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Eine liebende Frau. Ein exzentrischer Mann. Ein Bündel verbrannte Briefe "Brillant haucht Stefan Merrill Block der Liebesgeschichte seiner Großeltern Leben ein und ihrem dunklen Geheimnis." Marie Claire, US Boston, 1962: Frederick wacht mit einem schlimmen Kater im Irrenhaus auf. Nur langsam fällt ihm wieder ein, was passiert ist Er wurde verhaftet, weil er ältere Damen auf offener Strasse mit seinem nackten Hinterteil erschreckt hat. Um ihm einen Prozess zu ersparen und weil seine Frau Katharine seine manischen Schübe einfach nicht mehr ertragen kann, steckt man ihn ins Mayflower Home, eine…mehr

Produktbeschreibung
Eine liebende Frau. Ein exzentrischer Mann. Ein Bündel verbrannte Briefe "Brillant haucht Stefan Merrill Block der Liebesgeschichte seiner Großeltern Leben ein und ihrem dunklen Geheimnis." Marie Claire, US
Boston, 1962: Frederick wacht mit einem schlimmen Kater im Irrenhaus auf. Nur langsam fällt ihm wieder ein, was passiert ist Er wurde verhaftet, weil er ältere Damen auf offener Strasse mit seinem nackten Hinterteil erschreckt hat. Um ihm einen Prozess zu ersparen und weil seine Frau Katharine seine manischen Schübe einfach nicht mehr ertragen kann, steckt man ihn ins Mayflower Home, eine exklusive Anstalt, wo die High Society sich im Falle eines Falles kurieren lässt. Frederick glaubt eigentlich nicht, dass er krank ist aber als er wieder gehen will, muss er feststellen, dass er darüber nicht mehr entscheiden kann. Und Katharine antwortet bald noch nicht einmal mehr auf seine Briefe. Brooklyn, 2010. Fast fünfzig Jahre später beschließt Stefan Merrill Block, seinem totgeschwiegenen Großvater eine Stimme zu geben.
Autorenporträt
Stefan Merrill Block, geb. 1982, aufgewachsen in Texas, lebt heute in Brooklyn. Er studierte an der Washington University in Saint Louis/Missouri. Sein erstes Buch 'Wie ich mich einmal in alles verliebte', war national und international ein Erfolg. Die Übersetzungsrechte wurden in über 20 Sprachen verkauft.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Wieder einmal widmet sich Stefan Merrill Block seiner vom Alzheimer-Gen überschatteten Familiengeschichte, hier der Geschichte seines Großvaters. Wie der junge Autor das authentische Familienschicksal mit freien Erfindungen kombiniert, die Vita seines Großvaters, der schließlich im MacLean Hospital landet, in Rückblenden erzählt und damit die Rezensentin eindringlich an Silvia Plath erinnert, deren "Glasglocke" ebenda spielt, hat Angela Schader beeindruckt. Die eingestreuten rein imaginären Teile des Romans allerdings überzeugen Schader weniger, hier wirke der Roman etwas forciert. Ausgeglichen wird dieses Manko für sie durch Blocks Fähigkeit, den einzelnen Ingredienzen seines Buches eine ausgleichende Gewichtung zu geben.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2012

Wenn der Bourbon-Mond über Boston aufgeht
In seinem neuen Roman „Aufziehendes Gewitter“ spürt der amerikanische Autor Stefan Merrill Block dem Wahn seines Großvaters nach
Da jede unglückliche Familie, wie Tolstoi uns gelehrt hat, auf ihre eigene Art unglücklich ist, sind schicksalsbeladene Sippen für die Literatur endlos frucht-bar. Bei näherem Hinschauen hält sich der Variantenreichtum freilich in Grenzen. Ob wir uns die Familie des amerikanischen Schriftstellers Stefan Merrill Block als eine unglückliche denken müssen, steht dahin; zweifellos jedoch verfügt sie über ein bemerkenswertes Risikopotential für Unordnung und frühes oder spätes Leid: In ihrer jüngeren Chronik sind sowohl Morbus Alzheimer als auch die „Bipolare affektive Störung“ verzeichnet, zwei Erkrankungen, von denen man weiß, dass sie durch genetische Faktoren begünstigt werden. Und dass ihr Ausbruch problematische Verhältnisse nach sich zieht.
Der 1982 geborene Autor hat darin seinen Erzählstoff gefunden, schreibt aber weder „Krankheitsliteratur“ noch Familienromane im herkömmlichen Sinn. Was sein Debüt „The Story of Forgetting“ (auf Deutsch, etwas irreführend, „Wie ich mich einmal in alles verliebte“) vor vier Jahren verhieß, wird durch sein Zweitwerk „Aufziehendes Gewitter“ eingelöst: Die originelle Mischung aus Empathie, analytischer Klarheit und humoristischer Distanz, die er seinen direkt oder indirekt von Alzheimer betroffenen Figuren zuteil werden ließ, wendet er nun, als Erzähler deutlich gereift, auf eine komplexere geistig-seelische Störung und deren Umfeld an. Das Ergebnis ist eine tragikomische, zutiefst humane Geschichte über die mäandernde Kampflinie zwischen Irrsinn und Normalität, die Konflikte der Beteiligten diesseits und jenseits der Linie und die mehr oder weniger heillosen Versuche der Medizin, der Norm zum Sieg zu verhelfen.
Im Zentrum eines intrikaten Gewebes aus Faktentreue und Fiktion steht der manisch-depressive Großvater von Stefan Merrill Block, den er persönlich nicht mehr kannte und über den in der Ver-wandtschaft ungern gesprochen wurde, für dessen Leben der Autor sich jedoch früh zu interessieren begann. Jener Frederick Merrill verbrachte in den sechziger Jahren mehrere Monate im McLean Hospital bei Boston, einer der berühmtesten amerikanischen Kliniken für psychische Erkrankungen.
Die Anstalt, im Buch „Mayflower Home“ genannt, steht in den USA auf der Liste der „Poetry Landmarks“, weil die „Confessional Poets“ Sylvia Plath, Robert Lowell und Anne Sexton sich dort behandeln ließen. Aber auch der geniale Mathematiker John Forbes Nash, populär geworden durch die Biographie „A Beautiful Mind“ und den gleichnamigen Film, zählte zu den Patienten. Sylvia Plath, deren Klinik-Erfahrungen in den Roman „Die Glasglocke“ eingingen, notierte nach ihrem Aufenthalt in den fünfziger Jahren, es habe sich ein „interessanter Markt“ für Psychiatrie-Literatur aufgetan. Und wie es der Zufall will, wurde Frederick Merrill just 1962, im Erscheinungsjahr des Welterfolgs „Einer flog über das Kuckucksnest“ von Ken Kesey, ins McLean Hospital eingeliefert.
Die Umstände seiner Internierung gehören zu den skurrilsten Passagen des Romans, man könnte sogar sagen: zu den heitersten, wären nicht die Folgen fatal – und würde nicht zuvor, aus der Sicht der Großmutter Katharine Mead Merrill, schon der bedrohliche Schatten ausgemalt, den die psychische Instabilität ihres Mannes auf das Familienleben wirft, wie ein heraufziehendes Unwetter oder wie, so lautet der Originaltitel, „The Storm at the Door“.
Man kann ihn sich lebhaft vorstellen, diesen Großvater, was sich wohl nicht nur der Recherchearbeit und Einfühlungskunst seines Enkels verdankt, sondern auch der relativen Häufigkeit seines Krankheitsbildes. Frederick Merrill, Marineoffizier, an der Harvard Business School ausgebildet, ist ein Mann von brillantem Intellekt und charismatischer Ausstrahlung, der mit seinem Charme „ganze Abendgesellschaften in Bann schlagen“ kann. In seinen hellen Phasen ist er die Liebenswürdigkeit selbst, sprüht vor Einfällen und Unternehmungslust, kleinere, bereitwillig verziehene Provokationen inbegriffen. Dass sein Wesen noch eine andere, dunkle Seite besitzt, die sich, völlig unberechenbar, in Larmoyanz und Lethargie, in Alkoholexzessen, irrationaler Streitsucht und Wutanfällen manifestiert, bekommen nur seine Frau, seine vier Töchter und enge Freunde zu spüren.
Stimmungsschwankungen lassen sich in Fredericks Generation noch bequem mit einem „Kriegstrauma“ erklären. Dass das Trinken die Symptomatik verstärkt, verdrängt auch Katharine in geselliger Runde gern, obwohl es dabei immer öfter zu brenzligen Szenen kommt. Als der Gatte sich in einer feuchtfröhlichen Sommernacht vollständig entblößt, den Regenmantel eines Freundes überwirft und durch den Wald bis zur Route 109 marschiert, wo er jedes vorbeifahrende Auto „entweder mit seinen Genitalien oder seinem nackten Hintern“ begrüßt, ist das gewiss eine der harmloseren seiner Bourbon-Ideen, aber sie wird ihm zum Verhängnis.
Zwei Witwen in einem alten Ford erblicken den Nachtwanderer, „dessen Geschlechtsteil aus den Falten des Regenmantels ragte wie ein zum Atmen auftauchendes Meeressäugetier“. Wenig später ist Frederick Merrill in Polizeigewahrsam und bald darauf in der Anstalt. Vermeintlich nur kurz, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen – dann aber, nach widersprüchlichen Diagnosen und fehlgeschlagenen Therapien, auf unbestimmte Zeit. Und der Leser begreift trotz wachsender Sympathie für den Helden immer besser, warum Katharine zögert, ihn heimzuholen, obwohl sie ihn liebt.
Diesen Zwiespalt versucht Stefan Merrill Block auszuleuchten, indem er Frederick und Katharine abwechselnd eine Stimme gibt, sich in ihr Erleben und Erinnern hineinversetzt. Inspiriert durch das Geheimnis eines verbrannten Briefkonvoluts, lässt er den Großvater als verhinderten Literaten auferstehen, der den Anstalts-Albtraum mit seiner „eskapistischen Schreibtätigkeit“ kompensiert. Dazwischen geht die Erzählperspektive auf andere Patienten über und auf Angehörige des Klinikpersonals, die sich ihrerseits grenzwertig verhalten.
Der schizophrene Harvard-Professor Shlomi Shultz, aus einem von den Nazis zerstörten Schtetl in Litauen stammend, schwer traumatisiert durch den Verlust von Frau und Sohn, hört unentwegt Stimmen und arbeitet an der Rekonstruktion einer vorbabylonischen Ursprache. Der ehrgeizige Psychiater Albert Canon, der das Therapiekonzept der Klinik revoluti-oniert und dadurch eine Serie makabrer Selbstmorde auslöst, bekommt seine fachliche Frustration so schlecht in den Griff wie seine Liebesaffäre mit Rita, einer klugen, patenten und dennoch verwirrten Krankenschwester. Der Dichter Robert Lowell, sehr diskret in Szene gesetzt, aber in Gedichtzitaten und zahlreichen Anspielungen präsent, gibt den coolen Exzentriker und verewigt sich, als er das Institut per Taxi verlässt, mit einer denkwürdigen Geste: „Kurz bevor Lowell einsteigt, wendet er sich Canons Fenster in Upshire Hall zu und hebt die Hand wie zum Gruß. Bei genauerem Hinsehen stellt Canon allerdings fest, dass Lowell den Mittelfinger reckt.“
In seiner Nachbemerkung betont Stefan Merrill Block pflichtschuldigst, dass seine Darstellung der Behandlungsmethoden im „Mayflower Home“ in den 1960er Jahren nicht den gegenwärtigen Verhältnissen im McLean Hospital entspreche. Das betrifft gewiss auch die Katakomben unter der Anstalt, den gespenstischen Aufbewahrungsort für „ausgemusterte Gerätschaften zur Zügelung des Wahnsinns“, ein viktorianisches Panoptikum des Grauens, das Frederick und Professor Schultz bei ihrem Klinik-Ausbruch durchschreiten.
Aber einen schönen Effekt macht die Szenerie allemal. So wie die Liebesge-schichte zwischen Frederick und Katharine sich nur deshalb bis zum Ende spannend und bewegend liest, weil Stefan Merrill Block sie wirkungsvoll inszeniert hat (und, für deutschsprachige Leser: weil Dirk van Gunsterens Übersetzung so lebendig wie feinfühlig geraten ist). Die Großmutter des Autors erkrankte später an Alzheimer, er selbst fürchtet nach eigenem Bekunden, die bipolare Störung des Großvaters geerbt zu haben. Sollte das der Fall sein, darf man davon ausgehen, dass dieses Leiden wenigstens der literarischen Kreativität keinen Abbruch tut.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
STEFAN MERRILL BLOCK: Aufziehendes Gewitter. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Piper Verlag, München 2012. 384 S., 19,99 Euro.
In seinen hellen Phasen ist der
Marineoffizier Frederick Merrill
die Liebenswürdigkeit selbst
Der Dichter Robert Lowell,
diskret in Szene gesetzt,
gibt den coolen Exzentriker
Der amerikanische Autor Stefan Merrill Block (links) macht das berühmte McLean Hospital in Boston (oben) unter dem Namen „Mayflower Hospital“ zum Schauplatz seines neuen Romans. Fotos:contrasto/laif, Melissa Farlow
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.2012

Dem Wahnsinn auf der Spur

Der amerikanische Schriftsteller Stefan Merrill Block fliegt in seinem ergreifenden Roman "Aufziehendes Gewitter" über das Kuckucksnest seines Großvaters.

Über die Krankheitsgeschichte der eigenen Familie zu schreiben, birgt nicht unerhebliche Risiken. Rasch kann der Vorwurf erhoben werden, das Schicksal eines nahen Verwandten werde für eigene künstlerische Zwecke ausgebeutet; man denke nur an die von einigen Kritikern geäußerten Vorbehalte gegenüber Arno Geigers "Der alte König in seinem Exil", das von der Alzheimer-Erkrankung seines Vaters handelt. Auch Stefan Merrill Block hat bereits über diese Krankheit geschrieben, an der seine Großmutter starb, allerdings - anders als sein österreichischer Kollege - in einem eindeutig fiktionalen Rahmen. Und wie bei seinem 2008 im Original erschienenen Debüt "Wie ich mich einmal in alles verliebte" darf auch bei seinem neuen Roman, der von den Tücken psychiatrischer Einrichtungen erzählt, davon ausgegangen werden, dass den amerikanischen Autor nicht allein die Suche nach den eigenen Wurzeln umtreibt, nach genetischer Veranlagung und familiärer Prägung, sondern vor allem die Frage, was auf ihn selbst dereinst zukommen mag. Denn auch dem 1982 geborenen und in Texas aufgewachsenen Schriftsteller wurde einmal, nachdem er vier Tage lang nicht schlafen konnte, von einer Ärztin bescheinigt, an einer bipolaren Störung zu leiden, an manischer Depression, dem angeblichen Leiden seines Großvaters. Stefan Merrill Block nimmt diese möglicherweise voreilige Diagnose, auch wenn er erst spät auf sie zu sprechen kommt, zum Anlass, sich in "Aufziehendes Gewitter" auf die Spur seines nahezu totgeschwiegenen Vorfahren zu begeben, um die Lücke in der Geschichte seiner Familie mit fünfzigjähriger Verspätung zu schließen. Und wie er das macht, wie er Erinnerung, Imagination und biographische Nachforschungen miteinander verknüpft, ist eindrucksvoll.

Jener Frederick Frances Merrill, um den die Gedanken des Romans kreisen, wird 1962 in das kostspielige Sanatorium Mayflower Home eingewiesen. Stefan Merrill Block hat freimütig verraten, dass es sich dabei um die fiktionale Version des berühmten McLean Hospital handelt, das zeitweise so namhafte Persönlichkeiten wie den Mathematiker John Nash, der Soul-Sänger Ray Charles sowie eine Reihe von Dichtern und Romanciers beherbergte wie Sylvia Plath, Robert Lowell oder David Foster Wallace. Und so nennt er Plaths Roman "Die Glasglocke" ebenso als Inspirationsquelle wie einen Gedichtband Lowells oder Sylvia Nasars Nash-Biographie "A Beautiful Mind". Eine tragende Rolle kommt jedoch ausschließlich Robert Lowell zu, der in "Aufziehendes Gewitter" inmitten einer Schar aufmüpfiger Patienten einige denkwürdige Auftritte hat und in Zitaten und Anspielungen stets präsent ist. Stefan Merrill Block wird er zum möglichen Gegenstück seines Großvaters, den er sich als einen ruhelosen Geist vorstellt, dessen auf Unverständnis stoßende Briefe dem Feuer übergeben wurden, während Lowell auf der anderen Seite seine psychotischen Episoden in handfeste Poesie verwandelte. Das sich aufdrängende Klischee, wonach Genie und Wahnsinn dicht beieinanderliegen, umschifft Stefan Merrill Block glücklicherweise ein ums andere mal, indem er die Schattenseiten der krankhaften Psyche in den Vordergrund rückt. So humorvoll einige Anekdoten des Romans sind - insbesondere wenn es um manch scheinbar kauzigen Leidensgenossen von Frederick geht, die Katatoniker und Dauerquassler -, so bitter und tödlich enden sie oft, weil die Idee des Selbstmords unter dem Druck der Hospitalisierung so ansteckend wie ein Gähnen wird.

Frederick selbst verkörpert diese Zwiespältigkeit am deutlichsten. Nach außen hin ein gewitzter und liebenswürdiger Schwerenöter, der ab und an einen über den Durst trinkt, wird er in den Augen Katharines und bald auch ihrer gemeinsamen Töchter zum notorischen Säufer und Fremdgeher. Dass sie ihn trotz all seiner Eskapaden und heftiger Stimmungsschwankungen liebt, wird selten in Zweifel gezogen. Und dennoch ist irgendwann das Maß für sie voll. Als Frederick "aus seinem Körper eine schlüpfrige Pointe" macht, da er sich in der Öffentlichkeit entblößt, weiß seine duldsame Frau sich nicht mehr anders zu helfen, als ihn in die Obhut einer psychiatrischen Anstalt zu geben. Dass ihr und ihrem Mann, an dem sich verschiedene Therapeuten die Zähne ausbeißen, damit nicht unbedingt geholfen ist, kann sie da noch nicht ahnen. Ihr Zögern jedoch, ihn wieder nach Hause zu holen, ist so nachvollziehbar wie ihre Scham, die sie dazu veranlasst, vor den Nachbarn nie von etwas anderem zu reden als einem vermeintlich harmlosen Nervenzusammenbruch.

Das Einfühlungsvermögen von Stefan Merrill Block ist so groß wie seine Vorstellungskraft. Glaubhaft versetzt er sich in eine andere Epoche und macht sich die Nöte seiner Großeltern zu eigen. Die Vergegenwärtigung dessen, was nicht mehr greifbar ist, wird dabei in vielfacher Hinsicht gespiegelt. Sei es, dass eine der nicht eben wenigen Nebenfiguren des Romans, der schizophrene Linguistik-Professor Schultz, glaubt, eine Art Ursprache entdeckt zu haben, die ihn an ein Trauma rühren lässt, das der Verdrängung anheimgefallen ist; sei es, dass der überambitionierte Freudianer Albert Canon aus Angst um die Entdeckung einer außerehelichen Affäre seine Profession verrät und zu drastischen Mitteln greift. Stets stehen dabei Anfang und Ende der Sprache (oder der Gesprächstherapie) im Zentrum, das "Weiß des Raums und des Papiers", ein Thema, das wie geschaffen ist für einen Schriftsteller. Während die Patienten des Mayflower Home zwangsweise ruhiggestellt oder zum Reden gebracht werden, verleiht der Autor selbst jenen, die für immer schweigen wollen, eine Stimme.

"The Storm at the Door", wie der Roman im Original heißt, ist daher nicht allein Metapher für das Gehirngewitter in Fredericks Kopf, es ist die Raserei selbst, die hier an den Pforten der Wahrnehmung des gesunden Menschenverstands rüttelt, um ihn in Frage zu stellen oder um Verständnis zu ringen. Nur gut, dass Stefan Merrill Block das, was aus der Reihe fällt, in so geordnete Bahnen lenkt, es sich und uns literarisch vom Leibe hält. Dies zeugt von Rücksichtnahme und Respekt. Mit "Aufziehendes Gewitter" ist ihm jedenfalls ein überaus berührender Roman gelungen.

ALEXANDER MÜLLER

Stefan Merrill Block: "Aufziehendes Gewitter".

Roman.

Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Piper Verlag, München 2012. 376 S., geb., 19,99 [Euro].

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