Augusta Emerita ist im allgemeinen Bewusstsein nicht sehr präsent, zumindest weit weniger als andere römische Ruinenstädte von ähnlicher Bedeutung. Die Stadt, das heutige Mérida, liegt in der touristisch weniger erschlossenen Region Extremadura, weitab von den in der Antike wichtigen Handelshäfen am
Mittelmeer. Trotzdem war der Ort bereits um die Zeitenwende Hauptstadt der Provinz Lusitania und…mehrAugusta Emerita ist im allgemeinen Bewusstsein nicht sehr präsent, zumindest weit weniger als andere römische Ruinenstädte von ähnlicher Bedeutung. Die Stadt, das heutige Mérida, liegt in der touristisch weniger erschlossenen Region Extremadura, weitab von den in der Antike wichtigen Handelshäfen am Mittelmeer. Trotzdem war der Ort bereits um die Zeitenwende Hauptstadt der Provinz Lusitania und führt seinen Namen auf den Stadtgründer Augustus zurück. Warum aber setzten die Römer eine (für die damalige Zeit) Großstadt mitten ins Hinterland, mit Arena, Theater, einem repräsentativen Forum und zahlreichen Großtempeln?
Das ist eine der Fragen, die der umfassende Band zu beantworten sucht, auf der Basis neuester Erkenntnisse der Archäologie und verfasst von den ausgewiesenen Experten zum Thema. Sie beleuchten sowohl die Entdeckungsgeschichte, die bis heute andauert und immer noch für Überraschungen sorgt, als auch die Entwicklungsgeschichte der antiken Stadt, die mehrere Phasen durchlief. Ähnlich wie Rom, ging mit dem Ende des Römischen Reichs zwar die technologische Infrastruktur zugrunde, die Bauten und Teile der Bevölkerung blieben aber und nutzten die Baustoffe, um die heutige Stadt Mérida zu errichten, wodurch sie eine außergewöhnlich große Zahl an Spolien besitzt, also wiederverwendeter antiker Bauelemente. In Verbindung mit den erhaltenen Inschriften erlauben sie detailreiche Rekonstruktionen und interessante historische Schlüsse. Digitale Rekonstruktionen sind auch die Highlights der vorliegenden Monografie, die in Zusammenarbeit zwischen dem Museo Nacional de Arte Romana und dem Landschaftsverband Rheinland (der bezeichnenderweise den Archäologiepark Xanten betreut) herausgegeben wird.
Auffällig ist die sehr gut koordinierte Abstimmung zwischen den einzelnen Autoren der Beiträge, die einerseits systematisch vorgehen, andererseits auf inhaltliche Wiederholungen soweit möglich verzichten. So ist der Band nicht nur umfangreich, sondern auch enorm informativ. Er geht ins Detail und verliert dennoch nicht die große Linie aus dem Auge, was bei einer Gemeinschaftsarbeit auf diesem Niveau eher selten ist.
Einzelbeiträge untersuchen die Groß- und Kleinplastik der Augusta Emerita, unter besonderer Berücksichtigung der handwerklichen Provenienz, sowie die antike Münzstätte und deren Produkte. Ebenso werden die imperialen Großbauten auf der Grundlage aktueller Forschung beschrieben, sowie einige repräsentative Wohnkomplexe, die teilweise sehr gut erhaltene Raumdekore zeigen. Als Beispiel für die frühchristliche Besiedlung dient das Pilgerzentrum der Heiligen Eulalia vor den Toren der antiken Stadtmauer, das ab den 1990er-Jahren archäologisch erschlossen wurde und kürzlich sogar eine bisher anekdotische Überlieferung der Kirchengeschichte bestätigte. Einzelbeschreibungen bedeutender neuerer Einzelfunde und ein ausführlicher Beitrag zu den frühislamischen Fundstätten Morería und Alcazaba schließen den Band ab.
Die Texte richten sich sowohl an ein Fachpublikum als auch interessierte Laien. Archäologische und architektonische Fachsprache wird zwar vorausgesetzt, sie ist aber in der Regel auch aus dem Kontext verständlich. Die zahlreichen Illustrationen, insbesondere die hervorragenden 3D-Rekonstruktionen, unterstützen das Verständnis, auch ohne dass man die Örtlichkeiten persönlich kennt. So entsteht ein sehr komplexes, aber auch faszinierendes Bild einer Stadt, die nicht zufällig viel Ähnlichkeit mit Xanthen hat. Die römische Modellstadt wurde in der ganzen Antike immer wieder erfolgreich kopiert. Und natürlich hatte die vermeintlich abgeschiedene Lokalität in der Extremadura strategische und logistische Gründe. Die Römer überließen eben nichts dem Zufall.
(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)