Die Schockstarre nach der Stickereikrise hält noch an, die Greuel des Zweiten Weltkriegs sind noch unverdaut, die Reste eines stolzen Bürgertums aus dem 19. Jahrhundert schmelzen wie der Frühlingsschnee dahin, doch Aufbruch und Wirtschaftswunder lassen auf sich warten: St. Gallen, eine mittelgrosse Schweizer Stadt in den 1950er Jahren. Ein neugieriger Knabe sieht sich um, entdeckt seine nächste Umgebung, die "Frohburg", ein Vorstadtidyll mit Stallungen, Hinterhof und kleinem Park. Seine Streifzüge durchs Quartier sind aber stets auch von Ängsten geprägt; das "Schlimme", wie er es nennt, lauert für ihn beim Gaswerk, beim Schlachthof, im Volksbad. Er sinnt nach Strategien, um es zu bannen, und wird fündig: Das Schlimme beim Namen nennen, nicht ausweichen oder verdrängen. Mit dieser Grundüberzeugung startet er ins Leben, und eine sehr vielgestaltige Jugendzeit öffnet sich ihm. Sie führt ihn auf selbständige Erkundungsreisen durch halb Europa, auf wochenlange Wanderungen durch Schweizer Berge, lässt ihn kettenrauchen, einen Tonfilm drehen, eine Umweltdemo organisieren (1971...), Daniel Cohn-Bendit bewundern, die Sowjets und deren Abkömmlinge in der Schweiz hassen, sich von Johann Sebastian Bachs Musik vereinnahmen. Mehr und nehr ergibt sich das Bedürfnis nach einem tieferen Verständnis von Welt- und Wirtschaftsgeschehen, und so wird die Entdeckungsreise in die Wissensgebiete der Rechtswissenschaft, der Ökonomie und der Informatik ausgedehnt: Das "Schlimme" durch Begreifen bannen. Die endgültige Befreiung von den einengenden Konventionen des Denkens erfährt der nunmehr erwachsenen Konrad Hummler am anderen Ende der Welt, hoch über dem Pazifik, bei nicht untergehender Sonne am Polarkreis.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Roman Bucheli sieht zwar, dass Konrad Hummler mit seinen Aufzeichnungen die Lesererwartungen "in aufreizender Weise unterläuft", wenn er lieber vom Jonglieren und alten Pfadfinderfreundschaften erzählt, als vom Untergang der Privatbank Wegelin. Für Bucheli scheint das aber zu funktionieren, weil diese Spannung für ihn einen kafkaesken Reiz entfaltet, wie er freundlich über diese Erinnerungen des NZZ-Verwaltungsratspräsidenten schreibt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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