"Aus einem früheren Leben" beschwört "abgelebte Zeiten" wieder herauf. Richard Dove legt eine Sammlung von englischsprachigen Gedichten vor, die vor allem in den Jahren 1976 bis 1986 entstanden sind. Inhaltlich setzen sie sich einerseits mit den damaligen gesellschaftlichen Umbrüchen auf der britischen Insel, andererseits mit (in erster Linie) antiken und deutschen Vorbildern auseinander. Aber auch Paris und de Sade fehlen nicht in diesem reichen Spektrum eines formgenauen und weltoffenen Dichters. Für die deutsche Fassung sorgten u.a. etliche Lyriker und Lyrikerinnen von Rang. Die Übersetzer geben damit einen Einblick in die Pluralität der Ausdrucksformen der modernen deutschsprachigen Lyrik.
Richard Dove schreibt seit seiner Übersiedlung nach München 1987 überwiegend in deutscher Sprache und veröffentlichte zuletzt 2002 den Gedichtband "Farbfleck auf einem Mondrian-Bild", der von Durs Grünbein als "aufregendes Büchlein" begrüßt wurde.
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Richard Dove schreibt seit seiner Übersiedlung nach München 1987 überwiegend in deutscher Sprache und veröffentlichte zuletzt 2002 den Gedichtband "Farbfleck auf einem Mondrian-Bild", der von Durs Grünbein als "aufregendes Büchlein" begrüßt wurde.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.2004GB? Groteske Bellezza!
Heimatliebe: Richard Doves früheres Leben als englischer Dichter
Ein Mann von demnächst fünfzig Jahren veröffentlicht Gedichte aus einem "früheren" Leben: aus der Zeit, da er ein englischer Dichter war. Richard Dove, 1954 in England geboren und aufgewachsen, siedelte 1987 nach München über und schreibt seitdem überwiegend deutsch. Was er in seinen Dreißigern auf englisch geschrieben hat, läßt er nun - von zwei Dutzend deutschen Kollegen und ihm selbst übersetzt - als die Summe "abgelebter Zeiten" erscheinen. Die Goethe-Allusion kommt nicht von ungefähr. Dove hat sich schon früh mit deutscher Literatur beschäftigt und manches an deutscher Lyrik - etwa Ernst Meister und Michael Krüger - übersetzt. Seine Muse, wenn man so sagen darf, hatte von Anfang an antike und deutsche Züge.
So ist es ungewöhnlich, aber nicht eigentlich verwunderlich, daß Richard Dove nicht im prosahaften Parlando seiner deutschen Generationsgenossen dichtet, sondern eine Fülle tradierter Formen benutzt. Darunter auch die antiken Maße unserer klassisch-romantischen Tradition. In seinem ersten deutsch geschriebenen Band "Farbfleck auf einem Mondrian-Bild" (2002) finden sich odische und elegische Formen, wie sie der englischen Lyrik weitgehend fremd sind. Doves Wahlheimat München erscheint in der sapphischen Strophe: "klassizistisch / Aufrecht im Stehimbiß des Alpenvorlands, / Heiter im Blau-Weiß."
Diese Tendenz zu Artistik und Formstrenge datiert nicht erst von heute. Wie sehr sie schon in Doves früheren Gedichten angelegt ist, zeigt der Band "Aus einem früheren Leben". Hier spricht ein poeta doctus, der Lord Byron oder Thom Gunn ebenso kennt wie Petrarca und Gaspara Stampa. Aber nur der deutsche Leser wird es völlig würdigen, wenn er nicht bloß Celan, Krolow oder Ernst Meister erwähnt findet, sondern auch diese Namen aus der Tradition: eine Widmung an Eugen Gottlob Winkler, die Übersetzung eines Trakl-Gedichts oder ein Ghasel im Stile Platens. Ganz zu schweigen von sonst kaum gewürdigten Namen wie der des Psychologen Arthur Kronfeld, der in jungen Jahren expressionistische Gedichte schrieb und sich 1941 in Moskau das Leben nahm.
Dove bezieht sich nicht auf Tradition, um mit ihr zu prunken: Anspielung ist ihm vor allem Spiel. Er ist ein Liebhaber der Formen und Vernetzungen. Natürlich drehen sich viele Gedichte um das Schicksal von Kunst und Künstlern: "Beim Öffnen von Byrons Gruft", "Sappho", "Nietzsche" oder "In memoriam Ernst Meister". Aber es gibt auch eine Menge Zeitgeschichte und Zivilisationskritik in seinen Versen, etwa eine satirische Invektive auf den nationalen Pomp des Falkland-Krieges von 1982 - formuliert als quasi historischer Fund, als "Bruchstück einer alkäischen Ode". Oder ein Gedicht über die Massenpanik 1985 beim Brüsseler Spiel Liverpool - Juventus Turin, die 39 Menschen das Leben kostete. Auch hier, wie im Falkland-Gedicht, finden sich englandkritische Töne, die womöglich etwas mit Doves Außerlandsein zu tun haben. Das Rollen-Ich des Gedichts rät seinen Landsleuten, das G in GB den Belgiern abzutreten - "weil ,Großbritannien' inzwischen / Etwa so oxomorisch klingt wie ,Groteske Bellezza'". Richard Dove verfügt also nicht bloß über ironische, sondern auch über morose, ja bittere Töne. Sie mögen mit enttäuschter Heimatliebe zusammenhängen, werden aber durch die durchgehende Munterkeit, ja Unterhaltsamkeit der Texte kompensiert. Dove präsentiert sein englisches Erbe, die Tiefe abgelebter Zeiten, als Kompliment an die deutsche Poesie.
HARALD HARTUNG.
Richard Dove: "Aus einem früheren Leben". Gedichte. Englisch/Deutsch. Lyrikedition 2000, Buch & Media, München 2003. 264 S, br. , 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heimatliebe: Richard Doves früheres Leben als englischer Dichter
Ein Mann von demnächst fünfzig Jahren veröffentlicht Gedichte aus einem "früheren" Leben: aus der Zeit, da er ein englischer Dichter war. Richard Dove, 1954 in England geboren und aufgewachsen, siedelte 1987 nach München über und schreibt seitdem überwiegend deutsch. Was er in seinen Dreißigern auf englisch geschrieben hat, läßt er nun - von zwei Dutzend deutschen Kollegen und ihm selbst übersetzt - als die Summe "abgelebter Zeiten" erscheinen. Die Goethe-Allusion kommt nicht von ungefähr. Dove hat sich schon früh mit deutscher Literatur beschäftigt und manches an deutscher Lyrik - etwa Ernst Meister und Michael Krüger - übersetzt. Seine Muse, wenn man so sagen darf, hatte von Anfang an antike und deutsche Züge.
So ist es ungewöhnlich, aber nicht eigentlich verwunderlich, daß Richard Dove nicht im prosahaften Parlando seiner deutschen Generationsgenossen dichtet, sondern eine Fülle tradierter Formen benutzt. Darunter auch die antiken Maße unserer klassisch-romantischen Tradition. In seinem ersten deutsch geschriebenen Band "Farbfleck auf einem Mondrian-Bild" (2002) finden sich odische und elegische Formen, wie sie der englischen Lyrik weitgehend fremd sind. Doves Wahlheimat München erscheint in der sapphischen Strophe: "klassizistisch / Aufrecht im Stehimbiß des Alpenvorlands, / Heiter im Blau-Weiß."
Diese Tendenz zu Artistik und Formstrenge datiert nicht erst von heute. Wie sehr sie schon in Doves früheren Gedichten angelegt ist, zeigt der Band "Aus einem früheren Leben". Hier spricht ein poeta doctus, der Lord Byron oder Thom Gunn ebenso kennt wie Petrarca und Gaspara Stampa. Aber nur der deutsche Leser wird es völlig würdigen, wenn er nicht bloß Celan, Krolow oder Ernst Meister erwähnt findet, sondern auch diese Namen aus der Tradition: eine Widmung an Eugen Gottlob Winkler, die Übersetzung eines Trakl-Gedichts oder ein Ghasel im Stile Platens. Ganz zu schweigen von sonst kaum gewürdigten Namen wie der des Psychologen Arthur Kronfeld, der in jungen Jahren expressionistische Gedichte schrieb und sich 1941 in Moskau das Leben nahm.
Dove bezieht sich nicht auf Tradition, um mit ihr zu prunken: Anspielung ist ihm vor allem Spiel. Er ist ein Liebhaber der Formen und Vernetzungen. Natürlich drehen sich viele Gedichte um das Schicksal von Kunst und Künstlern: "Beim Öffnen von Byrons Gruft", "Sappho", "Nietzsche" oder "In memoriam Ernst Meister". Aber es gibt auch eine Menge Zeitgeschichte und Zivilisationskritik in seinen Versen, etwa eine satirische Invektive auf den nationalen Pomp des Falkland-Krieges von 1982 - formuliert als quasi historischer Fund, als "Bruchstück einer alkäischen Ode". Oder ein Gedicht über die Massenpanik 1985 beim Brüsseler Spiel Liverpool - Juventus Turin, die 39 Menschen das Leben kostete. Auch hier, wie im Falkland-Gedicht, finden sich englandkritische Töne, die womöglich etwas mit Doves Außerlandsein zu tun haben. Das Rollen-Ich des Gedichts rät seinen Landsleuten, das G in GB den Belgiern abzutreten - "weil ,Großbritannien' inzwischen / Etwa so oxomorisch klingt wie ,Groteske Bellezza'". Richard Dove verfügt also nicht bloß über ironische, sondern auch über morose, ja bittere Töne. Sie mögen mit enttäuschter Heimatliebe zusammenhängen, werden aber durch die durchgehende Munterkeit, ja Unterhaltsamkeit der Texte kompensiert. Dove präsentiert sein englisches Erbe, die Tiefe abgelebter Zeiten, als Kompliment an die deutsche Poesie.
HARALD HARTUNG.
Richard Dove: "Aus einem früheren Leben". Gedichte. Englisch/Deutsch. Lyrikedition 2000, Buch & Media, München 2003. 264 S, br. , 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der demnächst fünfzigjährige Brite Richard Dove lebt seit 1987 in München und veröffentlicht seither vornehmlich in deutscher Sprache, erfahren wir von Harald Hartung. Was er in seinen Dreißigern auf englisch geschrieben hat, lässt er nun, berichtet der Rezensent weiter, von zwei Dutzend deutschen Kollegen und ihm selbst übersetzt, als die Summe "abgelebter Zeiten" publizieren. In dem vorliegenden Band finden sich nicht bloß ironische, sondern auch "morose, ja bittere Töne" Großbritannien betreffend, die "mit enttäuschter Heimatliebe zusammenhängen" dürften, wie Hartung vermutet. Diese Töne werden jedoch, lobt Hartung, durch die "durchgehende Munterkeit, ja Unterhaltsamkeit der Texte kompensiert". Dove dichte nicht im "prosahaften Parlando" seiner deutschen Generationsgenossen, wie Hartung weiter schreibt, sondern benutze "eine Fülle tradierter Formen" und beziehe sich so etwa auf Sappho, Trakl oder Celan, nicht aber um mit ihnen "zu prunken". Dove erweise sich vielmehr als ein Liebhaber des Spiels und der Vernetzungen, lobt Hartung, und in diesem Buch präsentiere er sein englisches Erbe nun "als Kompliment an die deutsche Poesie".
© Perlentaucher Medien GmbH
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