Sie üben eine einzigartige Anziehungskraft aus: alte Postkarten. Ob auf Flohmärkten, in Trödelläden oder in Antiquariaten … ihrem nostalgischen (meist Schwarz-Weiß) Reiz kann man sich kaum entziehen.
Auch der Schriftsteller Wilhelm Genazino (Jg. 1943) wühlt dort gern in den Kartons nach
verborgenen Schätzen. Er ist allerdings kein Sammler, der seine Funde nach Motiv, Verlag oder Seltenheitswert…mehrSie üben eine einzigartige Anziehungskraft aus: alte Postkarten. Ob auf Flohmärkten, in Trödelläden oder in Antiquariaten … ihrem nostalgischen (meist Schwarz-Weiß) Reiz kann man sich kaum entziehen.
Auch der Schriftsteller Wilhelm Genazino (Jg. 1943) wühlt dort gern in den Kartons nach verborgenen Schätzen. Er ist allerdings kein Sammler, der seine Funde nach Motiv, Verlag oder Seltenheitswert sortiert. Ihn interessieren vielmehr die möglichen Geschichten hinter den abgelichteten Postkartenmotiven. Sie regen ihn zu eigenen Gedanken und Überlegungen an, die er dann in kurzen Prosatexten niederschreibt.
Im Deutschen Taschenbuch Verlag sind nun diese Reflexionen des Autors gemeinsam mit den Postkartenabbildungen erschienen. Das fast quadratische Taschenbuch (Format 21 x 24 cm) vereint die beiden früheren Rowohlt-Publikationen „Aus der Ferne“ (1993) und „Auf der Kippe“ (2000).
Es sind keine Postkarten mit spektakulären Motiven … nein, es sind eher unscheinbare Allerweltspostkarten. Da wird ein Bahnhofsvorplatz einer unbekannten Stadt gezeigt, da posieren Soldaten vor der Kamera oder da präsentiert sich ein Wilhelminisches Ehepaar mit seinem Vierbeiner. Genazino versucht bei allen, die mögliche Geschichte hinter diesen scheinbar wertlosen Aufnahmen zu ergründen.
Oft versucht er mit Fragen, die Geheimnisse der Postkarten zu erkunden. Ist das abgebildete Gebäude eine heruntergekommene Fabrik? Wer ist der Mann, der durch das Bild geht? Wird hier eine Sprengung, eine Landvermessung oder eine Erschießung vorbereitet? Mit solchen oder ähnlichen Fragen ist der Autor den Bilderrätseln auf der Spur.
Genazino macht sich Gedanken über die möglichen Hintergründe, er richtet den Blick des Betrachters dabei auf vermeintlich banale Details. So entstanden interessante und poetische Prosaminiaturen, die die Fantasie anregen und den Blick schärfen für vermeintliche Nebensächlichkeiten.
Manfred Orlick