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Mit den im Jahr 2008 in den USA entdeckten über einhundert Brautbriefen von Kurt Riezler an Max Liebermanns Tochter Käthe erschließt sich eine neue authentische Quelle zum Kriegsbeginn 1914. Die Briefe werden ergänzt durch einige Briefe, die Riezler aus der Moskauer deutschen Gesandtschaft im Jahr 1918 schrieb, als die bolschewistische Herrschaft ihren dramatischen Anfang nahm. Als junger Vertrauter des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg war Kurt Riezler sowohl ein Insider als auch ein Outsider inmitten der älteren zivilen und militärischen Führung, welche den Krieg bewusst gewagt…mehr

Produktbeschreibung
Mit den im Jahr 2008 in den USA entdeckten über einhundert Brautbriefen von Kurt Riezler an Max Liebermanns Tochter Käthe erschließt sich eine neue authentische Quelle zum Kriegsbeginn 1914. Die Briefe werden ergänzt durch einige Briefe, die Riezler aus der Moskauer deutschen Gesandtschaft im Jahr 1918 schrieb, als die bolschewistische Herrschaft ihren dramatischen Anfang nahm.
Als junger Vertrauter des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg war Kurt Riezler sowohl ein Insider als auch ein Outsider inmitten der älteren zivilen und militärischen Führung, welche den Krieg bewusst gewagt hatte. Die Authentizität seiner berühmten Tagebücher wurde vor Jahrzehnten in den Auseinandersetzungen über die deutsche Verantwortlichkeit für den Ersten Weltkrieg kontrovers diskutiert. Die spontan, fast täglich geschriebenen Briefe an seine Verlobte bieten jedoch nun einen unverfälschten Einblick in die zunehmenden Frustrationen und Konflikte im Großen Hauptquartier, die aus dem Scheitern der Kriegspläne des Generalstabes resultierten.
Die bedenkenlose Opferung des Lebens und des Lebensglücks von Hunderttausenden in den ersten Kriegsmonaten war der Beginn der "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts, die in Massenvertreibung und Massenmord endete. Sowohl Kurt Riezler und Käthe Liebermann als auch viele der ihnen nahestehenden Personen wurden früher oder später zu Opfern der militärischen und politischen Entscheidungen eines imperialen Regimes, das sich letztlich selbst zerstörte.
Autorenporträt
John C. G. Röhl lehrte bis zu seiner Emeritierung als Professor für Neuere europäische Geschichte an der Universität Sussex.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einen Schatz für die Weltkriegsforschung erkennt Rezensent Gerd Krumeich in den von Guenther Roth und John C.G. Röhl herausgegebenen Briefen des Reichskanzlervertrauten Kurt Riezler aus dem Hauptquartier an seine Geliebte. Viel Licht, meint Krumeich, fällt von ihnen auf die Denkweisen und Handlungsmotivationen der wilhelminischen Führungsschicht. Dass von den 300 Seiten die Hälfte Einleitungen und Erläuterungen sind, scheint dem Rezensenten angemessen, zumal er darin nicht weniger als ein Plädoyer für eine erneute Revision heutiger Weltkriegsforschung sieht, zurück zur Vorstellung, Deutschland habe den Krieg gewollt und mit Weltmachtsabsichten auch lange geplant. Dass die Argumentation dazu im Buch nicht immer eindeutig ausfällt, kann Krumeich verzeihen angesichts der intensiven Einblicke in die übermütige, euphorische Stimmung im Hauptquartier während der ersten Kriegsmonate, die seiner Meinung nach sogar das berüchtigte "Septemberprogram" des Reichskanzlers in den Schatten stellt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2016

Schlafwandler, bitte aufwachen!

Denn sie griffen doch nach der Weltmacht: Kurt Riezlers Briefe offenbaren ein neues Bild der deutschen Kriegsherren anno 1914.

In der Diskussion um Deutschlands Rolle bei der Auslösung des Ersten Weltkriegs haben seit den siebziger Jahren die Tagebücher von Kurt Riezler, einem engen Vertrauten des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg, eine große Rolle gespielt. Ihr Quellenwert für die Entscheidungen in der Julikrise ist bis heute kontrovers, weil offensichtlich Teile von ihnen nicht im Original erhalten, sondern später bearbeitet worden sind. Nun werden diese Tagebücher, die ein starkes Licht auf die Denkweisen und Handlungsmotivationen der wilhelminischen Führungsschicht werfen, durch einen neuen Quellenfund ergänzt.

Auf dem Speicher eines Hauses in Baltimore hat Guenther Roth, der fünfundachtzigjährige Altmeister der Wilhelminismus- und Max-Weber-Forschung, die Briefe von Kurt Riezler an seine Geliebte und spätere Ehefrau gefunden. Diese hat er nun gemeinsam mit John Röhl, dem bekannten kritischen Biographen Wilhelms II., publiziert. Die Edition umfasst knapp dreihundert Seiten, davon sind nahezu die Hälfte Einleitungen und Erläuterungen der Herausgeber. Und diese haben es in sich. Sie sind ein regelrechtes Plädoyer für eine Re-Revision der heutigen Weltkriegsforschung. Ein Aufruf zur Rückkehr zu den Thesen des Hamburger Historikers Fritz Fischer, dessen "Griff nach der Weltmacht" von 1961 einen Jahrzehnte dauernden Streit über die deutschen Absichten bei der Auslösung des Ersten Weltkrieges entfacht hatte.

Dieser Streit ist wieder stärker aufgeflammt, seit Christopher Clark mit seinen "Schlafwandlern" den Deutschen eingeredet hat, dass sie am wenigsten Schuld am Ausbruch der Katastrophe von 1914 gehabt hätten. Röhl und Roth legen in der Einführung dar, dass Deutschland den Krieg gewollt und langfristig bewusst geplant hat, um endlich zur Weltmacht zu werden. Kurioserweise können sie sich aber nicht so recht entscheiden, ob der Krieg 1914 ausgelöst wurde, weil man nur auf diese Weise zur Weltmacht werden konnte, oder aber ob die Militärs und Politiker einen Präventivkrieg führen wollten. Manchmal tauchen die beiden so konträren Argumente zusammen sogar auf einer Seite auf.

Kurt Riezlers Briefe an Käthe Liebermann, Tochter des damals schon berühmten Malers Max Liebermann, von August 1914 bis Anfang Mai 1915 (hinzu kommen noch einige Briefe aus Moskau, 1918) sagen kaum mehr über die Persönlichkeit des Verfassers, als man bislang schon aus dem Tagebuch und aus dessen 1913 unter dem Pseudonym Ruedorffer publizierten "Grundzügen der Weltpolitik in der Gegenwart" kannte. Vieles ist auch inhaltlich nicht gut verständlich, weil die Erwiderungsbriefe von Käthe Liebermann nicht überliefert sind und die Herausgeber in ihren grundsätzlich soliden Erläuterungen wohl auch nicht bis ins Letzte recherchiert haben, worauf sich Hinweise und Anspielungen aller Art beziehen könnten.

Aber in einer Hinsicht sind diese Briefe für die künftige Forschung schlicht unverzichtbar: Sie zeigen uns das deutsche Hauptquartier in den ersten Monaten des Krieges mit einer Deutlichkeit, mit der man es zuvor nicht hatte sehen können. Besonders wichtig scheint mir das Erwägen aller möglichen Kriegsziele zu sein, wie sie im Umkreis Seiner Majestät im Spätsommer 1914 aufkamen und von Riezler an seine Geliebte weitergegeben wurden.

Allein schon der Aufbruch im Sonderzug des Kaisers mit Gefolge auf dem Weg nach Koblenz und die erste Zeit im dortigen Generalhauptquartier lassen die übermütig-selbstherrliche Stimmung der Generalität und der meisten Zivilen in deren Gefolge ermessen. Zu Recht merken die Herausgeber an, dass auf der Reise zur Front bei all diesen Männern des innersten Machtkreises nichts zu spüren ist von Notwehr oder einer Überraschung durch den Kriegsausbruch. Munter wird da schwadroniert, wie die Engländer und Russen "verhaftet" werden. Ein Diskurs des Übermutes, der im Laufe der ersten Erfolge in Ost und West bis Ende August 1914 so anschwillt, dass Riezler am 22. August an Käthe Liebermann schreibt, ihr Vater Max habe wohl recht, "dass der Krieg notwendig und erziehlich" sei. "Dazu darf nur nicht zu arg gesiegt werden. Sonst kommt Übermut und Tollheit. Eine deutsche Weltherrschaft allerdings verträgt unsere Kultur nicht." Ganz ähnlich ein paar Seiten weiter: "Es wird ein grässlicher Übermut über Deutschland kommen."

Und Riezler, selbst von der Notwendigkeit eines "größeren Deutschlands" überzeugt, seufzt einmal, dass die Militärs "ganz rabiat" seien und "die halbe Welt annektieren" wollten. Auch Hugo Stinnes, der Tycoon der Wirtschaft, mischt sich ein und erscheint Ende November im Hauptquartier: "Er will auch alles annektieren, weiss aber wenigstens, was er will", schreibt Riezler. So schlimm ist diese Welle der Überheblichkeit und Annexionswut, dass er am 13. September - da ist die Marne-Schlacht gerade verloren - seufzt: "Ein Segen, daß es nicht mehr weitergeht, damit die in Berlin ruhiger werden."

Hochinteressant ist in diesem Zusammenhang, dass Riezler seiner Geliebten am 7. September aus dem Hauptquartier in Luxemburg schreibt, er müsse "ein großes Memorandum über die Siegespreise, das morgen für den Kaiser fertig sein muss", fertigstellen. Bei diesem Memorandum handelt es sich um das berüchtigte "Septemberprogramm" des Reichskanzlers, das Fritz Fischers These vom "Griff nach der Weltmacht" am nachhaltigsten zu bestätigen schien. Nun können wir endlich erkennen, welchen Platz dieses Dokument im damaligen Kriegsziel-Gerangel wirklich hatte. Am 8. September, dem Tag, an dem er dieses Programm fertigstellt, schreibt Riezler an Käthe Liebermann, dass ihm aktuell weniger die Kriegslage Sorgen bereite "als die Dampfwalzentheoretiker mit ihrer Annexionswut und Geschimpfe auf die Diplomaten", wozu selbstverständlich auch der Kaiser gehöre. Es gab also damals wirklich viel Schlimmeres als das "Septemberprogramm" des Reichskanzlers!

Kurt Riezlers Briefe aus dem Hauptquartier sind ein Schatz für die künftige Weltkriegsforschung. Den Herausgebern sei gedankt, ihn für uns gehoben zu haben.

GERD KRUMEICH

Guenther Roth und John C.G. Röhl (Hrsg.):

"Aus dem Großen Hauptquartier". Kurt Riezlers Briefe an Käthe Liebermann 1914-15.

Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2016. 300 S., Abb., geb., 49,- [Euro].

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