinder am Strand es tun und alte Männer mit der Sanduhr in der Hand. Morand wußte, daß er zu spät kam, daß sein formbewußter Weltbürgerindividualismus längst vom Massentourismus eingeholt war. Fortan müsse man, notiert er nüchtern, "früh im Jahr das Meer verlassen und erst bei Herannahen des Winters zurückkehren, wenn man die Einsamkeit sucht". Daß die Balearen, die er noch 1919 über Nacht in einer der beiden "Don Jaime" inmitten von Rindern und Hühnerkäfigen erreichte, von den Wochenendfliegern von überall her überflutet werden, registriert er ohne Nostalgie oder Sarkasmus. Dem Landeanflug auf Palmas kann er sogar etwas "Wunderbares" abgewinnen. Vielleicht wirken deshalb diese Aufzeichnungen über das schlickige Wasser bei Cadix, die gefährliche Springflut bei Tanger, die Klippenenge bei Bonifacio oft etwas matt. Es fehlt ihnen die bittere Bosheit des "Journal inutile", des postum erst vor kurzem publizierten Tagebuchs aus den späteren Jahren.
Der "auf schuldig bekennende Hedonist" Paul Morand erscheint hier als eine Mischfigur zwischen Lord Byron, dem "neuen Leander", der "alleine bis zu drei Meilen weit hinausschwimmt, dort im Wasser speist und seine Zigarre raucht", und Victor Hugo, der das Meer nur vom Ufer aus sah und mit seinem Genie im Roman "Die Arbeiter des Meeres" doch "über alles erhaben war".
Um zwischen Land- und Seeblick zu vermitteln, schwimmt der Autor dieser Aufzeichnungen in allen Schwimmarten und liefert obendrein auch gleich eine kleine Stilgeschichte des Schwimmens mit, die vom "overarmstroke" und "trudgeon" bis zum "crawl" reicht. Die griechische und römische Antike hat die Badekultur sehr weit getrieben, während das Mittelalter nur noch ungern ins Wasser stieg. Daß man in England aber erst ab 1736 - zunächst warm, dann auch kalt - gebadet habe und daß Königin Hortense de Beauharnais 1813 beim Baden im Ärmelkanal gesehen worden sei, erfahren wir nebst zahllosen anderen Anekdoten nur aus den freien Assoziationsströmungen dieses Texts. Dabei fällt auf, was uns zuvor so klar noch nie war: wie viele entscheidende Szenen in Morands eigenem Roman- und Erzählwerk im Wasser stattfinden. Der Autor erfindet hier tatsächlich ein neues Genre, das der Übersetzer im Vorwort die "maritime Autobiographie" nennt, und es paßt vorzüglich ins originelle Programm einer Mare-Bibliothek.
JOSEPH HANIMANN
Paul Morand: "Aufzeichnungen eines notorischen Schwimmers". Mit einem Nachwort von Marcel Proust. Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Vorwort von Jürgen Ritte. Mare-Buchverlag, Hamburg 2005. 191 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Paul Morand beschreibt Baden als literarische Daseinsform
Manche Autoren erklären im Alter rückblickend gern, welche literarischen Strömungen sie durchgemacht, welche Landschaften sie durchwandert, welche politischen Ereignisse sie geprägt haben. Paul Morand erzählte im Alter von zweiundsiebzig Jahren lieber, in welchen Wassern er geschwommen ist. Politisch war seine Karriere ohnehin nicht famos: mondäne Ästheten-Existenz in der Zwischenkriegszeit, dann Diplomatendienst fürs Vichy-Regime, schließlich vereinsamendes Nörglertum bis zum Tod 1976. Blieb also die aquatische Küstenerinnerung - Algarve, Costa del Sol, Liparische Inseln, Dalmatien, Hoek van Holland, Cornwall, Azoren - eines "notorischen Schwimmers", der offenbar auch noch im Alter schneller die Badehose geschürzt als die Krawatte geknüpft hatte.
Diese 1960 erstmals erschienenen Aufzeichnungen spiegeln den etwas müde gewordenen Witz eines literarischen Causeurs. In manchen seiner Romane und Essays der Zwischenkriegszeit traf der Vielschreiber Morand mit prägnanten Formulierungen Züge der heraufziehenden Individualgesellschaft. Marcel Proust begrüßte ihn 1920 in einem - dieser Ausgabe nachgestellten - Text als eines der verheißungsvollen Talente der französischen Literatur. In den hier veröffentlichten Aufzeichnungen wollte der Autor hingegen nur noch "mit Sand spielen", wie Kinder am Strand es tun und alte Männer mit der Sanduhr in der Hand. Morand wußte, daß er zu spät kam, daß sein formbewußter Weltbürgerindividualismus längst vom Massentourismus eingeholt war. Fortan müsse man, notiert er nüchtern, "früh im Jahr das Meer verlassen und erst bei Herannahen des Winters zurückkehren, wenn man die Einsamkeit sucht". Daß die Balearen, die er noch 1919 über Nacht in einer der beiden "Don Jaime" inmitten von Rindern und Hühnerkäfigen erreichte, von den Wochenendfliegern von überall her überflutet werden, registriert er ohne Nostalgie oder Sarkasmus. Dem Landeanflug auf Palmas kann er sogar etwas "Wunderbares" abgewinnen. Vielleicht wirken deshalb diese Aufzeichnungen über das schlickige Wasser bei Cadix, die gefährliche Springflut bei Tanger, die Klippenenge bei Bonifacio oft etwas matt. Es fehlt ihnen die bittere Bosheit des "Journal inutile", des postum erst vor kurzem publizierten Tagebuchs aus den späteren Jahren.
Der "auf schuldig bekennende Hedonist" Paul Morand erscheint hier als eine Mischfigur zwischen Lord Byron, dem "neuen Leander", der "alleine bis zu drei Meilen weit hinausschwimmt, dort im Wasser speist und seine Zigarre raucht", und Victor Hugo, der das Meer nur vom Ufer aus sah und mit seinem Genie im Roman "Die Arbeiter des Meeres" doch "über alles erhaben war".
Um zwischen Land- und Seeblick zu vermitteln, schwimmt der Autor dieser Aufzeichnungen in allen Schwimmarten und liefert obendrein auch gleich eine kleine Stilgeschichte des Schwimmens mit, die vom "overarmstroke" und "trudgeon" bis zum "crawl" reicht. Die griechische und römische Antike hat die Badekultur sehr weit getrieben, während das Mittelalter nur noch ungern ins Wasser stieg. Daß man in England aber erst ab 1736 - zunächst warm, dann auch kalt - gebadet habe und daß Königin Hortense de Beauharnais 1813 beim Baden im Ärmelkanal gesehen worden sei, erfahren wir nebst zahllosen anderen Anekdoten nur aus den freien Assoziationsströmungen dieses Texts. Dabei fällt auf, was uns zuvor so klar noch nie war: wie viele entscheidende Szenen in Morands eigenem Roman- und Erzählwerk im Wasser stattfinden. Der Autor erfindet hier tatsächlich ein neues Genre, das der Übersetzer im Vorwort die "maritime Autobiographie" nennt, und es paßt vorzüglich ins originelle Programm einer Mare-Bibliothek.
JOSEPH HANIMANN
Paul Morand: "Aufzeichnungen eines notorischen Schwimmers". Mit einem Nachwort von Marcel Proust. Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Vorwort von Jürgen Ritte. Mare-Buchverlag, Hamburg 2005. 191 S., geb., 18,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Thomas Laux zeigt sich gleichermaßen vom bekennenden Hedonisten Paul Morand wie von seinem Buch fasziniert. Als "Phänomenologie des Ufers" beschreibt Laux die Reise-Aufzeichnungen Morands, in denen sowohl die noch idyllischen Strände der sechziger Jahre vors Auge geführt würden, als auch die schriftstellernden Schwimmer der Literaturgeschichte. "Intertextuell" sei Morands Erzählweise, aber "unterhaltsam". Auch fehle es dem Mann nicht an ironischer Distanz, so Laux, wenn er schonungslos von seinen Versuchen erzähle, diverse Schwimmstile durchzuexerzieren. Nur die zum Glück sehr knapp gehaltene Frage nach den psychologischen Untergründen der Meeressucht sind dem Rezensenten dann doch zu "verschwurbelt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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