Roland Barthes gehört zu den Klassikern der Photographietheorie. Insbesondere sein spätes Meisterwerk Die helle Kammer hat die Debatten der letzten Jahrzehnte bestimmt und ihre Grundfragen formuliert. Weniger bekannt ist, dass Barthes Zeit seines Lebens, von Mythen des Alltags bis hin zu seiner letzten Vorlesung Die Vorbereitung des Romans, intensiv zur Ästhetik und Theorie der Photographie publiziert hat. Diese verstreut publizierten Texte u.a. über Mode-, Werbe-, Theater- und Schockphotos oder über Photographen wie Richard Avedon, Lucien Clergue und Wilhelm von Gloeden sind hier zum ersten Mal versammelt. Sie sind der "ganze Barthes" im Brennspiegel der Photographie.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Freddy Langer liest die von Peter Geimer und Bernd Stiegler zusammengestellten, sämtlich bereits zuvor auf Deutsch veröffentlichten zwei Dutzend Aufsätze, Artikel und Interviews aus der Zeit seit 1953 von Roland Barthes im Hinblick auf "Die helle Kammer", jenes Werk, in dem Barthes laut Langer auf hoch konzentrierte, reife, zugleich leichte Weise seine Erkenntnisse zur Fotografie zusammenfasst. Hier nun hat der Rezensent sozusagen die Vorarbeiten vor sich, Auseinandersetzungen Barthes mit Fotokünstlern, Ausstellungen und den Gattungen der Fotografie. Langer fällt der Akademismus der Texte auf, in denen der Autor Begriffe und Gegensätze hinsichtlich der Objektivität der Fotografie behandelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2015Bilder ohne Code
Durchs Gestrüpp: Kleine Texte zur Fotografie
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie - oder sollte man von Tragik sprechen -, dass sich Roland Barthes in seinem letzten Buch, "Die helle Kammer", der Fotografie gewidmet und darin all seine Überlegungen zu diesem Medium zu einer Theorie gebündelt hat, in deren Mittelpunkt der Tod steht. Denn kaum war das Buch erschienen, starb er. Das war 1980.
Er habe, schreibt Barthes, unbedingt wissen wollen, was die Fotografie "an sich" war, "durch welches Wesensmerkmal sie sich von der Gemeinschaft der Bilder unterschied". Dabei setzte er sie einerseits von der Zeichnung und Malerei ab, andererseits vom Kino. Und dazu konzentrierte er sich auf wenige, teils berühmte Aufnahmen der Fotografiegeschichte. Die Frage, weshalb gerade diese ihn beschäftigten, fand ihre Antwort in Details, die sich auch Barthes bisweilen erst auf den zweiten Blick offenbarten. Das konzentrierte Betrachten nannte er studium, das alles entscheidende Detail punctum - ein Begriff, der daraufhin für lange Zeit bei keiner Beschreibung einer Fotografie mehr fehlen durfte. Als er in einem Kinderbild seiner verstorbenen Mutter all deren Wesenszüge zu erkennen meinte, wurde für ihn die Dichte, die Zeit, zu einem weiteren punctum. Nur vordergründig rettet die Fotografie ihr Motiv über den Augenblick hinaus. In Wirklichkeit, argumentierte Barthes, verweist sie stets auf die Vergangenheit, auf das, was nicht mehr ist, und deshalb auf das Vergehen, also: den Tod. "Es-ist-so-gewesen" wird ihm zum Noema der Fotografie. Meist spricht er in diesem Zusammenhang von Satori, Schock und Erschütterung, nur zwei-, dreimal hingegen - dabei viel näher liegend - von Melancholie.
"Die helle Kammer" ist ein großartiges Buch insofern, als Barthes sein Thema auffasst wie ein Jäger die Beute. Konzentriert liest er Spuren oder heftet sich gleichsam an Geräusche im Unterholz. Schritt für Schritt, für jedermann nachvollziehbar, entwirft er sein Modell. Aber so wenig bleibt am Ende, so konzentriert ist die Essenz, dass er selbst die zu erwartende Kritik vorwegnimmt: "Wie, ein ganzes Buch ..., um zu entdecken, was ich schon auf den ersten Blick gesehen habe?"
Man könnte freilich auch von Reife sprechen. Denn wie viel Altersweisheit in dem Buch steckt, nicht zuletzt in der Leichtigkeit, mit der es geschrieben ist, wird erst jetzt deutlich, da Peter Geimer und Bernd Stiegler zwei Dutzend Aufsätze, Artikel und Interviews aus der Zeit seit 1953 zusammengetragen haben, in denen Barthes sich mit Fotokünstlern, Ausstellungen sowie einigen Gattungen der Fotografie auseinandergesetzt hat. Dabei ist die Vielfalt nicht überraschend, zumal fast all diese Texte schon auf Deutsch vorgelegen haben. Auffällig vielmehr wird im Rückblick der Akademismus, den Barthes mit seinen Wort- und Satzungetümen bisweilen derart auf die Spitze treibt, dass man sich an Laokoon im Kampf mit der Schlange erinnert fühlt.
Zentral sind ihm die Begriffe und Gegensatzpaare konnotativ und denotativ sowie kulturell und natürlich, mit deren Hilfe Barthes die Objektivität der Fotografie zu fassen versucht und sie am Ende frei von jeglicher Codierung nennt bis hin zu der Überlegung, ob es sich bei ihr nicht um eine Art adamischen Urzustand des Bildes handele. Wie durch Gestrüpp irrend, darf man Barthes sich hier vorstellen, ein Arbeitsleben lang auf der Suche nach einer Lichtung. So lässt sich die chronologisch sortierte Textsammlung als das Abtasten eines weiten Feldes lesen, wobei Barthes hier, um in der Metapher der Jagd zu bleiben, noch die Rolle des Treibers eingenommen hat, der gegen die Büsche schlägt und im Laub schaufelt - einer Beute auf der Spur, die er "helle Kammer" nennen wird.
FREDDY LANGER
Roland Barthes: "Auge in Auge". Kleine Schriften zur Fotografie.
Hrsg. von Peter Geimer und Bernd Stiegler. Suhrkamp
Verlag, Berlin 2015. 352 S., Abb., br., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Durchs Gestrüpp: Kleine Texte zur Fotografie
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie - oder sollte man von Tragik sprechen -, dass sich Roland Barthes in seinem letzten Buch, "Die helle Kammer", der Fotografie gewidmet und darin all seine Überlegungen zu diesem Medium zu einer Theorie gebündelt hat, in deren Mittelpunkt der Tod steht. Denn kaum war das Buch erschienen, starb er. Das war 1980.
Er habe, schreibt Barthes, unbedingt wissen wollen, was die Fotografie "an sich" war, "durch welches Wesensmerkmal sie sich von der Gemeinschaft der Bilder unterschied". Dabei setzte er sie einerseits von der Zeichnung und Malerei ab, andererseits vom Kino. Und dazu konzentrierte er sich auf wenige, teils berühmte Aufnahmen der Fotografiegeschichte. Die Frage, weshalb gerade diese ihn beschäftigten, fand ihre Antwort in Details, die sich auch Barthes bisweilen erst auf den zweiten Blick offenbarten. Das konzentrierte Betrachten nannte er studium, das alles entscheidende Detail punctum - ein Begriff, der daraufhin für lange Zeit bei keiner Beschreibung einer Fotografie mehr fehlen durfte. Als er in einem Kinderbild seiner verstorbenen Mutter all deren Wesenszüge zu erkennen meinte, wurde für ihn die Dichte, die Zeit, zu einem weiteren punctum. Nur vordergründig rettet die Fotografie ihr Motiv über den Augenblick hinaus. In Wirklichkeit, argumentierte Barthes, verweist sie stets auf die Vergangenheit, auf das, was nicht mehr ist, und deshalb auf das Vergehen, also: den Tod. "Es-ist-so-gewesen" wird ihm zum Noema der Fotografie. Meist spricht er in diesem Zusammenhang von Satori, Schock und Erschütterung, nur zwei-, dreimal hingegen - dabei viel näher liegend - von Melancholie.
"Die helle Kammer" ist ein großartiges Buch insofern, als Barthes sein Thema auffasst wie ein Jäger die Beute. Konzentriert liest er Spuren oder heftet sich gleichsam an Geräusche im Unterholz. Schritt für Schritt, für jedermann nachvollziehbar, entwirft er sein Modell. Aber so wenig bleibt am Ende, so konzentriert ist die Essenz, dass er selbst die zu erwartende Kritik vorwegnimmt: "Wie, ein ganzes Buch ..., um zu entdecken, was ich schon auf den ersten Blick gesehen habe?"
Man könnte freilich auch von Reife sprechen. Denn wie viel Altersweisheit in dem Buch steckt, nicht zuletzt in der Leichtigkeit, mit der es geschrieben ist, wird erst jetzt deutlich, da Peter Geimer und Bernd Stiegler zwei Dutzend Aufsätze, Artikel und Interviews aus der Zeit seit 1953 zusammengetragen haben, in denen Barthes sich mit Fotokünstlern, Ausstellungen sowie einigen Gattungen der Fotografie auseinandergesetzt hat. Dabei ist die Vielfalt nicht überraschend, zumal fast all diese Texte schon auf Deutsch vorgelegen haben. Auffällig vielmehr wird im Rückblick der Akademismus, den Barthes mit seinen Wort- und Satzungetümen bisweilen derart auf die Spitze treibt, dass man sich an Laokoon im Kampf mit der Schlange erinnert fühlt.
Zentral sind ihm die Begriffe und Gegensatzpaare konnotativ und denotativ sowie kulturell und natürlich, mit deren Hilfe Barthes die Objektivität der Fotografie zu fassen versucht und sie am Ende frei von jeglicher Codierung nennt bis hin zu der Überlegung, ob es sich bei ihr nicht um eine Art adamischen Urzustand des Bildes handele. Wie durch Gestrüpp irrend, darf man Barthes sich hier vorstellen, ein Arbeitsleben lang auf der Suche nach einer Lichtung. So lässt sich die chronologisch sortierte Textsammlung als das Abtasten eines weiten Feldes lesen, wobei Barthes hier, um in der Metapher der Jagd zu bleiben, noch die Rolle des Treibers eingenommen hat, der gegen die Büsche schlägt und im Laub schaufelt - einer Beute auf der Spur, die er "helle Kammer" nennen wird.
FREDDY LANGER
Roland Barthes: "Auge in Auge". Kleine Schriften zur Fotografie.
Hrsg. von Peter Geimer und Bernd Stiegler. Suhrkamp
Verlag, Berlin 2015. 352 S., Abb., br., 20,- [Euro].
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