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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2001

Körper, in Kunst transformiert
Die erotischen Aquarelle und Scherenschnitte Auguste Rodins

Monumentalität und Intimität, schließen sie sich nicht gegenseitig aus? Vor allem in der Architektur gilt die fragile Introversion in der Regel als unvereinbar mit den großen Formaten. Doch schon bei Michelangelo steht die Grandeur der Skulpturen zwar im Gegensatz zum schmerzlich subjektiven Bekenntnischarakter der Sonette - und dennoch gehören sie zusammen; mag man auch den archaischen Torso der Mailänder "Pietá Rondanini" und lyrische Bebung schwerlich zusammendenken können. Aber ist nicht gerade die "himmlische Länge" manch später Schubertscher Instrumentalwerke genaues Pendant zur zunehmenden Kürze der Lieder? Und wie ist das mit Wagner? Da stehen die vergleichsweise knappen Wesendonk-Lieder als ganz eigenständige "Vorstudien" zum in jeder Hinsicht exzessiven "Tristan". Darüber hinaus ziehen sich auch hier die Gegensätze an: Ausgerechnet die Lyriker, vor allem Baudelaire und Mallarmé, waren von Wagners multiplen Grenzüberschreitungen fasziniert. Vollends bilden Mahlers Riesen-Sinfonien und die knappen Lieder eine Art untrennbarer Gattungs-Polarität. Gleichwohl, den überragenden Plastiker assoziiert man kaum mit dem augenblicksfixierten quasiimpressionistischen Miniaturisten.

Vollends einen Bildhauer wie Auguste Rodin, schier automatisch mit Attributen wie wuchtig, gar gigantisch bedacht, vermag man sich schwer als Meister hingetupfter Zeichnungen vorstellen, erst recht nicht des exquisit erotischen Genres. Natürlich gibt es auch und gerade bei Rodin manch hinreißende Hommage an den weiblichen Körper, sublime Konfigurationen von Sirenen und Danaiden voll verlockend sinnlicher Aura. Aber als Meister raffiniert flüchtiger Darstellungen sexueller Situationen steht Rodin nicht im Pantheon der Kunstgeschichte. Und selbst Rodin-Bewunderer kennen diese Seite kaum. Zumindest dominiert die Arbeit am spröden Material des Plastikers die des Zeichners und Aquarellisten. Dabei hat Rodin im Atelier unablässig gezeichnet: vor allem seine Modelle, die er ständig, oft zu mehreren, umhergehen ließ - um diese unbefangen sein zu lassen und zugleich für sich selbst permanent neue Perspektiven zu entdecken. Die zahlreichen Akte Rodins freilich erscheinen in drei ästhetischen Aggregatzuständen: zunächst als Zeichnung, die dann nachträglich aquarelliert wird, und schließlich, als letzte Stufe, wird diese Version auch noch ausgeschnitten.

Rodins Akte, die in ihrer unverstellten anatomischen Direktheit die Zeitgenossen schockierten, als obszön oder gar pornographisch zu klassifizieren, liegt nahe, führt gleichwohl in die Irre. Denn bei aller physiologisch-naturalistischen Drastik, die sogar masturbatorische Andeutungen zuläßt, behalten Rodins Frauen-Huldigungen ihr Moment des luftig Artifiziellen.

Gerade die Zweistufigkeit der Darstellung hat schon 1902 Paul Klee gerühmt, der durchaus ambivalent fasziniert von "Aktkarikaturen!" sprach: "Darin der Größte, den ich sah, verblüffend genial. Mit ein paar Bleizügen sind Umrisse gezogen, mit einem vollen Pinsel ist in Aquarell ein Fleischton hingesetzt ... Das ist alles und wirkt einfach monumental." Wobei "monumental" hier gewiß rein qualitativ zu verstehen ist, nicht im mindesten im Sinne bombastischer Formate welcher Art auch immer.

Rodin sprach im Zusammenhang mit diesen Arbeiten von "Instantanés": Der rasche, quasi Bergsonsche Augenblick, in dem der "élan vital" aufblitzt, bestimmt diese Bilder, viele ganz offenkundig in Windeseile gezeichnet und übermalt. Dazu paßt, daß ausgerechnet Rodin, der Virtuose des beredten Porträts, die Gesichter weitgehend vernachlässigt: knapp hingeworfener anatomischer Umriß und offenkundig ebenso spontane farbige Modulation erzeugen die eigentümlich vibrierende Spannung dieser Körperstudien, denen kaum je etwas Schwüles oder gar Schwülstiges, demonstrativ Sexistisches anhaftet. Nicht eben wenige dieser Darstellungen wirken denn auch wie Verlängerungen mancher Degas-Studien - freilich körperhaft konkretisiert und zugleich artistisch abstrahiert.

Sucht man nach einem Verständnisschlüssel für diese bei aller Akt-Eindeutigkeit oft seltsam seraphisch schwebende Akt-Sublimierung, so mag der Blick auf Rodins Mozart-Büste Aufschluß verschaffen: Unverkennbar trägt sie die Züge Gustav Mahlers und vereint so die expressive Schwere des frühen zwanzigsten Jahrhunderts mit der Huldigung an die Helligkeit des späten achtzehnten. Ein wenig Watteau, Boucher und Fragonard schwingen denn auch bei Rodins erotischen Imaginationen mit, verstärkt freilich aus dem modernen Bewußtsein von der ewig lockenden Unentrinnbarkeit des Fleischlichen. Bei Schirmer/Mosel sind diese "Bilder des Begehrens" nun in zweiter Auflage veröffentlicht worden, sehr erhellend angereichert durch Anne-Marie Bonnets Studie "Rodins späte Zeichnungen. Für eine Kultur der Begierde".

GERHARD R. KOCH

Auguste Rodin: "Bilder des Begehrens". Die erotischen Aquarelle und Scherenschnitte. Mit einem Text von Anne-Marie Bonnet. Schirmer/Mosel Verlag, München 2001. 159 S., Abb., geb., 49,80 DM.

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