Unverfroren. Ein witziges Buch über Blindheit.
Eine höllische Diagnose:
An seinem achtzehnten Geburtstag wird bei Ryan Knighton Retinitis pigmentosa diagnostiziert, eine angeborene, unheilbare Krankheit, die langsam zum Verlust des Augenlichts führt. In diesem eindringlichen und mutigen Buch erzählt er gleichzeitig unverfroren und gefühlvoll die Geschichte seiner fünfzehn Jahre währenden Erblindung und entlarvt nebenbei die Eigentümlichkeiten in der Welt der Sehenden. Unsere Kultur, Identität und Sprache wie auch unsere Ängste und Träume erscheinen plötzlich in einem anderen Licht. Hin- und hergerissen zwischen Nachdenklichkeit und schwarzem Humor nimmt der Autor uns gefangen und erstickt respektlos jeglichen Anflug von Rührseligkeit im Keim. "Augenzeuge" ist kein herkömmliches, Mitleid heischendes Bekenntnis, es zeigt die tragikomische Selbstüberprüfung eines jungen Mannes, der sich einer Verwandlung unterziehen muss und dabei auf eine spannende Reise geht.
"Kein Leser wird es schaffen, diese wilde Fahrt mit einem blinden Fahrer am Steuer beiseitezulegen." Boston Globe
Eine höllische Diagnose:
An seinem achtzehnten Geburtstag wird bei Ryan Knighton Retinitis pigmentosa diagnostiziert, eine angeborene, unheilbare Krankheit, die langsam zum Verlust des Augenlichts führt. In diesem eindringlichen und mutigen Buch erzählt er gleichzeitig unverfroren und gefühlvoll die Geschichte seiner fünfzehn Jahre währenden Erblindung und entlarvt nebenbei die Eigentümlichkeiten in der Welt der Sehenden. Unsere Kultur, Identität und Sprache wie auch unsere Ängste und Träume erscheinen plötzlich in einem anderen Licht. Hin- und hergerissen zwischen Nachdenklichkeit und schwarzem Humor nimmt der Autor uns gefangen und erstickt respektlos jeglichen Anflug von Rührseligkeit im Keim. "Augenzeuge" ist kein herkömmliches, Mitleid heischendes Bekenntnis, es zeigt die tragikomische Selbstüberprüfung eines jungen Mannes, der sich einer Verwandlung unterziehen muss und dabei auf eine spannende Reise geht.
"Kein Leser wird es schaffen, diese wilde Fahrt mit einem blinden Fahrer am Steuer beiseitezulegen." Boston Globe
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2009Am Ende des Stocks beginnt die Welt
Ryan Knighton beschreibt die Geschichte seiner Erblindung
Der typische Wunsch zum achtzehnten Geburtstag ist das erste Auto. Für Ryan Knighton kam es anders. Kurz zuvor wurde ihm eine Diagnose gestellt, die an Autofahren nicht mehr länger denken ließ: Retinosis pigmentaria, Ryan würde langsam, aber sicher in einigen Jahren erblinden. Eine angeborene Genmutation hatte diese Augenkrankheit ausgelöst, bei der die Netzhaut sich nach und nach selbst zerstört: "Meine Sicht würde zu einer Art engem Tunnelblick eingeschränkt werden. Später würde diese letzte Stelle funktionstüchtiger Netzhaut wohl ebenfalls der Krankheit zum Opfer fallen."
Ryan Knighton schreibt mit einer Mischung aus Ironie, Witz und Melancholie die Geschichte seiner Erblindung. Für ihn bedeutete die Diagnose durchaus auch eine Art Erleichterung. Endlich wurde ihm klar, warum sein "Leben manchmal Geschichten schrieb, die unerklärliche Aussetzer beinhalteten". Dreizehn Monate lang hatte er nämlich seine fortschreitende Erblindung einfach nicht wahrgenommen. Die blinden Flecken auf der Netzhaut erzeugen keine Lücken: Das Gehirn füllt auf eigene Faust die Leerstellen.
Die Tücke der Krankheit liegt im frühen Stadium und im psychologischen Bereich. Da scheint es einen anderen zu geben, der sich jeglicher bewusster Kontrolle entzieht. Ein unaufhaltsamer Entfremdungsprozess kommt in Gang, unerklärbar wird die Diskrepanz zwischen den guten Vorsätzen und den verhängnisvollen Fehlern, die oft auch das eigene Leben und das der anderen bedrohen. Aber ein Bier zu viel oder Unaufmerksamkeit beim Kassettenwechseln beim Autofahren gilt eben auch als Unfallauslöser, auf schleichende Erblindung muss man erst einmal kommen.
Mit dem Beginn seines Studiums ist Ryan Knighton praktisch blind. Er sieht zwar noch so etwas wie Lichtpunkte, verschwommene Farben, verzerrte Linien, aber er ist nicht mehr in der Lage, sich hinreichend zu orientieren. Mühsam kann er noch lesen, aber es wird für ihn immer schwerer, Wörter als ganze Gebilde wahrzunehmen. Bis er schließlich nur noch Gruppen von zwei oder drei Buchstaben auf einmal sehen kann.
Lange weigert sich Knighton, seine Erblindung anzuerkennen. Ein ganzes Jahr lang spielt er den sehenden Lehrer in einer Grundschulklasse, bis ihm schließlich die Freundin davonzulaufen droht. Um seine Beziehung zu retten, wirft er schließlich alle Bedenken, seine Behinderung sichtbar zu machen, über Bord und greift zum Blindenstock. Mit ihm ändert sich seine ganze Weltordnung: "Ich bewege mich ohne Hektik durch diese Welt. Ein Stock sorgt dafür, dass alles unter Kontrolle ist. Ich bin nie in Eile, weil ich nur bis zum Stockende denke und nicht darüber hinaus."
Die Welt eines Blinden ist eine taktile oder eine beschriebene Welt. Sehende reisen in die Ferne, um ihren Horizont zu erweitern. Das genaue Gegenteil passiert, wenn ein Blinder eine Reise macht. Die Welt schrumpft zusammen, und er steht am Rande einer gähnenden Leere. Der Besuch einer fremden Stadt bedeutet für ihn, einen detaillierten Stadtplan gegen eine karge Strichzeichnung einzutauschen.
Der Autor räumt mit dem Märchen auf, dass bei Blinden die anderen Sinne nahezu übernatürliche Fähigkeiten erlangen. Das Hören beispielsweise sei allgemein überschätzt, schreibt Knighton. Geräusche sind eine unvollständige Sinneswahrnehmung, wenn man nicht die Möglichkeit hat, ihre Quelle zu lokalisieren. Weil er mit den Ohren nicht weit komme, gehe ihm auch die Neugier ab. Ob der Hund draußen nun aus lauter Freude belle oder ein Fall für den Tierschutz ist, ihm sei es egal.
Knighton lässt keinen Zweifel daran: Ein erblindeter Mensch ist ein Behinderter, der durch "seine sensorischen Einschränkungen an die Kette gelegt" ist. Die Erblindung bestimmt das ganze Leben, nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit. Die Erinnerungen an sein sehendes Leben erscheinen dem Autor in der Erinnerung nur noch mit konfettiartigen Löchern versehen. "So wie die Krankheit meine Netzhaut und meine Zukunft angreift, frisst sie sich auch durch die Erinnerungen meiner sehenden Vergangenheit." Ryan Knighton hat versucht, das blinde wie auch das sehende Leben in einer Geschichte einzufangen, die die seine ist. Der Versuch ist ihm geglückt.
GESINE HINDEMITH.
Ryan Knighton: "Augenzeuge - Die Geschichte meiner Erblindung". Aus dem Amerikanischen von Hucky Maier. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 304 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ryan Knighton beschreibt die Geschichte seiner Erblindung
Der typische Wunsch zum achtzehnten Geburtstag ist das erste Auto. Für Ryan Knighton kam es anders. Kurz zuvor wurde ihm eine Diagnose gestellt, die an Autofahren nicht mehr länger denken ließ: Retinosis pigmentaria, Ryan würde langsam, aber sicher in einigen Jahren erblinden. Eine angeborene Genmutation hatte diese Augenkrankheit ausgelöst, bei der die Netzhaut sich nach und nach selbst zerstört: "Meine Sicht würde zu einer Art engem Tunnelblick eingeschränkt werden. Später würde diese letzte Stelle funktionstüchtiger Netzhaut wohl ebenfalls der Krankheit zum Opfer fallen."
Ryan Knighton schreibt mit einer Mischung aus Ironie, Witz und Melancholie die Geschichte seiner Erblindung. Für ihn bedeutete die Diagnose durchaus auch eine Art Erleichterung. Endlich wurde ihm klar, warum sein "Leben manchmal Geschichten schrieb, die unerklärliche Aussetzer beinhalteten". Dreizehn Monate lang hatte er nämlich seine fortschreitende Erblindung einfach nicht wahrgenommen. Die blinden Flecken auf der Netzhaut erzeugen keine Lücken: Das Gehirn füllt auf eigene Faust die Leerstellen.
Die Tücke der Krankheit liegt im frühen Stadium und im psychologischen Bereich. Da scheint es einen anderen zu geben, der sich jeglicher bewusster Kontrolle entzieht. Ein unaufhaltsamer Entfremdungsprozess kommt in Gang, unerklärbar wird die Diskrepanz zwischen den guten Vorsätzen und den verhängnisvollen Fehlern, die oft auch das eigene Leben und das der anderen bedrohen. Aber ein Bier zu viel oder Unaufmerksamkeit beim Kassettenwechseln beim Autofahren gilt eben auch als Unfallauslöser, auf schleichende Erblindung muss man erst einmal kommen.
Mit dem Beginn seines Studiums ist Ryan Knighton praktisch blind. Er sieht zwar noch so etwas wie Lichtpunkte, verschwommene Farben, verzerrte Linien, aber er ist nicht mehr in der Lage, sich hinreichend zu orientieren. Mühsam kann er noch lesen, aber es wird für ihn immer schwerer, Wörter als ganze Gebilde wahrzunehmen. Bis er schließlich nur noch Gruppen von zwei oder drei Buchstaben auf einmal sehen kann.
Lange weigert sich Knighton, seine Erblindung anzuerkennen. Ein ganzes Jahr lang spielt er den sehenden Lehrer in einer Grundschulklasse, bis ihm schließlich die Freundin davonzulaufen droht. Um seine Beziehung zu retten, wirft er schließlich alle Bedenken, seine Behinderung sichtbar zu machen, über Bord und greift zum Blindenstock. Mit ihm ändert sich seine ganze Weltordnung: "Ich bewege mich ohne Hektik durch diese Welt. Ein Stock sorgt dafür, dass alles unter Kontrolle ist. Ich bin nie in Eile, weil ich nur bis zum Stockende denke und nicht darüber hinaus."
Die Welt eines Blinden ist eine taktile oder eine beschriebene Welt. Sehende reisen in die Ferne, um ihren Horizont zu erweitern. Das genaue Gegenteil passiert, wenn ein Blinder eine Reise macht. Die Welt schrumpft zusammen, und er steht am Rande einer gähnenden Leere. Der Besuch einer fremden Stadt bedeutet für ihn, einen detaillierten Stadtplan gegen eine karge Strichzeichnung einzutauschen.
Der Autor räumt mit dem Märchen auf, dass bei Blinden die anderen Sinne nahezu übernatürliche Fähigkeiten erlangen. Das Hören beispielsweise sei allgemein überschätzt, schreibt Knighton. Geräusche sind eine unvollständige Sinneswahrnehmung, wenn man nicht die Möglichkeit hat, ihre Quelle zu lokalisieren. Weil er mit den Ohren nicht weit komme, gehe ihm auch die Neugier ab. Ob der Hund draußen nun aus lauter Freude belle oder ein Fall für den Tierschutz ist, ihm sei es egal.
Knighton lässt keinen Zweifel daran: Ein erblindeter Mensch ist ein Behinderter, der durch "seine sensorischen Einschränkungen an die Kette gelegt" ist. Die Erblindung bestimmt das ganze Leben, nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit. Die Erinnerungen an sein sehendes Leben erscheinen dem Autor in der Erinnerung nur noch mit konfettiartigen Löchern versehen. "So wie die Krankheit meine Netzhaut und meine Zukunft angreift, frisst sie sich auch durch die Erinnerungen meiner sehenden Vergangenheit." Ryan Knighton hat versucht, das blinde wie auch das sehende Leben in einer Geschichte einzufangen, die die seine ist. Der Versuch ist ihm geglückt.
GESINE HINDEMITH.
Ryan Knighton: "Augenzeuge - Die Geschichte meiner Erblindung". Aus dem Amerikanischen von Hucky Maier. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 304 S., geb., 19,90 [Euro].
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