Dieses Buch behandelt eine erstaunliche Liebe ... Es ist die späte Liebe der Kölner zu einem Fotokonvolut, das zur erfolgreichsten Bildersammlung über die Domstadt avancierte. Wie kein anderer prägte August Sander mit seinen Fotografien aus den 1930er-Jahren die Eigenwahrnehmung Kölns - obwohl diese auf Sanders wenig innovativer und historisch teilweise geschönter Inszenierung der Stadt beruht. Wie gelang es dem weltberühmten Porträtisten, mit vielfach fragwürdigen und technisch häufig mangelhaften Stadtansichten eine so nachhaltige Resonanz zu erzeugen? Reinhard Matz beschreibt die Entstehung der Kölnmappen, ihre Ankaufs- und Publikationsgeschichte, um das Werk schließlich mit einigem Stirnrunzeln zu würdigen - weil es schon zur Zeit seiner Entstehung weder der modernen Großstadt noch Sanders künstlerischem Rang und handwerklichem Können entsprach.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2016Die Stopfgans namens Sanders
Reinhard Matz schleift ein Denkmal der Fotografie
Köln hat zurzeit wenig zu lachen. Jetzt geht es auch noch einem der jüngeren Säulenheiligen an den Kragen, dem Fotografen August Sander, in dessen 1953 von der Kommune teuer erworbenem Konvolut "Köln, wie es war" die unzerstörte Vergangenheit der Stadt konserviert zu sein scheint. Nach dem Ankauf verschwanden die zwischen 1920 und 1939 entstandenen, alle Zeugnisse der Moderne bewusst ausblendenden Aufnahmen freilich im Archiv, denn altes Gemäuer war wenig gefragt in einer zukunftstrunkenen Gesellschaft.
Der seinerseits in Köln recht präsente Fotograf und Stadtkulturhistoriker Reinhard Matz unterzieht die in den achtziger Jahren wiederentdeckte und schnell zu Ruhm gelangte Sammlung (allein drei Werkausgaben) nun einer spitzzüngigen Grundsatzkritik, die bei der Vorstellung im vollbesetzten Vortragssaal des Rautenstrauch-Joest-Museums für Raunen sorgte.
Der Porträtist Sander ist für Matz über alle Kritik erhaben, als Stadtfotograf habe der Künstler jedoch wenige Meriten: Zum verklärenden Blick und der unsystematischen, mitunter verwunderlichen Motivauswahl komme die nur auf Geldgier zurückführbare Andickung des Konvoluts ("wie eine Stopfgans") mittels einer erheblichen Zahl von Doubletten, Varianten, Ausschnittvergrößerungen und sogar Reproduktionen ("Plagiate") hinzu. Noch schwerer wiegt die technisch-ästhetische Kritik des Experten: Allein ein Drittel der knapp vierhundert Aufnahmen sei unscharf, andere Bilder seien tief verschattet, stark retuschiert, seltsam beschnitten oder mit verunstaltendem Extrem-Weitwinkelobjektiv aufgenommen.
Die besondere Liebe der Kölner zu ausgerechnet diesen Aufnahmen - und nicht zu besseren anderer Fotografen - erklärt sich für Matz nur durch sentimentalen Lokalpatriotismus, der auf Qualität pfeift. Das erklärt in Köln freilich fast alles.
oju
Reinhard Matz:
"August Sanders
,Köln wie es war'".
Eine Revision.
Greven Verlag, Köln 2016. 112 S., br., 9,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Reinhard Matz schleift ein Denkmal der Fotografie
Köln hat zurzeit wenig zu lachen. Jetzt geht es auch noch einem der jüngeren Säulenheiligen an den Kragen, dem Fotografen August Sander, in dessen 1953 von der Kommune teuer erworbenem Konvolut "Köln, wie es war" die unzerstörte Vergangenheit der Stadt konserviert zu sein scheint. Nach dem Ankauf verschwanden die zwischen 1920 und 1939 entstandenen, alle Zeugnisse der Moderne bewusst ausblendenden Aufnahmen freilich im Archiv, denn altes Gemäuer war wenig gefragt in einer zukunftstrunkenen Gesellschaft.
Der seinerseits in Köln recht präsente Fotograf und Stadtkulturhistoriker Reinhard Matz unterzieht die in den achtziger Jahren wiederentdeckte und schnell zu Ruhm gelangte Sammlung (allein drei Werkausgaben) nun einer spitzzüngigen Grundsatzkritik, die bei der Vorstellung im vollbesetzten Vortragssaal des Rautenstrauch-Joest-Museums für Raunen sorgte.
Der Porträtist Sander ist für Matz über alle Kritik erhaben, als Stadtfotograf habe der Künstler jedoch wenige Meriten: Zum verklärenden Blick und der unsystematischen, mitunter verwunderlichen Motivauswahl komme die nur auf Geldgier zurückführbare Andickung des Konvoluts ("wie eine Stopfgans") mittels einer erheblichen Zahl von Doubletten, Varianten, Ausschnittvergrößerungen und sogar Reproduktionen ("Plagiate") hinzu. Noch schwerer wiegt die technisch-ästhetische Kritik des Experten: Allein ein Drittel der knapp vierhundert Aufnahmen sei unscharf, andere Bilder seien tief verschattet, stark retuschiert, seltsam beschnitten oder mit verunstaltendem Extrem-Weitwinkelobjektiv aufgenommen.
Die besondere Liebe der Kölner zu ausgerechnet diesen Aufnahmen - und nicht zu besseren anderer Fotografen - erklärt sich für Matz nur durch sentimentalen Lokalpatriotismus, der auf Qualität pfeift. Das erklärt in Köln freilich fast alles.
oju
Reinhard Matz:
"August Sanders
,Köln wie es war'".
Eine Revision.
Greven Verlag, Köln 2016. 112 S., br., 9,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main