Eine vom Himmel gefallene Heldin - in einem Roman mit doppeltem Boden: "Aus der Luft gegriffen" ist Eleonore Freys zehntes Buch bei Droschl und gleichzeitig ihr heiterstes.Helen Schnee, die Heldin der Geschichte, fällt der Autorin - aus heiterem Himmel - nahezu auf den Schreibtisch, und dadurch entspinnt sich natürlich ein besonders enges Verhältnis zwischen den beiden. Helen Schnee, so wenig verankert in unseren bürgerlichen Lebenswelten wie die meisten Figuren bei Eleonore Frey, versucht Fuß zu fassen und landet schließlich beim 'Offenen Ohr', einer Art Krisentelefon, einer Organisation, hinter der sich aber auch etwas ganz anderes verbergen könnte. Aber nicht nur die Arbeit definiert den bürgerlichen Menschen, auch sein Wohnort und sein Familienstand sind von Interesse, und also kommt Helen Schnee auch zu einer Unterkunft und zu allerlei zwischenmenschlichen Kontakten. Ihr Einverständnis mit den gegebenen Verhältnissen hält sich jedoch in Grenzen, und also befreit sie sich wieder, in Absprache mit der Autorin, und setzt ihr wolkenleichtes Leben andernorts fort - aber nicht ohne Interesse und Mitgefühl für die Menschen, die bisher ihren Weg gekreuzt haben.Dass Literatur aus Wörtern und Sätzen besteht, ist ja nun wirklich ein alter Hut, und dass Romane weniger geschaffen als gemacht werden, ebenfalls. Selten aber gewährt eine Autorin augenzwinkernd einen solchen Einblick in ihre Werkstatt und bekommt von der Kritik darüber hinaus noch 'höchste Aufmerksamkeit und subtilste Einfühlung' (Jury des Schweizer Buchpreises) bescheinigt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.2011Schneeweisheiten
Eleonore Freys Roman ist "Aus der Luft gegriffen"
Mit diesem Buch erreicht uns ein Lachen aus Österreich, aus der Schweiz und aus Frankreich. Denn ein Verlag aus Graz präsentiert uns den zehnten Roman der Schweizerin Eleonore Frey, geboren 1939 in Frauenfeld im Kanton Thurgau, die in Zürich und in Paris lebt. Wenn nun jemand wissen möchte, warum wir uns dieser Autorin so unernst nähern, dann gibt es nur eine Antwort: Man gucke hinein in das Buch und prüfe, ob man es bis zur letzten Seite ohne Schmunzeln lesen kann.
Ein sonderbarer Einfall trägt die Handlung. Vor den Augen der Schriftstellerin Frey, die sich dauernd selbst ins Geschehen einbringt, fällt eine Frau vom Himmel, ohne Fallschirm, ohne Schaden. Sie landet sanft wie eine der Schneeflocken, die um sie herab rieseln, weshalb ihre Erfinderin sie mit dem Namen Helen Schnee ausstattet. Wer sie ist, woher sie kommt, warum sie aus offenbar himmlischen Regionen auf die Erde wechselte, erfahren wir nicht. Stattdessen begleiten wir Helen Schnee bei ihren Versuchen, mit einem Dasein fertig zu werden. Den Leser verblüfft die Szenerie zunächst, aber nicht lange. Bald wächst in ihm der Eindruck, hier gehe es weniger um die Spielereien eines Märchenwesens, vielmehr um tiefe Einblicke in den Alltag gewöhnlicher Individuen, von denen kaum eines der Spezies Mensch Ehre zu machen weiß.
Die Romanhandlung bestätigt das. Helen Schnee verdingt sich bei einer Organisation mit dem Titel "Offenes Ohr". Die nimmt für sich in Anspruch, aus lauter edlen Helfern zu bestehen, die per Telefon jeden Unglücklichen oder Ratlosen mit Zuspruch oder nützlichen Hinweisen versehen. Es dauert nicht lange, bis die Schneedame herausfindet, dass das "Offene Ohr" weit eher von Gaunern betrieben wird. Den Trost suchenden Anrufern werden Geständnisse entlockt, die sich hervorragend als Ansatzpunkte für Erpressungen eignen. Enttäuschungen erwarten das himmlische Wesen auch in der irdischen Alltagswelt, etwa beim Bauernvolk, auf dessen Hof sie gefunden hat. Der Bauer würde der Himmelsfrau am liebsten an die Wäsche gehen, seine Mägde verfolgen sie mit Eifersucht. Als einzig Anständiger erweist sich Harry Hotz, ein Straßenbettler, der jeder schwierigen Frage mit der Formel "Je nachdem" begegnet.
Was haben wir da vor uns: Einen Traum? Ein Märchen? Eine märchenhaft verkleidete Wirklichkeit? Von allem ist etwas dabei, und wenn wir fragen, worauf die Autorin mit all dem hinauswollte, so können wir keine befriedigende Antwort finden. Es ist wohl einfach so, dass sie Spaß daran gehabt hat, ihre Phantasie auf die Reise zu schicken und durch keine Rücksicht auf Realitäten hemmen zu lassen - das gute Recht einer Schriftstellerin, sofern es um ihre Einfälle geht. Leider jedoch wirkt sich die Neigung zur Hemmungslosigkeit oft auch in ihrer Sprache aus. Eleonore Frey schmiedet bisweilen Satzungeheuer. Für den Leser, der es sowieso nicht leicht hat, sich in der transirdischen Schneeflockenwelt zurechtzufinden, bringt das zusätzliche Schwierigkeiten. Er muss manchmal sehr daran arbeiten, den Vortrag zu verstehen. Aber wenn er das geschafft hat, ist ihm eines sicher: Er darf sich amüsieren.
SABINE BRANDT
Eleonore Frey: "Aus der Luft gegriffen". Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz 2011. 168 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eleonore Freys Roman ist "Aus der Luft gegriffen"
Mit diesem Buch erreicht uns ein Lachen aus Österreich, aus der Schweiz und aus Frankreich. Denn ein Verlag aus Graz präsentiert uns den zehnten Roman der Schweizerin Eleonore Frey, geboren 1939 in Frauenfeld im Kanton Thurgau, die in Zürich und in Paris lebt. Wenn nun jemand wissen möchte, warum wir uns dieser Autorin so unernst nähern, dann gibt es nur eine Antwort: Man gucke hinein in das Buch und prüfe, ob man es bis zur letzten Seite ohne Schmunzeln lesen kann.
Ein sonderbarer Einfall trägt die Handlung. Vor den Augen der Schriftstellerin Frey, die sich dauernd selbst ins Geschehen einbringt, fällt eine Frau vom Himmel, ohne Fallschirm, ohne Schaden. Sie landet sanft wie eine der Schneeflocken, die um sie herab rieseln, weshalb ihre Erfinderin sie mit dem Namen Helen Schnee ausstattet. Wer sie ist, woher sie kommt, warum sie aus offenbar himmlischen Regionen auf die Erde wechselte, erfahren wir nicht. Stattdessen begleiten wir Helen Schnee bei ihren Versuchen, mit einem Dasein fertig zu werden. Den Leser verblüfft die Szenerie zunächst, aber nicht lange. Bald wächst in ihm der Eindruck, hier gehe es weniger um die Spielereien eines Märchenwesens, vielmehr um tiefe Einblicke in den Alltag gewöhnlicher Individuen, von denen kaum eines der Spezies Mensch Ehre zu machen weiß.
Die Romanhandlung bestätigt das. Helen Schnee verdingt sich bei einer Organisation mit dem Titel "Offenes Ohr". Die nimmt für sich in Anspruch, aus lauter edlen Helfern zu bestehen, die per Telefon jeden Unglücklichen oder Ratlosen mit Zuspruch oder nützlichen Hinweisen versehen. Es dauert nicht lange, bis die Schneedame herausfindet, dass das "Offene Ohr" weit eher von Gaunern betrieben wird. Den Trost suchenden Anrufern werden Geständnisse entlockt, die sich hervorragend als Ansatzpunkte für Erpressungen eignen. Enttäuschungen erwarten das himmlische Wesen auch in der irdischen Alltagswelt, etwa beim Bauernvolk, auf dessen Hof sie gefunden hat. Der Bauer würde der Himmelsfrau am liebsten an die Wäsche gehen, seine Mägde verfolgen sie mit Eifersucht. Als einzig Anständiger erweist sich Harry Hotz, ein Straßenbettler, der jeder schwierigen Frage mit der Formel "Je nachdem" begegnet.
Was haben wir da vor uns: Einen Traum? Ein Märchen? Eine märchenhaft verkleidete Wirklichkeit? Von allem ist etwas dabei, und wenn wir fragen, worauf die Autorin mit all dem hinauswollte, so können wir keine befriedigende Antwort finden. Es ist wohl einfach so, dass sie Spaß daran gehabt hat, ihre Phantasie auf die Reise zu schicken und durch keine Rücksicht auf Realitäten hemmen zu lassen - das gute Recht einer Schriftstellerin, sofern es um ihre Einfälle geht. Leider jedoch wirkt sich die Neigung zur Hemmungslosigkeit oft auch in ihrer Sprache aus. Eleonore Frey schmiedet bisweilen Satzungeheuer. Für den Leser, der es sowieso nicht leicht hat, sich in der transirdischen Schneeflockenwelt zurechtzufinden, bringt das zusätzliche Schwierigkeiten. Er muss manchmal sehr daran arbeiten, den Vortrag zu verstehen. Aber wenn er das geschafft hat, ist ihm eines sicher: Er darf sich amüsieren.
SABINE BRANDT
Eleonore Frey: "Aus der Luft gegriffen". Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz 2011. 168 S., geb., 19,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sabine Brandt kann gar nicht aufhören, sich zu amüsieren über, mit, durch diesen Roman von Eleonore Frey. Eine Autorin, die von ihrem Recht Gebrauch macht, auf Konventionen zu pfeifen und ihrer Fantasie die Zügel schießen zu lassen, wenn sie eine reichlich unirdische Geschichte erzählt, mit engelsgleichen Wesen, dass Brandt nicht weiß: Ist es ein Traum, ist es ein Märchen? Daher die etwas unernste Besprechung, entschuldigt sich die Rezensentin. Weniger entschuldbar erscheint ihr die sprachliche Sorglosigkeit der Autorin. Keine Wortengel, Satzungeheuer begegnen Brandt hier und machen ihr das Lesen schwer. Es könnte also sogar noch amüsanter sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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