Ein ehemaliger hoher NS-Jugendfunktionär erzählt im Rahmen eines biographischen Interviews von seiner Karriere, von Wehr- und Kriegsdienst, Kriegsgefangenschaft und Rückkehr nach Deutschland. Die versammelten Beiträge interpretieren aus psychologischer und psychoanalytischer, geschichts- und literaturwissenschaftlicher Perspektive Passagen dieser erzählten Lebensgeschichte. Dabei zeigen sich zum einen die unterschiedliche Reichweite und Tiefenschärfe der verschiedenen Zugänge zum selben Text. Zum anderen wird gerade in der Zusammenschau deutlich, wie der Erzähler mit der eigenen lebensgeschichtlichen Verstrickung in ein politisches System umgeht, dessen Verbrechen ihm bewusst sind.
Beiträge von:
Christian Geulen, Ulrike Jureit, Klaus Röckerath, Oliver Sill, Fritz Schütze, Karoline Tschuggnall, Harald Welzer, Dorothee Wierling.
Beiträge von:
Christian Geulen, Ulrike Jureit, Klaus Röckerath, Oliver Sill, Fritz Schütze, Karoline Tschuggnall, Harald Welzer, Dorothee Wierling.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Stefan-Ludwig Hoffmann findet die Grundidee des Bandes interessant. ein biografisches Interview wird vorgestellt und nach verschiedenen Ansätzen interpretiert - auf diese Weise soll der Leser einen einblick in den Stand der Biografieforschung erhalten. Das Interview wurde mit einem "Herrn Wildt" geführt, der in der Nazizeit ein Nazi war und heute die Existenz von Gaskammern bezweifelt. Sein Leben schildere dieser Herr Wildt als Schweijkiade zwischen brauner Machtelite, Wehrmacht und Kriegsgefangenschaft, in deren "Sog" auch der Leser gezogen werde. Vertreter verschiedener Nachkriegsgenerationen, Historiker, Psychologen und Literaturwissenschafter interpretieren diese Aussagen. Nicht immer ist der Rezensent davon überzeugt. So kritisiert er, dass ein Interpret das Gespräch in kommunikationstheoretische Einheiten von S3 bis E4 aufteile, ein anderer den Interviewern eine geheime Loyalitätsverpflichtung aufgrund einer Abstammungsgemeinschaft unterstelle. Hoffmann pflichtet vielmehr den Interpreten bei, die in den permanenten schwankhaften Übertretungen des "Herrn Wildt" ein Ablenkungsmanöver sehen, das auf das gespaltene Bewusstsein während der Nazidiktatur zurückzuführen sei.
© Perlentaucher Medien GmbH
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