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Lesen macht schön, denkt man in den grotesken Familiengeschichten Michael Krügers. In seinem liebenswerten Spiegelkabinett aus lebensfremden Sonderlingen gelingt ihm der Beweis, dass deutsche Literatur richtig komisch, total unterhaltsam und absolut fein geschrieben sein kann; ein Erfolgsschriftsteller eben.

Produktbeschreibung
Lesen macht schön, denkt man in den grotesken Familiengeschichten Michael Krügers. In seinem liebenswerten Spiegelkabinett aus lebensfremden Sonderlingen gelingt ihm der Beweis, dass deutsche Literatur richtig komisch, total unterhaltsam und absolut fein geschrieben sein kann; ein Erfolgsschriftsteller eben.
Autorenporträt
Michael Krüger wurde am 9. Dezember 1943 in Wittgendorf/Kreis Zeitz geboren. Nach dem Abitur an einem Berliner Gymnasium absolvierte er eine Verlagsbuchhändler- und Buchdruckerlehre. Daneben besuchte er Veranstaltungen der Philosophischen Fakultät als Gasthörer an der Freien Universität Berlin. In den Jahren von 1962-1965 lebte Michael Krüger als Buchhändler in London. 1966 begann seine Tätigkeit als Literaturkritiker. Zwei Jahre später, 1968, übernahm er die Aufgabe des Verlagslektors im Carl Hanser Verlag, dessen Leitung er im Jahre 1986 übernommen hat. Seit 1981 ist er Herausgeber der Literaturzeitschrift Akzente.

Im Jahr 1972 veröffentlichte Michael Krüger erstmals seine Gedichte, und 1984 debütierte er als Erzähler mit dem Band "Was tun? Eine altmodische Geschichte". Es folgten weitere zahlreiche Erzählbände, Romane, Editionen und Übersetzungen.
Michael Krüger lebt in München.
Auszeichnungen:
1974
Förderpreis für Literatur der Landeshauptstadt München
1976
Förderpreis für Literatur im Bundesverband der deutschen Industrie
1982
Bayerischer Förderpreis für Literatur
Stipendium der Villa Massimo
1983
Tukan-Preis
1986
Peter-Huchel-Preis
1991
Wilhelm-Hausenstein-Medaille
1994
Ernst-Meister-Preis
1996
Prix Medicis Etranger
2000
Ehrenpreis der Stadt München
2004
Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
2006
Michael Krüger wird von der Universität Bielefeld mit dem Titel eines Ehrendoktors der Philosophie geehrt.
Am 8. Februar erhält Michael Krüger zudem für sein Gesamtwerk den mit 12 000 Euro dotierten Mörike-Preis der Stadt Fellbach in Baden-Württemberg.
Mitglied in folgenden Akademien:
Bayerische Akademie der Schönen Künste in München

Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt
Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz
Akademie der Künste in Berlin
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.1998

Ach, diese Tanten aus Zeitz
Immer unter der Decke: Michael Krüger erzählt aus dem Leben

Dieses hübsche Bändchen enthält zwölf Geschichten, dazu einen Anhang - die Parodie eines Essays über "Alkohol und Literatur". Für Literatur ist der Autor durch eigenes Schreiben und seine Tätigkeit als Verlagsleiter sowie Herausgeber einer Literaturzeitschrift ausgewiesen. Mit dem Alkohol scheint er nicht professionell verbunden, vermutlich aber privat verbündet zu sein, kommt er doch nach der Analyse vieler phantastischer Statistiken zu dem, "was wir immer schon wußten: Eine Kultur, die nur das eine fördert - das Lesen oder das Trinken -, wird früher oder später austrocknen bzw. ertrinken."

Der Werbetext auf dem Umschlag verspricht dem Lesepublikum liebenswerte und lebensfremde Helden, deren Obsession die Liebe zur Literatur sei. Diese Liebe nimmt allerdings in den sechs Geschichten mit halbwegs literarischer Thematik ziemlich abwegige Formen an: Ein im Familienbetrieb arbeitender Bestseller-Autor bekommt ein unablässig wachsendes Tier geschenkt, ein Onkel will die gesamte Weltgeschichte auf Druckfehler zurückführen, ein mit der Schwester befreundeter Dichter hält "die strikte Verweigerung jeglicher Veröffentlichung" für wesentlich, ein Enkel und seine Großmutter lieben Beckett, ein Verlagslektor bringt den von ihm betreuten Erfolgsautor um.

Die andere Hälfte der Geschichten ist gar nicht literarisch: Da läßt sich ein Fernstudent auf ein Abenteuer mit einer Dame ein, die irrtümlich seine Telefonnummer gewählt hat, da wird die pikante Kindheitserinnerung an den Selbstmord einer Nachbarin festgehalten, unter dem Titel "Die Blaubart-Stiftung" versammelt ein junger Mann die zahlreichen Anbeterinnen seines verstorbenen Vaters, ein Großvater hat in seinem Haus eine Tür ins Nichts, ein dicklicher Schulfreund wird evoziert, ein weiterer Großvater tyrannisiert die Familie mit seiner Mondbesessenheit, und das historische Märchen vom blauen Prinzen fällt schon dadurch etwas aus dem Rahmen, daß es keine Ich-Erzählung ist.

Natürlich sind diese Geschichten erfunden. Die erste, eine Groteske, mag den Titel des Bändchens geliefert haben, denn hier erzählt ein "Erfolgsschriftsteller", wie er seine lukrative, den Familienclan ernährende Schriftstellerei für jenes widerliche fleischfressende Ungeheuer opfert, das sich aus einem friedlichen Kuscheltierchen, Geschenk seines Verlegers, herausentwickelt hat und für das wohl Ionesco mit seiner wachsenden Leiche ("Amédée oder Wie wird man ihn los?") Pate stand.

Nicht so surrealistisch ist der aus der Knabenperspektive erzählte, nach Druckfehlern suchende Onkel, der in einem von Büchern überfüllten Haus lebt, die Staatsbibliothek plündert und zum Schluß "leblos zwischen seinen Karteikästen" liegt, "gekrümmt wie ein erlegtes Fragezeichen im Staub seiner Bücher, so klein und so arm und mager, daß man ihn ohne Schwierigkeiten in einer Fußnote hätte unterbringen können" - er könnte eine unterdrückte Nebenfigur aus Canettis "Blendung" sein.

Leicht verwundert wird man jedoch hier bemerken, daß die beiden Erzählerfiguren, die ja nichts miteinander zu tun haben sollten, in einem Familienclan leben, in dem alte Tanten sich auf unsympathische Weise breitmachen. Diese Tantenwirtschaft, die man zuerst für Zufall halten möchte, entpuppt sich bald als ein zerstückelter roter Faden, der durch fast alle Geschichten läuft: Tanten aus Chemnitz und aus Jena, zweimal aus Zeitz, mit sächsischem Dialekt, "vor Urzeiten aus dem Osten zu uns gekommen", tauchen in verschiedenen erzählerischen Umgebungen auf - die Tante des Erfolgsschriftstellers heißt zum Beispiel ebenso Hilde wie die (aus Zeitz stammende) Tante des Knaben vor der Tür ins Nichts.

Wenn man dann in einer biographischen Notiz liest, daß der Autor Michael Krüger aus Wittgendorf, Kreis Zeitz in Sachsen kommt, darf man wohl weitere Erkundigungen anstellen: In der Geschichte mit Doderers Titel "Ein Mord, den jeder begeht" hat der neunundvierzig Jahre alte Verlagslektor Christoph Horschick den von ihm seit Jahren betreuten Erfolgsautor erschlagen und schreibt sein Geständnis am 20. September 1993 nieder - neunundvierzig Jahre alt war damals freilich auch der Verleger Michael Krüger, der diesen Horschick erfand ...

Was zunächst wie ein Kunstfehler aussieht, die Kontamination der Erzählerfiguren untereinander samt ihrer Durchdringung mit Elementen aus dem Leben des Autors, ist in Wirklichkeit das Geheimnis dieser Geschichten. Es geht ihnen nicht so sehr um Literatur oder um liebenswerte, lebensfremde Helden, es geht ihnen um Erinnerung und Imagination. Die Melancholie der Kindheit, die ja immer schon vergangen ist, sucht ihr Personal mit Vorliebe am Rande des Lebens, bei Onkel-, Großmutter- und Großvaterfiguren, mit denen man unter einer Decke stecken konnte, oder bei Tanten, die sich verabscheuen lassen. Die schönsten Geschichten des Bändchens sind darum vielleicht die, welche sich der diffusen Erinnerung überlassen oder gar nur aus dem bloßen Wunsch nach mehr Erinnerung erfunden sein mögen: das geheimnisvolle Einvernehmen von Enkel und Großvater vor der Tür ins Nichts, die Rekonstruktion eines schon damals in der Kindheit beinahe bloß erschwindelten Schulfreundes, die Evokation einer Zeit ungetrübten Glücks, welches den Heranwachsenden mit seiner in Beckett vernarrten Großmutter verband: "Ich sehe uns noch auf dem Oberdeck des Busses sitzen, der uns nach der Vorstellung über den Hohenzollerndamm nach Hause bringen sollte, eng aneinandergekuschelt und kichernd wie Verliebte."

Nicht immer gelingt es so leicht und rein, das nicht oder nicht mehr Existierende zu beleben. Da aber das Schreiben das einzige Mittel dafür zu sein scheint und Michael Krüger offensichtlich gerne schreibt, schreibt er manchmal (zum Beispiel in der Blaubartgeschichte) auch noch hoffnungsvoll weiter, wenn ein Motiv erschöpft ist - einem Lebensretter vergleichbar, der die Beatmung fortsetzt, wenn schon keine Hoffnung mehr besteht. Wer wollte ihm das übelnehmen. HANS-HERBERT RÄKEL.

Michael Krüger: "Aus dem Leben eines Erfolgsschriftstellers". Geschichten. Sanssouci Verlag, Zürich und München 1998. 140 S., geb., 24,- DM.

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