John Williams vierter Roman "Augustus" erschien bereits 1971 und weicht von seinen drei vorher veröffentlichten Büchern ab, weil er als Romanbiografie in Briefen und Quellen kein amerikanisches Thema behandelt. Im Vorwort stellt Williams klar, dass das dichte Netz aus Briefen, Tagebuchnotizen,
Senatsprotokollen und Fragmenten geplanter Memoiren fiktiv ist, der Roman biete eine literarische, keine…mehrJohn Williams vierter Roman "Augustus" erschien bereits 1971 und weicht von seinen drei vorher veröffentlichten Büchern ab, weil er als Romanbiografie in Briefen und Quellen kein amerikanisches Thema behandelt. Im Vorwort stellt Williams klar, dass das dichte Netz aus Briefen, Tagebuchnotizen, Senatsprotokollen und Fragmenten geplanter Memoiren fiktiv ist, der Roman biete eine literarische, keine historische Wahrheit.
In das Beziehungsgeflecht ist anfangs nicht leicht hineinzukommen. Da vertrauen alte Freunde einander ihre Gedanken an und tauschen sich über die Zipperlein des Alters aus, ein Sohn schreibt aus der Schlacht an den Vater, eine Tochter führt in der Verbannung Tagebuch, ein Zenturio bittet im Alter von 53 Jahren aus Altersgründen um die Freistellung vom Militärdienst, ein Statthalter liefert seinem Auftraggeber regelmäßig Berichte ab, eine Sklavin diktiert ihre Gedanken und Erinnerungen; denn sie kann selbst nicht schreiben. Die Figuren sind historisch verbürgt, ihre privaten Gedanken flüsterte der Autor ihnen ein und gibt jeder seiner Figuren so eine unverwechselbare Stimme. Augustus ist kein Buch nur über machthungrige alte und junge Männer; die Beziehungen zwischen Schreiber und Empfänger geben in fesselnder Weise Einblick in das Alltagsleben von Männern und Frauen, Herren und Dienern.
Williams tritt bescheiden hinter seine Figuren zurück. Der Leser wird zum Zaungast schriftlicher Zwiegespräche, deren Beteiligte selten darüber nachzudenken scheinen, dass ein Brief kein Vier-Augen-Gespräch ist und kopiert werden kann. Einige der Briefschreiber scheinen Sinn für Spott und Ironie miteinander zu teilen. Ihr Austausch lässt das Ausmaß an Heuchelei, Klatsch, Intrige und Verrat zu Zeiten Julius Cäsars und seiner Nachfolger lebendig werden. Hervorstechend war für mich, dass Williams Figuren Sinn für Ironie und die komischen Seiten des Lebens zeigen. Über die Vorstellung der Anrede „Mein lieber Livy“ [Livius] auf einem Papyrus muss ich immer noch grinsen. Williams Schalk, der zwischen den Zeilen hervor blitzt, erinnert an Hilary Mantels listige Figuren-Charakterisierungen. Wer Mantels Wölfe mochte, liegt mit dem Griff zu diesem Roman sicher nicht daneben.
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Zitat
„Ich habe mich manches Mal gefragt, wie ich die mir gegebene Macht angewandt hätte, wenn ich keine Frau gewesen wäre. Selbst für mächtige Frauen wie Livia forderte es der Brauch, sich bescheiden zurückzuhalten und eine Genügsamkeit an den Tag zu legen, die ihrem Wesen oft widersprach. Ich wusste schon sehr früh, dass dies für mich nicht in Frage käme. [Julias Tagebuch]“ (Seite 293/294)