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Die Texte stammen aus den Jahren 1925 bis 1933 und spiegeln Walsers letzte Jahre in Bern ebenso wie die Zeit in der Psychiatrischen Klinik Waldau. Nach wie vor versucht Walser, in allem Wechsel von Erlebnissen und Stimmungen »sich selbst willkommen zu heißen« oder, wie er an anderer Stelle sagt, »Unentweihtheiten« an sich zu entdecken. In Band 6 finden sich die letzten Zeugnisse seines Dichtens. Nach mühevoller Dechiffrierarbeit wird die Edition »Aus dem Bleistiftgebiet« mit Band 5 und 6 abgeschlossen. Es ist damit gelungen, alle unbekannten Texte, die das Konvolut der insgesamt 526 Blätter enthält, publikationsfähig zu gewinnen. …mehr

Produktbeschreibung
Die Texte stammen aus den Jahren 1925 bis 1933 und spiegeln Walsers letzte Jahre in Bern ebenso wie die Zeit in der Psychiatrischen Klinik Waldau. Nach wie vor versucht Walser, in allem Wechsel von Erlebnissen und Stimmungen »sich selbst willkommen zu heißen« oder, wie er an anderer Stelle sagt, »Unentweihtheiten« an sich zu entdecken. In Band 6 finden sich die letzten Zeugnisse seines Dichtens. Nach mühevoller Dechiffrierarbeit wird die Edition »Aus dem Bleistiftgebiet« mit Band 5 und 6 abgeschlossen. Es ist damit gelungen, alle unbekannten Texte, die das Konvolut der insgesamt 526 Blätter enthält, publikationsfähig zu gewinnen.
Autorenporträt
Walser, RobertRobert Walser wurde am 15. April 1878 in Biel geboren. Er starb am 25. Dezember 1956 auf einem Spaziergang im Schnee. Heute ist Walser durch seine Romane, seine feuilletonistische Prosa, seine Gedichte und seine Dramolette als einer der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts anerkannt. Nach seiner Schulzeit absolvierte er eine Banklehre und arbeitete als Commis in verschiedenen Banken und Versicherungen in Zürich. Seine ersten Gedichte, die 1898 erschienen, ließen ihn rasch zu einem Geheimtip werden und verschafften ihm den Zugang zu literarischen Kreisen. Nach Erscheinen seines ersten Buches Fritz Kochers Aufsätze folgte er 1905 seinem Bruder Karl nach Berlin, der dort als Maler und Bühnenbildner den Durchbruch erzielt hatte. In rascher Folge publizierte Walser nun seine drei Romane Geschwister Tanner (1907), Der Gehülfe (1908) und Jakob von Gunten (1909). Infolge einer psychischen Krise geriet Walser Anfang 1929 gegen seinen Willen in die Psychiatrie, deren Rah

men er nie mehr verlassen konnte. 1933 von der Berner Klinik Waldau nach Herisau verlegt, gab er das Schreiben vollständig auf und lebte dort noch 24 Jahre als vergessener anonymer Patient. Sein Werk erscheint seit 1978 im Suhrkamp Verlag, seit 2018 auch in der neuen kommentierten Berner Ausgabe.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2000

Dienst ist Dienst
Robert Walsers Mikrogramme · Von Pia Reinacher

Seine Schrift wurde immer winziger, die Papierfetzen, die er beschrieb, immer schäbiger. Sein Leben schrumpfte immer schneller zusammen. Der einst in Berlin gefeierte, in internationalen Zeitschriften publizierende und in angesehenen deutschen Verlagen willkommene Schriftsteller Robert Walser war schon 1913 wieder zurückgekehrt in die Schweiz, nach Biel, an den Ursprungsort. Die öffentliche Aufmerksamkeit schwand.

Wer auf der Spur von Robert Walsers Winzigschrift ist und dieses Geheimnis des merkwürdigsten Sonderlings unter den Schriftstellern lüften will, tut gut daran, sich vor simplen Projektionen zu hüten. Denn der große Schweizer Schriftsteller, dessen Name ganze Generationen nachfolgender Autoren auf ihr Banner schrieben, war zwar der Inbegriff eines freudigen Außenseiters. Aber er verstand vor allem auch eines: sich elegant allen Festschreibungen zu entziehen. Gewiß versorgte er seine Zeitgenossen durch Widerstand und Spott gegenüber bürgerlichen Forderungen mit Material zur Legendenbildung. Die Mikrogramme aus den Jahren 1925 bis 1933, seiner letzten Schaffensperiode, die jetzt, nach fast siebzehnjähriger Entzifferungsarbeit, erschienen sind und als Band 5 und 6 die Edition "Aus dem Bleistiftgebiet" abschließen, beweisen es deutlich: Robert Walser schrieb bis zuletzt auf der Höhe seiner Möglichkeiten - bis er, nach der Überführung 1933 in die Pflegeanstalt im Appenzellischen Herisau, verstummte.

Das Spiel mit der in den letzten Jahren bis fast zur Unkenntlichkeit verkleinerten Sütterlinhandschrift, mit der er Papierschnipsel, Honorarquittungen, Absageformulare oder Randspalten von Zeitschriftenseiten netzartig überzog, korrespondiert nicht mit einem intellektuellen Verfall. Zwar wurde der Bleistift in den letzten Jahren weicher, die Papierqualität schlechter, die graphischen Kompositionen raffinierter, aber noch immer waren es hochkarätige Einfälle, die Walser zu Papier brachte. Gerade die Manuskripte aus dem letzten Konvolut offenbaren aber eine radikale Ambivalenz: Robert Walser oszillierte mit dem Verfahren der Winzigschrift zwischen abruptem Kommunikationsabbruch und einer verschlüsselten Verständigungsbrücke. Als hätte sich der Schriftsteller immer zwangshafter an das mechanische Ritual des verkleinerten Schreibens klammern müssen, damit er überhaupt zum zündenden Funken kam. Die Buchstabengröße in den letzten Manuskripten aus den Jahren 1932/33 betrug durchschnittlich einen Millimeter.

Ist es angesichts der kalligraphischen Zwangsarbeit verwunderlich, daß sich die beiden Entzifferer Bernhard Echte und Werner Morlang schließlich in die Haare geraten sind? Ist es erstaunlich, daß sich das Erscheinen der letzten Bände hinauszögerte? Seit 1985 hatten sie die ersten vier Mikrogrammbände transkibiert, seit 1990 saßen sie im Zürcher Robert-Walser-Archiv an den letzten Blättern des Konvoluts, vier Jahre später entzweiten sie sich. Sie sind die einzigen, die durch jahrelange Sehschulung zu diesem Kraftakt fähig waren. So blieb den Walser-Lesern nichts anderes, als auf die verbliebenen 253 unbekannten Manuskripte aus der Berner Zeit und der Periode des Aufenthaltes in der Psychiatrischen Klinik Waldau zu warten.

Was neu vorliegt, ist zwar ein Steinbruch. Unter den bislang unbekannten Prosastückchen, Gedichten und Szenen findet sich neben zauberischen Winzigtexten auch amorphes Material: Routinierte Tagesrationen; Texte, die um altbekannte Themen rotieren und durch die Repetition auf den eingeweihten Leser ausgehöhlt wirken. Zum Beispiel: das Frauenschühlein; der Kleiderfetischismus in Form lustvoller Anbetung eines ausladenden Damenhutes oder Distanz schaffender Accessoires; die Demutshaltung eines Protagonisten vor einer imponierenden Herrin. Aber dieses Qualitätsgefälle entspricht jenem der ersten vier Mikrogrammbände. Es weicht nicht entscheidend ab von den Verhältnissen in den Prosabänden der Gesamtausgabe. Geblieben ist die hochartistische Kunstsprache, welche die Balance hält zwischen üppigen Verzierungen und domestizierten schwadroneusen Einfällen. Geblieben ist die Technik der lautmalerischen, assoziativen Reihungen. Geblieben ist das Hüpfen innerhalb eines "Prosastückleins" von einem Thema zum anderen. Doch finden sich auch vermehrt Abstürze ins Alltagssprachliche oder überflüssige Einschlüsse banaler Mundartinvektiven.

Damit widerlegt sich bei der Lektüre der letzten beiden Bände "Aus dem Bleistiftgebiet" das Klischee vom Geheimcode. Der Dichter im Purpurmantel des armen Poeten thematisiert mit Insistenz das Handwerk des Schreiben. Man meint gar eine zunehmende Relativierung seiner Bedeutung für den Autor wahrzunehmen, wenn nicht leisen Überdruß.

Die poetologische Reflexion wird, in der gebotenen, ironisch gebrochenen Manier, zum Gegenstand. Einmal spricht Walser über das Schreiben kurzer Texte, wobei das sich selbst genügende Spiel mit Wortklängen ebenso dominant ist wie die Reflexion; und wollen die Blödelein nicht doch auch die Angst vor dem Versiegen der Schöpferkraft cachieren? "Nun wieder diese kleine Prosa, diese Abweichungen und -zweigungen, diese Mädelchenränzelchen und -schuhabsätzchen. Wird diese Frauenausstellungsberichtabstatterei behaglich, bequemlich, erbaulich, erfreulich ausfallen? . . . Statt endlich kolossal viel Mut zu fassen und ein vollständiges Messe-Buch zu schreiben, behandle ich fortwährend nur Fingerchen mit polierten Nägelchen, d. h. entstehen mir in einem fort nichts als ärmliche kleine Dichtungen." Diesen Text scheibt Walser im Herbst 1926.

Man muß sich als Vergleich vor Augen halten, mit welcher Kühnheit er drei Jahre zuvor an seinen Förderer Max Rychner, den einflußreichen Redaktor von "Wissen und Leben", schrieb: "Lieber Monsieur, ich hielt es für angebracht, nach Wien, im K. K.-Stil, kund und zu wissen zu tun, Sie hätten gesagt, ich sei etwas wie ein Shakespeare der Prosastückli's. In Biel, zu meiner Jugendzeit, ging ich hie und da in die Confiserie Stücker, um Zäner oder Zwänz'gerstückli zu kaufen . . . Max Brod, auch ein Doktor und auch ein Mäxchen, daneben aber Redaktor am Prager Tagblatt, lobt mich um meiner Verse willen, . . . weil es mich freut, falle ich in eine Klatschbasenhaftigkeit hinein, die Sie so gütig sein werden, zu verzeihen."

Jetzt, in den letzten Manuskripten, wird er ernsthafter. Er redet über den Dummen, den Gescheiten und den Lustigen; er spricht über die Geziertheit des eigenen Stils und macht sich Gedanken über seine Dichterlaufbahn, wobei eine gewisse Verworrenheit der Argumentation unübersehbar ist. Dann überrascht er mit verwinkelten Formulierungen über guten und schlechten Schreibstil. Er denkt auffällig oft über Erfolg und Mißerfolg nach, wobei er Erfolge, die "misserfölgelig" aussehen, ironisch unter die Lupe nimmt. Und er thematisiert das Altern - ein Sujet, das für einen Autor, der sich sonst süchtig in der Rolle des Kindes imaginiert, ungewöhnlich ist.

Zu beachten ist im 5. Band "Aus dem Bleistiftgebiet" die Lyrik. Neben artig Gereimten und Polterndem findet sich eine Handvoll von Gedichten, die man durch ihre schlichte, schwerelose und ungeschützte Melancholie so schnell nicht vergißt. Die überzeugendsten dieser lyrischen Miniaturen sind imprägniert mit einer Todessehnsucht, die man so ungebrochen in den Texten Robert Walsers selten findet. Die lakonischen Gebilde implodieren verzögert im Leser. Selbst in Todesnähe entwickelt sich die Dynamik dieser Zeilen aus dem spöttischen Spiel mit dem Reim, das alle Schwere bricht: "Ich könnte mich veranlaßt sehen, / an meinem Leichenhemd zu nähen. / Mein Fräulein, dieses zu verstehen, müßten Sie sich ein bißchen verdrehen. / Sie sahen noch nie die Winde flehen / und hörten noch nie die Liebe stockstillstehen . . ."

Zu diesen dunkel grundierten Gedichten gehört "Ich wohnte schon in Zimmern", ein lyrischer Text, der das Unsägliche und Unsagbare im Leben des lyrischen Ichs zusammenfaßt: "Ich wohnte schon in Zimmern, / wo ich mich wimmern / hört, weil's mir schien, / sie gingen hin / und her wie Lebendige / und ich müsse ertrinken, ersticken / in ihrem Innern. Dann wieder / glichen Räume, die mich umfingen, / märchenhaften Ringen, / Sälen und Türmen /, schwindlig hohen, / Einst lebte ich in einem Zigarettenetui, / ihr könnt euch denken, / wie ich mir da gesunken / vorkam . . ."

Fast sieht es so aus, als würde Robert Walser hier das Verstummen imaginieren. Als dächte er den leeren Raum voraus, der ihn in den letzten dreiundzwanzig Jahre seines Lebens in der Psychiatrischen Klinik Herisau umfangen wird. Als ahnte er die Versteinerung, die sich über Jahre dahinziehen wird, während er Papiersäcke kleben und Wolle zupfen wird, vereinsamt, vergessen und verstoßen.

Robert Walser: "Aus dem Bleistiftgebiet". Band 5 und 6. Hg. von Bernhard Echte und Werner Morlang. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. Zusammen 744 S., 128 Mark.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Diese Veröffentlichung zeige deutlich, schreibt Pia Reinacher, dass Robert Walser bis zu seiner Überführung in die Psychatrie auf der Höhe seiner Möglichkeiten geschrieben hat. Was hier mit Band 5 und 6 nun neu vorliege, sei zwar ein Steinbruch. Er enthalte Prosastücke, Gedichte und Szenen unter denen sich neben "zauberischen Winzigtexten" auch "amorphes Material" befinde. Doch dieses Qualitätsgefälle entspreche jedem der vier ersten Bände der Ausgabe. Geblieben sei die hoch künstlerische Sprache, die "Technik der lautmalerischen, assoziativen Reihungen" und das Springen von einem Thema zum anderen. Einen großen Raum in der Rezension nimmt die Beschreibung der Manuskripte ein und die übermenschliche Leistung der Herausgeber bei deren fast siebzehn Jahre dauernden Entzifferung. Mit einer extrem verkleinerten Sütterlinhandschrift habe Walser wie mit einem Netz  Papierschnipsel, Honorarquittungen, Absageformulare oder Randspalten von Zeitschriften überzogen. "Kalligraphische Zwangsarbeit" nennt die Rezensentin diese Technik, die sie für ein mechanisches Ritual Walser hält, an das er sich klammerte, um überhaupt schreiben zu können. Die Buchstabengröße der letzten Manuskripte aus den Jahren 32/33 habe durchschnittlich einen Millimeter betragen. Doch die Entzifferungsarbeit hat sich wohl gelohnt, auch wenn sich in deren Verlauf die Herausgeber heillos zerstritten haben. Mit wachsendem Staunen liest man die kleinen Walser-Einsprenksel, die von einer genialischen Schrulligkeit seien. Liest von Frauenschühlein und "misserfölgeligen Erfolgen" und nimmt sich vor, mal in die Bücher selbst zu gucken um zu erleben, wovon Pia Reinacher schreibt: dass nämlich Walsers "lakonische Gebilde" im Leser verzögert implodieren.

© Perlentaucher Medien GmbH
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