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Der Amerikaner Peter Eisenman ist nicht nur einer der provozierendsten Architekten der Gegenwart, er gehört darüber hinaus bereits seit den 70er Jahren zu den international führenden Architekturtheoretikern. Ausgehend von Foucaults Grundthese der Dezentrierung des Subjekts und Derridas Kritik der Präsenz arbeitet Eisenman seit zwei Jahrzehnten an einer Überwindung der Metaphysik in der Architektur, welche ihm zufolge bis heute nur einen stilistischen, jedoch keinen konzeptionellen Begriff der Moderne hervorgebracht hat. Angeregt durch neue Ansätze in den Naturwissenschaften, entwickelt…mehr

Produktbeschreibung
Der Amerikaner Peter Eisenman ist nicht nur einer der provozierendsten Architekten der Gegenwart, er gehört darüber hinaus bereits seit den 70er Jahren zu den international führenden Architekturtheoretikern. Ausgehend von Foucaults Grundthese der Dezentrierung des Subjekts und Derridas Kritik der Präsenz arbeitet Eisenman seit zwei Jahrzehnten an einer Überwindung der Metaphysik in der Architektur, welche ihm zufolge bis heute nur einen stilistischen, jedoch keinen konzeptionellen Begriff der Moderne hervorgebracht hat. Angeregt durch neue Ansätze in den Naturwissenschaften, entwickelt Eisenman eine Architektur, die keinem platonischen Diskurs folgt, sondern sich selbstorganisierend entfaltet. Die unplanbare Singularität dieser Entfaltung nennt er eine Architektur des Ereignisses und des Exzesses . Benjamin modifizierend, versteht Eisenman die Erfahrung des Singulären als Aura, im Sinne Derridas als Präsenz der Absenz.In diesem Band werden Eisenmans wichtigste theoretische Texte zum ersten Mal in deutscher Sprache gesammelt vorgelegt.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.1996

Die sieben Säulen der Interpretation
Peter Eisenman entkräftet einige unserer Vorurteile gegen schreibende Architekten

Columbus, Ohio, dürfte eine der langweiligsten Städte der USA sein. Voll Stolz verkündet der städtische Werbeprospekt, die Geschmacksbefrager von Gallup kämen in die Gemeinde, weil sie den Durchschnitt repräsentiere. Ausgerechnet in Ohio aber befindet sich mit dem Wexner Center for the Visual Arts einer der aufregendsten amerikanischen Bauten der letzten Jahre: eingeklemmt zwischen zwei bestehenden Gebäuden, setzt sich das kleine Museum mit den existierenden Campusbauten auseinander, erinnert in monumental-historisierenden Bauteilen an die früher dort stehenden Gebäude und verunsichert zu alledem den Betrachter durch Details wie Stützen und Balken, die in der Luft schweben, ohne etwas zu tragen.

Architekt ist der Amerikaner Peter Eisenman, der soeben eine Sammlung seiner theoretischen Schriften in deutscher Sprache herausgebracht hat. Gewöhnlich muß man ein wenig vorsichtig sein bei theoretisierenden Architekten: Geht es ihnen nur um die Erlangung von Aufträgen, oder hat der Betreffende wirklich etwas zu sagen? Sogar Robert Venturis 1966 erschienenes Manifest "Complexity and Contradiction in Architecture", sicherlich eine der einflußreichsten Schriften zur Begründung der "Postmoderne", enthielt am Schluß eine Reihe eigener Entwürfe - selbstverständlich nur zur Erläuterung der Theorie.

Das Schielen auf den Markt kann man Peter Eisenman, dem 1932 geborenen und in New York arbeitenden Architekten, gewiß nicht nachsagen. Seine Theorien sind so komplex und intellektuell herausfordernd, daß sie das Fassungsvermögen der meisten Bauherren wohl übersteigen - von dem der Kritiker ganz zu schweigen. Seine wenigen Bauten sind so befremdlich und ungewöhnlich, daß sie nicht eben einladend auf investitionswillige Bauherren wirken.

Auch der Leser der hier vorgelegten Texte ist gefordert, intellektuelle Offenheit mitzubringen, um unkonventionelle Denkpfade zu beschreiten. Und Fähigkeit und Geduld, sich durch die nicht einfachen Texte zu arbeiten - einschließlich des klugen Vorwortes von Ullrich Schwarz, der zusammen mit Martina Kögl auch für die Übersetzung verantwortlich war. Sie bringt die Texte in ein klares Deutsch und ist beinahe besser zu lesen als die amerikanischen Originale.

Für den in philosophischen und architekturtheoretischen Denkkategorien weniger geübten Leser empfiehlt es sich, die Lektüre mit den Streitgesprächen zu beginnen, die Eisenman mit Kollegen oder Kritikern in öffentlichen Veranstaltungen geführt hat. Da bewährt sich die amerikanische Fähigkeit zur griffigen, klaren Sprache. Nach diesem Einstieg darf man sich dann an Texte machen, die "Moving Arrows, Eros and other Errors. Eine Architektur der Abwesenheit" oder "En Terror Firma: Auf den Spuren des Grotextes (Grotesken)" heißen. Wer sich in der zeitgenössischen Philosophie auskennt, bemerkt die Affinität zu Formulierungen Jacques Derridas, der mit dem Begriff der "Dekonstruktion" einer ganzen Architekturrichtung den Namen gegeben hat - einer Richtung allerdings, der zuzugehören Eisenman sich heftig wehrt.

Worum also geht es? Peter Eisenman verlangt nichts weniger von der Architektur, als sich endlich vom anthropozentrischen Weltbild zu lösen, wie es Philosophie und Wissenschaft, selbst die Kunst längst getan haben. Die Architektur hat diesen Schritt am Beginn der Aufklärung versäumt. Sie befaßt sich wie vor 500 Jahren ausschließlich mit der Frage, wie der Mensch die Welt beherrschen kann. Ein nichtanthropozentrisches Weltbild aber gibt "dem Anderen", dem Objekt sein Recht zurück: Mensch und Welt treten sich gleichberechtigt gegenüber; "Welt" wird nicht automatisch als "Umwelt" betrachtet, also als etwas, das seine Existenzberechtigung dadurch erweist, daß es sich auf den Menschen bezieht.

Die moderne Architektur habe, so Eisenman, das anthropozentrische Weltbild geradezu auf die Spitze getrieben: Der sogenannte "Funktionalismus" trage schon im Namen den ausschließlichen Bezug zum Menschen in sich. Wenn also im Wexner Center die Stütze in der Luft schwebt, dann ist das im Sinne Eisenmans das architektonische Bild dafür, daß sie nicht mehr im Dienste des Menschen Last trägt, sondern buchstäblich ihre Emanzipation zeigt.

Das Beispiel ist anschaulich, mag aber auch ein wenig banal erscheinen. Die architektonischen Arbeiten Eisenmans, angefangen bei den Wohnhäusern der siebziger Jahre, die nicht mehr "Villa Elfriede" (oder etwas seriöser: "Haus Dr. M.") genannt werden, sondern ganz neutral im Sinne einer typologischen Reihe numeriert werden von I bis X, sind Übungsfelder für einzelne architektonische Elemente: Stütze, Scheibe, Raum - Grundübungen einer neuen Architektur, auf den ersten Blick durchaus ähnlich der Formensprache der klassischen Moderne, im Endergebnis jedoch verstörende Bauten, die allerdings häufig der Interpretation des Architekten bedürfen.

Das ist die Grundfrage zu den Theorien Eisenmans überhaupt: Handelt es sich um bloße Rechtfertigungen des Gebauten? Ist die Theorie das "Rezept" für die Architektur? Kurz: in welchem Verhältnis stehen Bau und Theorie zueinander? Anders als bei den meisten schreibenden Bau-Meistern wird man bei Peter Eisenman sagen können, daß die Bauten zwar nur teilweise ohne die Theorie, diese aber ohne die Bauten verständlich ist. Sie stellt eine allgemeine, eine grundsätzliche Frage zum Verhältnis von Mensch und Welt.

Die Frage ist aber, ob sich die Architektur als die "dritte Haut" des Menschen überhaupt dazu eignet, eine veränderte Subjekt-Objekt-Beziehung auszudrücken. Kann man vom Vogel, der sein Nest baut, vom Bären in seiner Höhle verlangen, sie sollten Nest oder Höhle objektivieren? Wenn Bauen der Blochsche "Produktionsversuch menschlicher Heimat" ist, dann kommt sie per definitionem nicht ohne den Menschen aus; dann liegt es nicht in den Möglichkeiten des Mediums "Architektur", die Last einer derartigen Aussage zu tragen.

Das schließt zum Glück nicht aus, daß ein Bau wie das Wexner Center in Columbus, Ohio, eine sinnliche Wirkung entfaltet, der man sich nur schwer entziehen kann: Die Architektur schlägt zurück. Unabhängig von jeder Theorie beweist der Bau seine eigene Kraft. GERT KÄHLER

Peter Eisenman: "Aura und Exzeß". Zur Überwindung der Metaphysik der Architektur. Passagen Verlag, Wien 1995. 312 S., Abb., br., 68,- DM.

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