Diese einzigartige Kombination aus Darstellung, Analyse und Reflexion erhellt beispielhaft, wie Katastrophenereignisse in der Geschichte immer wieder neu verarbeitet und gedeutet werden.
So auch die Eroberung Roms durch Alarich im Jahr 410, die schon die Zeitgenossen und dann die Nachwelt bis hin zur modernen Geschichtsschreibung zu großen, historisch wirkmächtigen Geschichtsbildern angeregt hat. Das reicht von den Deutungen eines entsetzten Zeitgenossen wie Hieronymus bis zu der Verherrlichung Alarichs in der deutschen Geschichtsschreibung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die Autoren stellen die wichtigsten Interpretationen dieses epochalen Ereignisses vor und zeigen,wie wenig wir über das eigentliche Geschehen im Jahr 410 wissen.
So auch die Eroberung Roms durch Alarich im Jahr 410, die schon die Zeitgenossen und dann die Nachwelt bis hin zur modernen Geschichtsschreibung zu großen, historisch wirkmächtigen Geschichtsbildern angeregt hat. Das reicht von den Deutungen eines entsetzten Zeitgenossen wie Hieronymus bis zu der Verherrlichung Alarichs in der deutschen Geschichtsschreibung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die Autoren stellen die wichtigsten Interpretationen dieses epochalen Ereignisses vor und zeigen,wie wenig wir über das eigentliche Geschehen im Jahr 410 wissen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2010Tränen über mein Lieblingshühnchen Roma
Ansichten einer Katastrophe: Mischa Meier und Steffen Patzold sammeln Nachrichten über den Untergang Roms.
Von Andreas Kilb
Am 24. August 410 eroberte ein aus Goten, Hunnen, Alanen und anderen Völkerschaften gemischtes Heer unter der Führung Alarichs die ehemalige Hauptstadt des Römischen Reiches und plünderte sie drei Tage lang. Ferdinand Gregorovius, der Autor der populären "Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter", hat das Ereignis geschildert: "Die Barbaren ergossen sich durch alle Viertel Roms, jagten die Schwärme der Flüchtlinge vor sich her und metzelten sie nieder . . . Indem sie in dem ersten Triebe nach Gold Paläste und Thermen, Kirchen und Tempel angriffen, entleerten sie Rom mit der Hast von Räubern wie eine Schatzkammer. Der trunkene Hunne hielt sich nicht bei der Betrachtung der Kunst auf, welche alexandrinische Meister für den feinsten Luxus der Frauen Roms verwandt hatten . . . Die Plünderer ergriffen diese Schätze, nachdem sie zuvor den zitternden Schlemmer Fabunius oder Reburrus niedergestoßen und die Besitzerin in ihrer brutalen Umarmung erstickt hatten. Kaum konnte in einer Stadt der Welt je eine reichere Beute dem Feinde zugefallen sein . . ."
An dieser Beschreibung, mit der Generationen deutscher Gymnasiasten und Rompilger aufgewachsen sind, ist nichts falsch - außer dass sie frei erfunden ist. Sie ist ebenso sehr Fiktion wie alle anderen Berichte über den Fall der Ewigen Stadt vor sechzehnhundert Jahren, die der Althistoriker Mischa Meier und der Mediävist Steffen Patzold in ihrer Studie über den "Kampf um Rom" Revue passieren lassen. Denn keiner der Geschichtsschreiber, die sich bei Meier und Patzold die Klinke der Überlieferung in die Hand geben, hat das Drama vom August 410 mit eigenen Augen gesehen. Selbst das, was die Zeitgenossen über Alarichs welthistorischen Coup erzählt haben, war von Anfang an Deutung, Ausschmückung, Imagination. Bis ins neunzehnte Jahrhundert, als Gregorovius sein grandioses Untergangspanorama dichtete, wuchs so ein babylonischer Turm von Romgeschichten und -bildern über einem unsichtbaren Fundament, einem im Abgrund der Zeit versunkenen Stück Wirklichkeit heran. Niemand wusste, was wirklich in Rom passiert war, aber jeder wollte es wissen. So bekam jede Epoche die Katastrophenstory, die ihr passte.
Was Meier und Patzold in diesem Buch tun, könnte man schlicht als Quellenkritik bezeichnen. Aber das würde ihrem ebenso simplen wie raffinierten Ansatz nicht gerecht. Denn statt wie die klassische Geschichtsschreibung zu versuchen, die Wahrheit durch vergleichende Lektüre aus den Quellen herauszufiltern, wechseln unsere beiden Autoren einfach die Blickrichtung und betrachten die allmähliche Verfertigung des Ereignisses in der historischen Erzählung. Dabei wird einerseits klar, dass es die eine und ganze Wahrheit über den Fall von Rom nie gegeben hat. Andererseits blickt man in ein Labyrinth von Narrativen und Spekulationen, das ebenso reich und rätselhaft ist wie das Geschehen selbst. Nicht die Goten und Römer, sondern die schreibenden Schlachtenbummler der Weltgeschichte sind die Helden dieses Bandes.
Die Konstruktion der Untergangserzählung beginnt schon vor ihrem eigentlichen Anlass - mit einem Panegyrikus, den der römische Dichter Claudian im Jahr 402 auf den germanischstämmigen Feldherrn Stilicho, seinen Gönner, verfasste. Darin verglich er die Taten Stilichos, der gerade die Scharen Alarichs aus Italien vertrieben hatte, mit den Werken griechischer Sagenhelden und kam zu dem für Eingeweihte keineswegs überraschenden Ergebnis, dass der spätantike Kriegsmann die klassischen Recken à la Jason weit übertroffen habe. Um diese Behauptung halbwegs plausibel zu machen, dehnte Claudian den Gotenkrieg Stilichos glatt auf dreißig Jahre aus. So wuchs das Format seines Förderers mit der Größe der Gefahr.
Doch bald verstummte der Dichter, Stilicho starb durch Henkershand, und Alarich kehrte zurück, so dass der Kirchenvater Hieronymus im Spätsommer 410 in seinem Jerusalemer Exil vor der Herausforderung stand, die Neuigkeiten aus Rom in einen heils- und unheilsgeschichtlichen Zusammenhang zu betten. Er fand ihn beim alttestamentlichen Propheten Daniel und bei Claudian, dessen Stilicho-Apotheose er ins Gegenteil verkehrte ("der Barbar ist an allem schuld"), ohne an seinem Gotenkriegsnarrativ ein Jota zu ändern. Ganz anders sah es dagegen der heilige Augustinus, der zur gleichen Zeit im nordafrikanischen Hippo seinen "Gottesstaat" zu schreiben begann. Für ihn war der Fall der Stadt ein Fanal für das Ende des antiken Heidentums: Gott hatte die Römer für ihre Laster gestraft, nicht für die Zerstörung der paganen Altäre.
Um diese Deutung historisch zu untermauern, beauftragte Augustinus seinen Freund und Schüler Orosius mit der Abfassung einer Weltchronik, die den Weg vom Götzen- zum Gottesdienst als konsequente Aufwärtsbewegung nachzeichnete. Orosius' "Historiae adversum paganos" wurden zu einem der einflussreichsten Geschichtswerke des Mittelalters. In die Erzählung vom Untergang Roms aber ging vor allem jene Anekdote ein, die vom Triumph einer glaubensstarken Nonne über einen raubgierigen Goten berichtete: Gerührt von Gottesfurcht wie vom Glanz liturgischer Geräte, hätten sich Römer und Barbaren zu einer Prozession quer durch die Stadt vereint. Orosius hat den Umzug erfunden, um ein geschichtsphilosophisches Argument zu bekräftigen. Bei seinen Nachfolgern wurde er zum blanken historischen Faktum.
Am Ausgang der Antike wuchsen die Orosius-Anekdote und die Greuelbilder des Hieronymus mit der Gotengeschichte zusammen, die der Byzantiner Jordanes um 550 aus seiner Lektüre eines heute verschollenen Werks von Cassiodor und eigenen obskuren Quellen destillierte. Zugleich wurde, bei Zosimos, Philostorgios und anderen Chronisten, jener Topos vom Versagen des Westkaisers Honorius populär, dem das brillante Schandmaul Prokop seine endgültige szenische Form gab: Als Honorius erfahren habe, Roma sei gefallen, habe er zunächst den Tod seines gleichnamigen Lieblingshühnchens beweint, bevor er zu seiner Beruhigung erfuhr, dass nicht der Gickel, sondern die Stadt gemeint war. Auch dieses fiktive Charakterbild bereitet den Verächtern spätrömischer Dekadenz bis auf den heutigen Tag viel Freude.
So machte der Fall der Stadt in den Chroniken des Abendlands Karriere - als Etappe in der historischen Versöhnung von Römern und Westgoten (bei Isidor von Sevilla), als Beleg für das Walten Gottes in de Geschichte (Otto von Freising), als Beweis für die moralische Überlegenheit der Germanen (Franciscus Irenicus). Als Johannes Magnus im sechzehnten Jahrhundert die alte Jordanes-These von der skandinavischen Urheimat der Goten akutalisierte, fiel sein Vorstoß auf fruchtbaren geschichtspolitischen Boden: Noch bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein ließ sich jeder schwedische Monarch offiziell als "König der Schweden, Vandalen und Goten" anreden.
Es versteht sich, dass bei einer Tour de force durch die Historiographie, wie sie Mischa Meier und Steffen Patzold unternehmen, nicht jede Station zur Oase der Erkenntnis wird. In den Kapiteln über Edward Gibbon und Gregorovius, die beiden Vollender der klassischen Ereignisgeschichte, wünschte man sich weniger Anekdotisches und mehr Analyse, während dem Überblick über die alldeutsche Gotenverehrung von Felix Dahn bis Wilhelm Capelle ein stärkeres zeitgeschichtliches Kolorit gutgetan hätte. Auch der Schlussteil, in dem der deutsche Ethnogenese-Forscher Herwig Wolfram und der amerikanische Historiker Michael Kulikowski gegeneinander antreten, gerät etwas flach. Und dass die jüngsten Rom-Studien von Peter Heather und Bryan Ward-Perkins nicht ausführlicher behandelt werden, dürfte auch den Autoren selbst schon bald als Versäumnis erscheinen.
Aber das sind lässliche Schwachstellen bei einem Projekt, das für die zeitgenössische Geschichtswissenschaft in jeder Hinsicht ein Gewinn ist. Wie man den "Schichtkuchen" der Quellen aufschneidet, ohne dass er in sich zusammenfällt, das haben Meier und Patzold mit diesem Buch auf faszinierende Weise gezeigt. Am Ende bleibt ihnen die Einsicht, dass auch ihr eigenes metahistorisches Schreiben sich nicht aus dem Griff der Fiktion befreien kann: "Auch Clio dichtet." Und Rom war immer ihr schönstes Gedicht.
Mischa Meier/Steffen Patzold: "August 410 - Ein Kampf um Rom". Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2010. 260 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ansichten einer Katastrophe: Mischa Meier und Steffen Patzold sammeln Nachrichten über den Untergang Roms.
Von Andreas Kilb
Am 24. August 410 eroberte ein aus Goten, Hunnen, Alanen und anderen Völkerschaften gemischtes Heer unter der Führung Alarichs die ehemalige Hauptstadt des Römischen Reiches und plünderte sie drei Tage lang. Ferdinand Gregorovius, der Autor der populären "Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter", hat das Ereignis geschildert: "Die Barbaren ergossen sich durch alle Viertel Roms, jagten die Schwärme der Flüchtlinge vor sich her und metzelten sie nieder . . . Indem sie in dem ersten Triebe nach Gold Paläste und Thermen, Kirchen und Tempel angriffen, entleerten sie Rom mit der Hast von Räubern wie eine Schatzkammer. Der trunkene Hunne hielt sich nicht bei der Betrachtung der Kunst auf, welche alexandrinische Meister für den feinsten Luxus der Frauen Roms verwandt hatten . . . Die Plünderer ergriffen diese Schätze, nachdem sie zuvor den zitternden Schlemmer Fabunius oder Reburrus niedergestoßen und die Besitzerin in ihrer brutalen Umarmung erstickt hatten. Kaum konnte in einer Stadt der Welt je eine reichere Beute dem Feinde zugefallen sein . . ."
An dieser Beschreibung, mit der Generationen deutscher Gymnasiasten und Rompilger aufgewachsen sind, ist nichts falsch - außer dass sie frei erfunden ist. Sie ist ebenso sehr Fiktion wie alle anderen Berichte über den Fall der Ewigen Stadt vor sechzehnhundert Jahren, die der Althistoriker Mischa Meier und der Mediävist Steffen Patzold in ihrer Studie über den "Kampf um Rom" Revue passieren lassen. Denn keiner der Geschichtsschreiber, die sich bei Meier und Patzold die Klinke der Überlieferung in die Hand geben, hat das Drama vom August 410 mit eigenen Augen gesehen. Selbst das, was die Zeitgenossen über Alarichs welthistorischen Coup erzählt haben, war von Anfang an Deutung, Ausschmückung, Imagination. Bis ins neunzehnte Jahrhundert, als Gregorovius sein grandioses Untergangspanorama dichtete, wuchs so ein babylonischer Turm von Romgeschichten und -bildern über einem unsichtbaren Fundament, einem im Abgrund der Zeit versunkenen Stück Wirklichkeit heran. Niemand wusste, was wirklich in Rom passiert war, aber jeder wollte es wissen. So bekam jede Epoche die Katastrophenstory, die ihr passte.
Was Meier und Patzold in diesem Buch tun, könnte man schlicht als Quellenkritik bezeichnen. Aber das würde ihrem ebenso simplen wie raffinierten Ansatz nicht gerecht. Denn statt wie die klassische Geschichtsschreibung zu versuchen, die Wahrheit durch vergleichende Lektüre aus den Quellen herauszufiltern, wechseln unsere beiden Autoren einfach die Blickrichtung und betrachten die allmähliche Verfertigung des Ereignisses in der historischen Erzählung. Dabei wird einerseits klar, dass es die eine und ganze Wahrheit über den Fall von Rom nie gegeben hat. Andererseits blickt man in ein Labyrinth von Narrativen und Spekulationen, das ebenso reich und rätselhaft ist wie das Geschehen selbst. Nicht die Goten und Römer, sondern die schreibenden Schlachtenbummler der Weltgeschichte sind die Helden dieses Bandes.
Die Konstruktion der Untergangserzählung beginnt schon vor ihrem eigentlichen Anlass - mit einem Panegyrikus, den der römische Dichter Claudian im Jahr 402 auf den germanischstämmigen Feldherrn Stilicho, seinen Gönner, verfasste. Darin verglich er die Taten Stilichos, der gerade die Scharen Alarichs aus Italien vertrieben hatte, mit den Werken griechischer Sagenhelden und kam zu dem für Eingeweihte keineswegs überraschenden Ergebnis, dass der spätantike Kriegsmann die klassischen Recken à la Jason weit übertroffen habe. Um diese Behauptung halbwegs plausibel zu machen, dehnte Claudian den Gotenkrieg Stilichos glatt auf dreißig Jahre aus. So wuchs das Format seines Förderers mit der Größe der Gefahr.
Doch bald verstummte der Dichter, Stilicho starb durch Henkershand, und Alarich kehrte zurück, so dass der Kirchenvater Hieronymus im Spätsommer 410 in seinem Jerusalemer Exil vor der Herausforderung stand, die Neuigkeiten aus Rom in einen heils- und unheilsgeschichtlichen Zusammenhang zu betten. Er fand ihn beim alttestamentlichen Propheten Daniel und bei Claudian, dessen Stilicho-Apotheose er ins Gegenteil verkehrte ("der Barbar ist an allem schuld"), ohne an seinem Gotenkriegsnarrativ ein Jota zu ändern. Ganz anders sah es dagegen der heilige Augustinus, der zur gleichen Zeit im nordafrikanischen Hippo seinen "Gottesstaat" zu schreiben begann. Für ihn war der Fall der Stadt ein Fanal für das Ende des antiken Heidentums: Gott hatte die Römer für ihre Laster gestraft, nicht für die Zerstörung der paganen Altäre.
Um diese Deutung historisch zu untermauern, beauftragte Augustinus seinen Freund und Schüler Orosius mit der Abfassung einer Weltchronik, die den Weg vom Götzen- zum Gottesdienst als konsequente Aufwärtsbewegung nachzeichnete. Orosius' "Historiae adversum paganos" wurden zu einem der einflussreichsten Geschichtswerke des Mittelalters. In die Erzählung vom Untergang Roms aber ging vor allem jene Anekdote ein, die vom Triumph einer glaubensstarken Nonne über einen raubgierigen Goten berichtete: Gerührt von Gottesfurcht wie vom Glanz liturgischer Geräte, hätten sich Römer und Barbaren zu einer Prozession quer durch die Stadt vereint. Orosius hat den Umzug erfunden, um ein geschichtsphilosophisches Argument zu bekräftigen. Bei seinen Nachfolgern wurde er zum blanken historischen Faktum.
Am Ausgang der Antike wuchsen die Orosius-Anekdote und die Greuelbilder des Hieronymus mit der Gotengeschichte zusammen, die der Byzantiner Jordanes um 550 aus seiner Lektüre eines heute verschollenen Werks von Cassiodor und eigenen obskuren Quellen destillierte. Zugleich wurde, bei Zosimos, Philostorgios und anderen Chronisten, jener Topos vom Versagen des Westkaisers Honorius populär, dem das brillante Schandmaul Prokop seine endgültige szenische Form gab: Als Honorius erfahren habe, Roma sei gefallen, habe er zunächst den Tod seines gleichnamigen Lieblingshühnchens beweint, bevor er zu seiner Beruhigung erfuhr, dass nicht der Gickel, sondern die Stadt gemeint war. Auch dieses fiktive Charakterbild bereitet den Verächtern spätrömischer Dekadenz bis auf den heutigen Tag viel Freude.
So machte der Fall der Stadt in den Chroniken des Abendlands Karriere - als Etappe in der historischen Versöhnung von Römern und Westgoten (bei Isidor von Sevilla), als Beleg für das Walten Gottes in de Geschichte (Otto von Freising), als Beweis für die moralische Überlegenheit der Germanen (Franciscus Irenicus). Als Johannes Magnus im sechzehnten Jahrhundert die alte Jordanes-These von der skandinavischen Urheimat der Goten akutalisierte, fiel sein Vorstoß auf fruchtbaren geschichtspolitischen Boden: Noch bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein ließ sich jeder schwedische Monarch offiziell als "König der Schweden, Vandalen und Goten" anreden.
Es versteht sich, dass bei einer Tour de force durch die Historiographie, wie sie Mischa Meier und Steffen Patzold unternehmen, nicht jede Station zur Oase der Erkenntnis wird. In den Kapiteln über Edward Gibbon und Gregorovius, die beiden Vollender der klassischen Ereignisgeschichte, wünschte man sich weniger Anekdotisches und mehr Analyse, während dem Überblick über die alldeutsche Gotenverehrung von Felix Dahn bis Wilhelm Capelle ein stärkeres zeitgeschichtliches Kolorit gutgetan hätte. Auch der Schlussteil, in dem der deutsche Ethnogenese-Forscher Herwig Wolfram und der amerikanische Historiker Michael Kulikowski gegeneinander antreten, gerät etwas flach. Und dass die jüngsten Rom-Studien von Peter Heather und Bryan Ward-Perkins nicht ausführlicher behandelt werden, dürfte auch den Autoren selbst schon bald als Versäumnis erscheinen.
Aber das sind lässliche Schwachstellen bei einem Projekt, das für die zeitgenössische Geschichtswissenschaft in jeder Hinsicht ein Gewinn ist. Wie man den "Schichtkuchen" der Quellen aufschneidet, ohne dass er in sich zusammenfällt, das haben Meier und Patzold mit diesem Buch auf faszinierende Weise gezeigt. Am Ende bleibt ihnen die Einsicht, dass auch ihr eigenes metahistorisches Schreiben sich nicht aus dem Griff der Fiktion befreien kann: "Auch Clio dichtet." Und Rom war immer ihr schönstes Gedicht.
Mischa Meier/Steffen Patzold: "August 410 - Ein Kampf um Rom". Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2010. 260 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wenig erwärmen kann sich Rezensent Gustav Seibt für dieses Buch über den Untergangs Roms, das die Historiker Mischa Meier und Steffen Patzold vorgelegt haben. Eingehend rekapituliert er die Nachwehen dieses Ereignisses, das Historiker durch die Jahrhunderte fasziniert und das Geschichtsdenken des Mittelalters begründet hat. Den Autoren hält Seibt vor, sich mit der Schilderung der Interpretationen von Roms Fall zu begnügen, das historische Geschehen aber in einem "verallgemeinernden Erkenntnisrelativismus" aufzulösen. Damit bleiben sie für ihn hinter den seit den siebziger Jahren von Arno Borst und Georges Duby geführten Debatten zur "Konstitution von historischen Ereignissen" zurück.
© Perlentaucher Medien GmbH
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