Produktdetails
- Verlag: Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung
- 1., Aufl.
- Seitenzahl: 300
- Erscheinungstermin: September 2003
- Deutsch, Spanisch
- Abmessung: 177mm x 108mm x 19mm
- Gewicht: 235g
- ISBN-13: 9783871620584
- ISBN-10: 3871620580
- Artikelnr.: 11933936
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.02.2004Herrsche in Dir selbst
Francisco de Quevedos eindringliche Gedichte
Ein unscheinbar daherkommender Band enthält einiges vom Eindringlichsten, das in jüngster Zeit in deutscher Sprache zu lesen war: Gedichte Francisco de Quevedos (1580 bis 1645), ausgewählt und aus dem Spanischen übersetzt von Werner von Koppenfels. Aus dem schwarzen siebzehnten Jahrhundert ragt ja manches in die Gegenwart des einundzwanzigsten hinein, strenge und gefährliche Bücher, die deren Denken fesseln und anhaltend fesseln werden – Thomas Hobbes’ „Leviathan” etwa oder Baltasar Graciáns „Oráculo manual”. Gegenüber diesen beiden Zeitgenossen sind Quevedos Aussichten aus seinem Turm, der in Madrid und in der Hölle stand, jedoch ein Drittes; anders als mit Staatslehre und Kalkül der Klugheit reagiert Quevedo auf die Schrecken der Zeit, obschon die eine wie das andere in seinem Werk gelegentlich bemerkenswerte Auftritte haben.
Vom Verfasser des„Leviathan” unterscheidet ihn, dass er den politischen vom metaphysischen Horror nicht zu trennen weiß; eine Konstruktion absoluter Herrschaft, wie Hobbes sie anbietet, würde Quevedos Frage nicht beantworten. Näher steht er seinem Landsmann Gracián, außer im Sentenziösen und Konzisen der Sprache auch inhaltlich, insofern Quevedo in einer immer noch vorwiegend mit ihrem längst brüchig gewordenen imperialen Programm befassten Gesellschaft eine aufs Individuum bezogene Alternative anbietet: „Drum, wenn du herrschen willst, herrsch in dir selbst: / Du bist ein weiteres Reich als alle Welt” endet ein Gedicht mit dem bezeichnenden Titel „Auf die Gebeine eines Königs, die sich, namenlos, in einem Grab fanden und deren Rang man an den Bruchstücken einer Krone erkannte”. Die Lehren individueller Lebenskunst sind allemal auf Skepsis gegen kollektive Macht gegründet, doch Quevedo treibt den Zweifelweiter als Gracián. Anders als dieser und entgegen dem Anschein jener beiden Schlusszeilen ist Quevedo im Grunde nicht überzeugt von Autonomie der Vernunft und des Subjekts, und folglich auch nicht von Strategie und Taktik, die bei Gracián das letzte Wort behalten.
Die Welt als Schutthaufen
So verrät jener Gedichttitel mehr über den Autor: Ist Graciáns Perspektive allemal die des Gelingens, so Quevedos die des Zerfalls. „Die Welt als Schutthaufen” könnte über seinem Werk stehen. Geschichte besteht darin, dass Menschen aus den Trümmern des Alten ihr Neues bauen und so nur weiterer Zerstörung das Material liefern; „Nützliche Moral für alle, die eigenen Schmuck mit fremder Nacktheit erkaufen” lautet der sarkastische Titel des Sonetts, in dem Francisco de Quevedo diesen Gedanken entfaltet. Es ist der Gedanke des „desengaño”, der Ernüchterung, Enttäuschung, der aufblitzt, wenn Quevedo etwa als einzige Konstante Roms, dieses Ruinenfelds über Ruinenfeldern, ausgerechnet das Fließen des Tibers identifiziert.
Untrennbar ist im „desengaño” die negative Seite der Aufdeckung von Schein und Trug, nicht zuletzt in den Beziehungen der Geschlechter, des Verzichts auf Illusion und Ideologie, von der positiven der Witzigung, die in Quevedos Kunst des Wortspiels und der Metapher einen Karneval vertauschten Sinnes entfesselt. An wörtliche Übersetzung ist da nicht zu denken, doch der Münchner Anglist und Komparatist Werner von Koppenfels hat das unmöglich Scheinende möglich gemacht, in großer Nähe zum spanischen Original gleichwohl einen lesbaren deutschen Quevedo erstehen zu lassen. Koppenfels nimmt es genau und nimmt sich doch zugleich die ästhetische Freiheit zum Unphilologischen, etwa wenn er „terror” geradewegs mit „Terror” übersetzt. Seine Übertragung folgt keinem Rezept, gibt erst am einzelnen Gedicht sich jeweils die Regel. Sie dürfte schwer zu übertreffen sein. Und unersetzlich ist sie schon insofern, als Quevedos Gedichte derzeit nur in einer einzigen, gerade einmal 145 Seiten umfassenden Auswahl, derjenigen Wilhelm Musters bei Klett-Cotta, im deutschen Buchhandel vertreten sind.
Man könnte Quevedos Gedichte mit gelehrten Kommentaren über barocke Emblematik neben sich studieren. Doch nicht einzig so. „De todo lo que ignoras te aprovechas”, sagt der Dichter einmal, „Nichtwissen ist Gewinn, den du empfängst”, wie Koppenfels übersetzt. Man dürfte sich demgemäß auch unbelehrt in Quevedos Rätsel stürzen, bis der Kopf dröhnte von denselben: ein Zustand nicht ohne Missverständnis, in den man so wohl geriete, doch produktiven Missverständnisses, wie ich selbst erfahren zu haben glaube. Vor den gröbsten bewahrt der Übersetzer mit einem superben Nachwort. Koppenfels’ Auswahl, schmal im Verhältnis zum Gesamtwerk, lässt doch den ganzen Quevedo erkennen, der düster zu sein vermag und witzig, derb und tiefsinnig, trocken und visionär. Es gilt auch von diesem philosophierenden Dichter das Wort, das Goethe auf einen anderen münzte: dass er nicht enden kann, das macht ihn groß. Mit Koppenfels’ Übersetzung könnte ein Anfang gesetzt sein, der einer Wahrnehmung Francisco de Quevedos in der deutschen Kultur.
ANDREAS DORSCHEL
FRANCISCO DE QUEVEDO: Aus dem Turm. Moralische und erotische Gedichte, Satiren und Grotesken. Zweisprachige Ausgabe: Spanisch – Deutsch. Ausgewählt und übertragen von Werner von Koppenfels. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 2003. 303 Seiten, 20 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Francisco de Quevedos eindringliche Gedichte
Ein unscheinbar daherkommender Band enthält einiges vom Eindringlichsten, das in jüngster Zeit in deutscher Sprache zu lesen war: Gedichte Francisco de Quevedos (1580 bis 1645), ausgewählt und aus dem Spanischen übersetzt von Werner von Koppenfels. Aus dem schwarzen siebzehnten Jahrhundert ragt ja manches in die Gegenwart des einundzwanzigsten hinein, strenge und gefährliche Bücher, die deren Denken fesseln und anhaltend fesseln werden – Thomas Hobbes’ „Leviathan” etwa oder Baltasar Graciáns „Oráculo manual”. Gegenüber diesen beiden Zeitgenossen sind Quevedos Aussichten aus seinem Turm, der in Madrid und in der Hölle stand, jedoch ein Drittes; anders als mit Staatslehre und Kalkül der Klugheit reagiert Quevedo auf die Schrecken der Zeit, obschon die eine wie das andere in seinem Werk gelegentlich bemerkenswerte Auftritte haben.
Vom Verfasser des„Leviathan” unterscheidet ihn, dass er den politischen vom metaphysischen Horror nicht zu trennen weiß; eine Konstruktion absoluter Herrschaft, wie Hobbes sie anbietet, würde Quevedos Frage nicht beantworten. Näher steht er seinem Landsmann Gracián, außer im Sentenziösen und Konzisen der Sprache auch inhaltlich, insofern Quevedo in einer immer noch vorwiegend mit ihrem längst brüchig gewordenen imperialen Programm befassten Gesellschaft eine aufs Individuum bezogene Alternative anbietet: „Drum, wenn du herrschen willst, herrsch in dir selbst: / Du bist ein weiteres Reich als alle Welt” endet ein Gedicht mit dem bezeichnenden Titel „Auf die Gebeine eines Königs, die sich, namenlos, in einem Grab fanden und deren Rang man an den Bruchstücken einer Krone erkannte”. Die Lehren individueller Lebenskunst sind allemal auf Skepsis gegen kollektive Macht gegründet, doch Quevedo treibt den Zweifelweiter als Gracián. Anders als dieser und entgegen dem Anschein jener beiden Schlusszeilen ist Quevedo im Grunde nicht überzeugt von Autonomie der Vernunft und des Subjekts, und folglich auch nicht von Strategie und Taktik, die bei Gracián das letzte Wort behalten.
Die Welt als Schutthaufen
So verrät jener Gedichttitel mehr über den Autor: Ist Graciáns Perspektive allemal die des Gelingens, so Quevedos die des Zerfalls. „Die Welt als Schutthaufen” könnte über seinem Werk stehen. Geschichte besteht darin, dass Menschen aus den Trümmern des Alten ihr Neues bauen und so nur weiterer Zerstörung das Material liefern; „Nützliche Moral für alle, die eigenen Schmuck mit fremder Nacktheit erkaufen” lautet der sarkastische Titel des Sonetts, in dem Francisco de Quevedo diesen Gedanken entfaltet. Es ist der Gedanke des „desengaño”, der Ernüchterung, Enttäuschung, der aufblitzt, wenn Quevedo etwa als einzige Konstante Roms, dieses Ruinenfelds über Ruinenfeldern, ausgerechnet das Fließen des Tibers identifiziert.
Untrennbar ist im „desengaño” die negative Seite der Aufdeckung von Schein und Trug, nicht zuletzt in den Beziehungen der Geschlechter, des Verzichts auf Illusion und Ideologie, von der positiven der Witzigung, die in Quevedos Kunst des Wortspiels und der Metapher einen Karneval vertauschten Sinnes entfesselt. An wörtliche Übersetzung ist da nicht zu denken, doch der Münchner Anglist und Komparatist Werner von Koppenfels hat das unmöglich Scheinende möglich gemacht, in großer Nähe zum spanischen Original gleichwohl einen lesbaren deutschen Quevedo erstehen zu lassen. Koppenfels nimmt es genau und nimmt sich doch zugleich die ästhetische Freiheit zum Unphilologischen, etwa wenn er „terror” geradewegs mit „Terror” übersetzt. Seine Übertragung folgt keinem Rezept, gibt erst am einzelnen Gedicht sich jeweils die Regel. Sie dürfte schwer zu übertreffen sein. Und unersetzlich ist sie schon insofern, als Quevedos Gedichte derzeit nur in einer einzigen, gerade einmal 145 Seiten umfassenden Auswahl, derjenigen Wilhelm Musters bei Klett-Cotta, im deutschen Buchhandel vertreten sind.
Man könnte Quevedos Gedichte mit gelehrten Kommentaren über barocke Emblematik neben sich studieren. Doch nicht einzig so. „De todo lo que ignoras te aprovechas”, sagt der Dichter einmal, „Nichtwissen ist Gewinn, den du empfängst”, wie Koppenfels übersetzt. Man dürfte sich demgemäß auch unbelehrt in Quevedos Rätsel stürzen, bis der Kopf dröhnte von denselben: ein Zustand nicht ohne Missverständnis, in den man so wohl geriete, doch produktiven Missverständnisses, wie ich selbst erfahren zu haben glaube. Vor den gröbsten bewahrt der Übersetzer mit einem superben Nachwort. Koppenfels’ Auswahl, schmal im Verhältnis zum Gesamtwerk, lässt doch den ganzen Quevedo erkennen, der düster zu sein vermag und witzig, derb und tiefsinnig, trocken und visionär. Es gilt auch von diesem philosophierenden Dichter das Wort, das Goethe auf einen anderen münzte: dass er nicht enden kann, das macht ihn groß. Mit Koppenfels’ Übersetzung könnte ein Anfang gesetzt sein, der einer Wahrnehmung Francisco de Quevedos in der deutschen Kultur.
ANDREAS DORSCHEL
FRANCISCO DE QUEVEDO: Aus dem Turm. Moralische und erotische Gedichte, Satiren und Grotesken. Zweisprachige Ausgabe: Spanisch – Deutsch. Ausgewählt und übertragen von Werner von Koppenfels. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 2003. 303 Seiten, 20 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2003Magie des Perfekten
Groß: Die Gedichte des Francisco Gómez de Quevedo y Villegas
Francisco Gómez de Quevedo y Villegas starb 1645, fünfundsechzigjährig. Er gehört also vorwiegend - und als einer der Großen - in das zweite der beiden Jahrhunderte, die literarisch (und darüber hinaus) das "Goldene Zeitalter" Spaniens sind. Er schrieb den wohl bedeutendsten Schelmenroman überhaupt: "Das Leben des Buscón" (1626). Von ihm gibt es aber auch, denn er war außerordentlich vielfältig, Schriften sehr anderer Art, so, noch etwas in der Nähe dieses Romans, die Satiren "Die Träume" (1627), auch etwa einen politisch theologischen Traktat - kannte den Carl Schmitt? - mit dem eher furchterregenden Titel "Die Politik Gottes, die Herrschaft Christi und die Tyrannei des Satans" (1626); danach noch, auch mit sehr sprechendem Titel, "Die Wiege und das Grab" (1635). Schließlich und vor allem ist er ein großer, jedenfalls bewundernswerter, weil formal und speziell im Sprachlichen vollendeter Lyriker. "Quevedo", sagt Jorge Luis Borges vorsichtig und wie kopfschüttelnd, "ist niemandem unterlegen."
Werner von Koppenfels, der diese schöne Auswahl von Gedichten Quevedos nun zusammen mit seinen Übersetzungen vorlegt, meint etwas affirmativer, aber auch noch vorsichtig, Quevedo brauche in seinen Sonetten "den Vergleich mit Petrarca und Shakespeare nicht zu scheuen". Richtig ist nun gewiß, daß Quevedo als Lyriker, übrigens auch sogar in Spanien, nicht angemessen beachtet wird. Und außerhalb ist er ja ohnehin, wenn überhaupt, bloß ein Name. Borges, auf den sich auch Koppenfels kurz beruft, spricht von Quevedos "seltsam partiellen Ruhm": sein Name fehle "in den Listen der universellen Namen".
In seinem so knappen wie bewundernswerten Essay von 1952 fegt er alles beiseite, was Quevedo als Philosoph, Theologe oder politischer Denker geschrieben hat - vor dem Lyriker jedoch geht er in die Knie. "Die Größe Quevedos ist sprachlich", präzisiert er. Und: "Seine besten Gedichte . . . sind, um es irgendwie zu sagen, sprachliche Gegenstände, rein und ganz für sich, wie ein Schwert oder ein silberner Ring."
Die genaue und langsame Lektüre dieser Wunderwerke - denn schnell und ungenau kann man sie gar nicht lesen - drängt immer wieder auf, wie richtig dieses Diktum ist. Da ist die Magie des Perfekten - natürlich nicht überall in gleicher Intensität. Daß da aber gegenüber Shakespeare (und auch sogar gegenüber Petrarca) eine, "um es irgendwie zu sagen", Dimension von Dringlichkeit, auch von Innigkeit fehlt, wird beim Lesen ebenfalls deutlich. Zu ausschließlich ist dies alles eben doch "sprachlich".
Mallarmé sagte zu Degas, der sich darin versucht hatte und dem es, wie er ihm gestand, an Ideen fehlte: "Verse macht man nicht mit Ideen, sondern mit Wörtern." In diesem Sinne ist Quevedo überaus groß! Es bleibt bewundernswert, was er alles - durch Wörter, oft ganz kurze und wie getrennt aneinandergereihte, durch ihre semantische und lautliche Ladung, durch ihre Abfolge, die nicht selten in subtiler Spannung zur Grammatik steht, und durch Rhythmus - zu machen versteht und dies ganz unabhängig von dem, wovon er gerade redet: von der Kürze des Lebens, dem nahen Ende, der Hostie, die er in seinem Leib begräbt, der Liebe, dem metaphorischen Schwimmen im blonden Haar der Freundin ("Golfe von brennendem und reinem Licht"), über seine Glatze, die er sich weigert, mit fremdem Haar zu bedecken, über eine Stechmücke oder eine schielende Schöne oder aber über den verhaßten Kollegen - da ist er mehr als blind - Góngora.
"Ideen" sind da überall schon vorhanden, alle aber zielen als Einfälle auf das ,Wie' des Gesagten und Gemachten! Da ist sie also: die "hohe Macht der Form", "vis suprema formae". Und überall ist da auch - als Rahmen - die festgefügte, restlos unangekränkelte und übrigens Sinnlichkeit ganz und gar nicht ausschließende triumphalistisch katholische Welt.
Koppenfels wählt trefflich aus und übersetzt bewundernswert souverän, mit Reimen zum Teil und Assonanzen. Mäkeln im einzelnen kann man immer. Etwas sehr anderes wäre es aber, es besser zu machen. Man muß diesem kultivierten ,Komparatisten' dankbar sein, sehr dankbar sogar, daß er sich diese Arbeit gemacht hat, um uns so die Welt des Quevedo ein Stück weit zu öffnen. Auch übrigens durch sein klug informierendes Nachwort und kundige Anmerkungen.
Ein Büchlein - wie sagt man? - für Feinschmecker. Und noch einmal Borges: Quevedo ist nicht der "Dichter der Dichter; man wird resigniert sagen müssen, daß er der Literat der Literaten ist. Um an Quevedo Gefallen zu finden, muß man (wirklich oder potentiell) Literat sein; umgekehrt kann niemand mit literarischer Berufung an Quevedo keinen Gefallen finden". Also: da kann man sich prüfen.
HANS-MARTIN GAUGER
Francisco de Quevedo: "Aus dem Turm". Moralische und erotische Gedichte, Satiren und Grotesken. Ausgewählt und übersetzt von Werner von Koppenfels. Spanisch-deutsche Ausgabe. Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 2003. 303 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Groß: Die Gedichte des Francisco Gómez de Quevedo y Villegas
Francisco Gómez de Quevedo y Villegas starb 1645, fünfundsechzigjährig. Er gehört also vorwiegend - und als einer der Großen - in das zweite der beiden Jahrhunderte, die literarisch (und darüber hinaus) das "Goldene Zeitalter" Spaniens sind. Er schrieb den wohl bedeutendsten Schelmenroman überhaupt: "Das Leben des Buscón" (1626). Von ihm gibt es aber auch, denn er war außerordentlich vielfältig, Schriften sehr anderer Art, so, noch etwas in der Nähe dieses Romans, die Satiren "Die Träume" (1627), auch etwa einen politisch theologischen Traktat - kannte den Carl Schmitt? - mit dem eher furchterregenden Titel "Die Politik Gottes, die Herrschaft Christi und die Tyrannei des Satans" (1626); danach noch, auch mit sehr sprechendem Titel, "Die Wiege und das Grab" (1635). Schließlich und vor allem ist er ein großer, jedenfalls bewundernswerter, weil formal und speziell im Sprachlichen vollendeter Lyriker. "Quevedo", sagt Jorge Luis Borges vorsichtig und wie kopfschüttelnd, "ist niemandem unterlegen."
Werner von Koppenfels, der diese schöne Auswahl von Gedichten Quevedos nun zusammen mit seinen Übersetzungen vorlegt, meint etwas affirmativer, aber auch noch vorsichtig, Quevedo brauche in seinen Sonetten "den Vergleich mit Petrarca und Shakespeare nicht zu scheuen". Richtig ist nun gewiß, daß Quevedo als Lyriker, übrigens auch sogar in Spanien, nicht angemessen beachtet wird. Und außerhalb ist er ja ohnehin, wenn überhaupt, bloß ein Name. Borges, auf den sich auch Koppenfels kurz beruft, spricht von Quevedos "seltsam partiellen Ruhm": sein Name fehle "in den Listen der universellen Namen".
In seinem so knappen wie bewundernswerten Essay von 1952 fegt er alles beiseite, was Quevedo als Philosoph, Theologe oder politischer Denker geschrieben hat - vor dem Lyriker jedoch geht er in die Knie. "Die Größe Quevedos ist sprachlich", präzisiert er. Und: "Seine besten Gedichte . . . sind, um es irgendwie zu sagen, sprachliche Gegenstände, rein und ganz für sich, wie ein Schwert oder ein silberner Ring."
Die genaue und langsame Lektüre dieser Wunderwerke - denn schnell und ungenau kann man sie gar nicht lesen - drängt immer wieder auf, wie richtig dieses Diktum ist. Da ist die Magie des Perfekten - natürlich nicht überall in gleicher Intensität. Daß da aber gegenüber Shakespeare (und auch sogar gegenüber Petrarca) eine, "um es irgendwie zu sagen", Dimension von Dringlichkeit, auch von Innigkeit fehlt, wird beim Lesen ebenfalls deutlich. Zu ausschließlich ist dies alles eben doch "sprachlich".
Mallarmé sagte zu Degas, der sich darin versucht hatte und dem es, wie er ihm gestand, an Ideen fehlte: "Verse macht man nicht mit Ideen, sondern mit Wörtern." In diesem Sinne ist Quevedo überaus groß! Es bleibt bewundernswert, was er alles - durch Wörter, oft ganz kurze und wie getrennt aneinandergereihte, durch ihre semantische und lautliche Ladung, durch ihre Abfolge, die nicht selten in subtiler Spannung zur Grammatik steht, und durch Rhythmus - zu machen versteht und dies ganz unabhängig von dem, wovon er gerade redet: von der Kürze des Lebens, dem nahen Ende, der Hostie, die er in seinem Leib begräbt, der Liebe, dem metaphorischen Schwimmen im blonden Haar der Freundin ("Golfe von brennendem und reinem Licht"), über seine Glatze, die er sich weigert, mit fremdem Haar zu bedecken, über eine Stechmücke oder eine schielende Schöne oder aber über den verhaßten Kollegen - da ist er mehr als blind - Góngora.
"Ideen" sind da überall schon vorhanden, alle aber zielen als Einfälle auf das ,Wie' des Gesagten und Gemachten! Da ist sie also: die "hohe Macht der Form", "vis suprema formae". Und überall ist da auch - als Rahmen - die festgefügte, restlos unangekränkelte und übrigens Sinnlichkeit ganz und gar nicht ausschließende triumphalistisch katholische Welt.
Koppenfels wählt trefflich aus und übersetzt bewundernswert souverän, mit Reimen zum Teil und Assonanzen. Mäkeln im einzelnen kann man immer. Etwas sehr anderes wäre es aber, es besser zu machen. Man muß diesem kultivierten ,Komparatisten' dankbar sein, sehr dankbar sogar, daß er sich diese Arbeit gemacht hat, um uns so die Welt des Quevedo ein Stück weit zu öffnen. Auch übrigens durch sein klug informierendes Nachwort und kundige Anmerkungen.
Ein Büchlein - wie sagt man? - für Feinschmecker. Und noch einmal Borges: Quevedo ist nicht der "Dichter der Dichter; man wird resigniert sagen müssen, daß er der Literat der Literaten ist. Um an Quevedo Gefallen zu finden, muß man (wirklich oder potentiell) Literat sein; umgekehrt kann niemand mit literarischer Berufung an Quevedo keinen Gefallen finden". Also: da kann man sich prüfen.
HANS-MARTIN GAUGER
Francisco de Quevedo: "Aus dem Turm". Moralische und erotische Gedichte, Satiren und Grotesken. Ausgewählt und übersetzt von Werner von Koppenfels. Spanisch-deutsche Ausgabe. Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 2003. 303 S., geb., 20,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Thomas Sträter eröffnet seine enthusiastische Besprechung mit viel Kontext: Spanien, frühes 17. Jahrhundert, das Weltreich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Es tobt ein Dichterkampf zwischen den Vertretern des sinnfällig bildhaft, doch "sprachlich klar formulierten Gedankens" und anderen, die Poesie als "hochintellektuell-esoterisches Spiel für Eingeweihte" betreiben. Francisco de Quevedo, den Sträter anhand eines Porträts von Velaázquez als schroffen und brillanten Menschen beschreibt, gehört zu der ersten Gruppe - ein einflussreicher Kulturträger am Hof, später in Ungnade gefallen. Borges hat ihn sich einige hundert Jahre später zum stilistischen Vorbild erkoren, den "kurzen und intensiven Rhythmus des Denkens" gepriesen, und Sträter stimmt dem berühmten Gewährsmann von ganzem Herzen zu. Quevedos Lyrik, schreibt er, "dominiert das große Barockthema Tod", der Gedanke der Vergänglichkeit alles Irdischen, aus dem dann aber ein "gesteigerter Lebensgenuss" erwächst. Werner von Koppenfels, der Herausgeber und Übersetzer, lobt Sträter zudem, habe "Bewundernswertes vollbracht".
© Perlentaucher Medien GmbH
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