Eine regelrechte Entdeckung waren die Tagebücher des jugendlichen Salvador Dali (1904-1989), die nach dem Tod des Künstlers gefunden und 1994 erstmals im katalanischen Original veröffentlicht wurden. Seit den 60er Jahren, als eines dieser Hefte zufällig aufgetaucht und nach langen Widerständen Dalis publiziert worden war, hatte man geahnt, daß es weitere Hefte gibt. Sie erscheinen hier erstmals in deutscher Übersetzung. In Schulkladden notierte der 15- bis 16jährige Dali in den Jahre 1919 und 1920 "meine intimen Impressionen und Erinnerungen", wie er seine Aufzeichnungen nannte. Frisch und unverstellt schreibt er in einem Stil, der bereits von jenem großen schriftstellerischen Talent zeugt, das dazu führte, daß seine spätere Autobiographie "Das geheime Leben" mit Prousts Schreibweise verglichen wurde. Als eifriger Zeitungsleser kommentiert Dali politische Ereignisse in ganz Europa. Er entpuppt sich als feuriger Verfechter einer bolschewistischen Weltrevolution, unterstützt die Streiks der Arbeiterklasse und vertraut im nächsten Atemzug den Heften seine ersten Lieben ebenso an wie seine Nöte mit der Algebra. Empfindsam sinniert er über die Schönheit eines Konzerts, eines Sonnenuntergangs oder der Landschaft von Cadaques. Und von seinem künstlerischen Genie ist der frühreife Knabe bereits fest überzeugt: "Ich werde vielleicht verachtet und mißverstanden werden, aber ich werde ein Genie sein, ein großes Genie, weil ich mir dessen sicher bin."