Eine Benediktinerabtei, idyllisch an einem See gelegen. Ihr Gastflügel ist gut besucht, doch die meisten Mönche nähern sich dem biblischen Alter. Gerade hat einer der jungen das Kloster verlassen und eine Familie gegründet. Seither stellt auch Lukas, Ende dreißig, seinen Lebensweg infrage. Da taucht Sarah auf, aufmerksam, zugewandt und körperlich. Um zu einer Entscheidung zu finden, überlässt sich Lukas dem See: Beim Schwimmen öffnen sich Körper und Geist.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gina Arzdorf empfindet Moritz Hegers Roman über einen Mönch in der Krise als Auszeit. Die Geschichte über Glaube, Liebe und Gemeinschaft hat für sie Gedankentiefe und eine mitunter thrillerhafte fundamentale Wucht, jedenfalls einen Sommer lang, in dem der in einem Kloster lebende Protagonist mit sich hadert, eine Frau kennenlernt und sein Dasein überdenkt. Am Schluss aber wird das Buch zu eilig, bedauert Arzdorf.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2021Versuchung im Kloster
Moritz Hegers Roman "Aus der Mitte des Sees"
Wenn die einzige Vertrauensperson einen neuen Weg einschlägt und alles Bekannte zurücklässt, gerät man ins Grübeln, hinterfragt eigene Entscheidungen und imaginiert alternative Lebensentwürfe. In dieser Lage befindet sich der Mönch Lukas in Moritz Hegers zweitem Roman. Seit sechzehn Jahren ist er im Kloster, nun beginnt er zu zweifeln. Als sein Mitbruder und bester Freund Andreas den Orden verlässt, um eine Familie zu gründen, ist Lukas enttäuscht. Mit seinen knapp vierzig Jahren bleibt er als Jüngster unter den Mönchen in der Benediktinerabtei am Vulkansee zurück. Bald mischt sich Neid unter seine stillen Vorwürfe. Einen schwülen Sommer lang zieht es Lukas jeden Tag an den See unweit des Klosters, zum Schwimmen und zum Denken.
Moritz Heger konfrontiert uns von Beginn an mit der Gedanken- und Gefühlswelt seines Protagonisten. Der ist also ein offenes Buch, das es aber erst zu dechiffrieren gilt. Das dauert, und so mag der eine oder andere den Roman schon zur Seite gelegt haben, bevor es überhaupt zur schicksalhaften Begegnung kommt, als sich eines Tages eine Frau zu Lukas auf den Steg setzt. Sarah ist Schauspielerin und nimmt sich eine Auszeit im Kloster. Fast zwei Wochen wohnt sie im Gastflügel. Sie nähert sich Lukas langsam, erst emotional, dann körperlich.
Sarah ist anders als jene Frauen, die das Kloster besuchen und es sich zum Ziel machen, einen Mönch zu verführen. Gegen solche Frauen ist Lukas resistent, gegen Sarah nicht. Sie spricht und hört zu, ihr will er schon nach kurzer Zeit mehr erzählen, als er seinem Beichtvater je anvertraut hat. Längst vergessene oder nie gekannte Gefühle arbeiten sich an die Oberfläche. Lukas sträubt sich gegen seine Innenwelt, die in Bewegung geraten ist, und gegen die Hypothesen, die er ungewollt beginnt aufzustellen. Dennoch muss er sich eingestehen, dass mit Sarah auf einmal alles einfach erscheint: "Ich will nichts von dir. Ich glaube, dass ich nicht lüge mit diesem Satz. Aber der andere Satz ist auch wahr: Ich schließe es nicht aus."
Wie handelt ein Mönch, der plötzlich lieben will? Weil die Fragen, die der Text aufwirft, so fundamental sind, kann er es in Sachen Spannung mit so manchem Thriller aufnehmen. Die anfangs träge Handlung wird schneller, nimmt kurz vor dem Höhepunkt rasant Fahrt auf - und dann ist es plötzlich vorbei. Auf den letzten Seiten erlaubt sich Lukas ein fast schon vernichtendes Selbsturteil: "Ich bin ein Möchtegern, ein Mönchtegern, ein Leben lang schuldig." Das Buch endet abrupt, der Epilog wirft neue Fragen auf, statt alte zu klären. Dass Moritz Heger durch die letzten Seiten eilt, ist schade, denn so nimmt er seinem Roman die subtil angestaute Wucht. "Aus der Mitte des Sees" ist eine Geschichte mit Tiefe über Glauben, Liebe, Gemeinschaft und Verpflichtung. Der Roman ist eine Auszeit, die noch lange im Gedächtnis bleibt.
GINA ARZDORF
Moritz Heger:
"Aus der Mitte des Sees". Roman.
Diogenes Verlag,
Zürich 2021. 256 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Moritz Hegers Roman "Aus der Mitte des Sees"
Wenn die einzige Vertrauensperson einen neuen Weg einschlägt und alles Bekannte zurücklässt, gerät man ins Grübeln, hinterfragt eigene Entscheidungen und imaginiert alternative Lebensentwürfe. In dieser Lage befindet sich der Mönch Lukas in Moritz Hegers zweitem Roman. Seit sechzehn Jahren ist er im Kloster, nun beginnt er zu zweifeln. Als sein Mitbruder und bester Freund Andreas den Orden verlässt, um eine Familie zu gründen, ist Lukas enttäuscht. Mit seinen knapp vierzig Jahren bleibt er als Jüngster unter den Mönchen in der Benediktinerabtei am Vulkansee zurück. Bald mischt sich Neid unter seine stillen Vorwürfe. Einen schwülen Sommer lang zieht es Lukas jeden Tag an den See unweit des Klosters, zum Schwimmen und zum Denken.
Moritz Heger konfrontiert uns von Beginn an mit der Gedanken- und Gefühlswelt seines Protagonisten. Der ist also ein offenes Buch, das es aber erst zu dechiffrieren gilt. Das dauert, und so mag der eine oder andere den Roman schon zur Seite gelegt haben, bevor es überhaupt zur schicksalhaften Begegnung kommt, als sich eines Tages eine Frau zu Lukas auf den Steg setzt. Sarah ist Schauspielerin und nimmt sich eine Auszeit im Kloster. Fast zwei Wochen wohnt sie im Gastflügel. Sie nähert sich Lukas langsam, erst emotional, dann körperlich.
Sarah ist anders als jene Frauen, die das Kloster besuchen und es sich zum Ziel machen, einen Mönch zu verführen. Gegen solche Frauen ist Lukas resistent, gegen Sarah nicht. Sie spricht und hört zu, ihr will er schon nach kurzer Zeit mehr erzählen, als er seinem Beichtvater je anvertraut hat. Längst vergessene oder nie gekannte Gefühle arbeiten sich an die Oberfläche. Lukas sträubt sich gegen seine Innenwelt, die in Bewegung geraten ist, und gegen die Hypothesen, die er ungewollt beginnt aufzustellen. Dennoch muss er sich eingestehen, dass mit Sarah auf einmal alles einfach erscheint: "Ich will nichts von dir. Ich glaube, dass ich nicht lüge mit diesem Satz. Aber der andere Satz ist auch wahr: Ich schließe es nicht aus."
Wie handelt ein Mönch, der plötzlich lieben will? Weil die Fragen, die der Text aufwirft, so fundamental sind, kann er es in Sachen Spannung mit so manchem Thriller aufnehmen. Die anfangs träge Handlung wird schneller, nimmt kurz vor dem Höhepunkt rasant Fahrt auf - und dann ist es plötzlich vorbei. Auf den letzten Seiten erlaubt sich Lukas ein fast schon vernichtendes Selbsturteil: "Ich bin ein Möchtegern, ein Mönchtegern, ein Leben lang schuldig." Das Buch endet abrupt, der Epilog wirft neue Fragen auf, statt alte zu klären. Dass Moritz Heger durch die letzten Seiten eilt, ist schade, denn so nimmt er seinem Roman die subtil angestaute Wucht. "Aus der Mitte des Sees" ist eine Geschichte mit Tiefe über Glauben, Liebe, Gemeinschaft und Verpflichtung. Der Roman ist eine Auszeit, die noch lange im Gedächtnis bleibt.
GINA ARZDORF
Moritz Heger:
"Aus der Mitte des Sees". Roman.
Diogenes Verlag,
Zürich 2021. 256 S., geb., 22,- [Euro].
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»'Aus der Mitte des Sees' ist ein leiser Roman, nachdenklich, melancholisch, sehr dicht gestrickt und dennoch voller offener Entwicklungsfäden.« Silke Arning / SWR 2 SWR 2