Maximilian Zechs Debütroman ist eine melancholische Parabel über Anpassung, Entfremdung und die Sehnsucht nach Heimat in einer Zeit des Umbruchs. Das Leben ist ein Traum - so zumindest kommt es Matthias Bode schon seit Jahren vor. Der junge Göttinger Arzt lebt zurückgezogen in einer biedermeierlich anmutenden Welt der Innerlichkeit. Um aus der Einsamkeit auszubrechen, begibt sich Matthias auf eine Reise, die ihn nicht nur zu seinen eigenen Wurzeln führt, sondern sein Bild von sich und der Gesellschaft ins Wanken bringt. »Aus einer Zeit« erzählt die Geschichte eines Konservativen wider Willen in einem Land, das um jeden Preis progressiv sein möchte.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Oliver Jungen empfiehlt für dunkle Tage Maximilian Zechs ruhige Erzählung über einen fleißigen Onkologen mit depressiver Sinnkrise. Wie der Autor seinem Protagonisten nahekommt und dessen Verlust an Urvertrauen in die Welt verfolgt, stilistisch und sprachlich souverän, nachdenklich und lebensnah, findet Jungen berückend. Auch wenn der Autor den Roman nicht neu erfindet, wie Jungen zugibt, sein psychologisches Erzählen ist so unaufdringlich wie gekonnt und stimmungsvoll.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2021Schiffbruch ohne Zuschauer
Unaufdringlich authentisch und sprachlich elegant: Maximilian Zechs neoromantische Erkundung der Einsamkeit
Gewaltig die Melodeien des erschütterten Herzens, sturmumtost die Verzweiflung an der Klippe: Romantiker mögen andächtig durch Mondnächte gewandelt sein, aber wenn es ans Leiden ging, brachen alle Dämme. Selbst der Ironiker unter ihnen, Heinrich Heine, kam über seine Cousine Amalie nur hinweg, indem er Myriaden Schiffe vor der Loreley versenkte (und immer noch versenkt), weil sein Lied des Schmerzes diesen Mythos eigentlich erst groß machte. Dass es vielleicht gar nichts bedeuten soll, wenn man so traurig ist, kam einem romantischen Romantiküberwinder nicht in den Sinn. Dass eine Reise ins Herz der Einsamkeit eher einem Vorstoß ins windstille Auge des Sturms gleicht, dorthin, wo fast keine Bewegung mehr möglich ist ( "Das Leben ist ein Traum. Du siehst es - doch du spürst es kaum"), das lesen wir dafür jetzt, leicht autobiographisch inspiriert (Held wie Autor haben familiäre Wurzeln in der DDR), bei dem in Leipzig lebenden Autor Maximilian Zech.
Es braucht Mut, vor allem aber sprachlich-stilistische Souveränität, als Romancier bedingungslos einem sich der eigenen Verlorenheit immer stärker bewusst werdenden depressiven Protagonisten zu folgen. Beides weist Zech auf, und tatsächlich kommt einem dieser Matthias Bode, ein junger Onkologe, wie ihn Patienten sich wünschen - einer, der sich Zeit nimmt -, fast schon beklemmend nah. Wer einmal etwas von Herzen Geliebtes oder gleich das Urvertrauen in die Welt verloren hat, wird wohl Teile von sich in diesem stillen, gutherzigen, aber gar nicht immer sympathischen Helden, der nicht in seiner eigenen Zeit zu leben scheint, sondern sich eingerichtet hat in der Einsamkeit, wiedererkennen. Tagaus, tagein untersucht und berät er in einer Göttinger Klinik Patienten, verfasst Epikrisen, führt ein betäubtes Leben zwischen Arbeit, Fernsehen, etwas Lyrik und Schlaf, für das es aber eine hohe Akzeptanz in der Gesellschaft gibt. Als er eines Tages, erwachend endlich, seinen Chef um eine sofortige Auszeit ersucht, weil er die Routinen nicht mehr aushalte, zumal ihm gerade eine Patientin weggestorben ist, zu der er ein engeres Verhältnis hatte, reagiert der entgeistert: "Was ist denn nur mit Ihnen los, haben Sie Burnout? Sie waren doch immer so zuverlässig."
Wenn Bode nur wüsste, was er hat, woher diese Traurigkeit in ihm stammt, wäre er schon einen Schritt weiter. Aber das eben gilt es herauszufinden, und aus nichts anderem besteht die Handlung dieser nachdenklichen, aber dennoch lichten Erzählung. Eine Ahnung rumort freilich bereits in ihm. Denn was ihn hinabzieht, das scheint nicht allein die Gefangenschaft im "Kerker der Gewohnheiten, Pflichten und inneren Zwänge" zu sein, auch nicht der tägliche Umgang mit dem Tod. Das bewältigen andere Ärzte schließlich auch, die Quasselstrippe Steffi etwa, mit der sich eine Affäre anbahnt, die jedoch unspektakulär scheitert und zu einem (etwas zu forcierten) Dialog mit einem sich als letzter Konservativer gerierenden Kneipenphilosophen führt.
Es hat wohl eher, ahnt Bode, mit seinem eigenen Amalien-Erlebnis zu tun. Maja hieß die Freundin, mit der er die große Liebe erlebte - und seither, sie hat ihn vor sechs Jahren verlassen, nichts mehr. Kaum ein Hauch. Die Einsicht, dass alles seine Zeit hat, Glück, Unglück, neues Glück, bleibt ihm fern: "Ich werde niemals begreifen, was Vergangenheit ist." Der Held suhlt sich im Schmerz, sucht Orte des vergangenen idealisierten Glücks auf und lässt sich schließlich zu einem selbstmitleidigen, schrecklichen, aber unvermeidlichen Brief - einem, den wir alle schon geschrieben haben - hinreißen. Die Sache entwickelt sich, emotional stark, in absolut glaubhafter Weise. Wer sich gegen Veränderungen sperrt, so die harte Lektion, wird untergehen wie die Schiffbrüchigen auf dem Rhein. Da hilft kein Jungfrauen-Pathos.
Dennoch reicht der Blick am verwirrend dunklen Grund der Seele trotz allfälliger psychologischer Selbstinterpretation - da lässt Zech den Lesern wenig Spielraum - immer nur einige Schritte weit. Zudem gilt hier, was an französischen Bahnübergängen zu lesen ist: "Un train peut en cacher un autre." So wird, ein Priester ist an der Aufdeckung beteiligt, allmählich ein weiteres Trauma hinter dem Trauma sichtbar, auch das kein romantisch überhöhtes, sondern eines, das aus dem Leben gegriffen wirkt. Bis zu jener Abzweigung zurückzulaufen, an der sich das Leben so anders entwickelte als erwartet (obwohl es äußerlich gar nicht so aussieht), heißt aber noch lange nicht, nun den anderen Weg nehmen zu können, wie unser Arzt feststellen muss. Melancholie lässt sich nicht austricksen.
Lindern lässt sie sich aber doch, indem man den Blick hebt, von sich selbst ab- und zu anderen hinsieht; plötzlich schwimmt der Held oben auf jener Welle, die eben noch Schiffer und Kahn zu verschlingen drohte. Das alles ist in einer so besonnenen, lebensnahen und zugleich zart poetischen Weise in ruhige, treffende Worte gekleidet, dass sich Zechs gewagt ruhiger Debütroman, der literarisch nichts neu erfindet, aber das psychologische Erzählen so unaufdringlich und gekonnt umsetzt, wie nur möglich, eine neoromantische Epikrise sozusagen, als stimmungsvolle Lektüre für die dunklen Tage empfehlen lässt. OLIVER JUNGEN
Maximilian Zech: "Aus einer Zeit". Roman.
Bucher Verlag, Hohenems, Vaduz, München, Zürich 2021. 256 S., geb., 21,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unaufdringlich authentisch und sprachlich elegant: Maximilian Zechs neoromantische Erkundung der Einsamkeit
Gewaltig die Melodeien des erschütterten Herzens, sturmumtost die Verzweiflung an der Klippe: Romantiker mögen andächtig durch Mondnächte gewandelt sein, aber wenn es ans Leiden ging, brachen alle Dämme. Selbst der Ironiker unter ihnen, Heinrich Heine, kam über seine Cousine Amalie nur hinweg, indem er Myriaden Schiffe vor der Loreley versenkte (und immer noch versenkt), weil sein Lied des Schmerzes diesen Mythos eigentlich erst groß machte. Dass es vielleicht gar nichts bedeuten soll, wenn man so traurig ist, kam einem romantischen Romantiküberwinder nicht in den Sinn. Dass eine Reise ins Herz der Einsamkeit eher einem Vorstoß ins windstille Auge des Sturms gleicht, dorthin, wo fast keine Bewegung mehr möglich ist ( "Das Leben ist ein Traum. Du siehst es - doch du spürst es kaum"), das lesen wir dafür jetzt, leicht autobiographisch inspiriert (Held wie Autor haben familiäre Wurzeln in der DDR), bei dem in Leipzig lebenden Autor Maximilian Zech.
Es braucht Mut, vor allem aber sprachlich-stilistische Souveränität, als Romancier bedingungslos einem sich der eigenen Verlorenheit immer stärker bewusst werdenden depressiven Protagonisten zu folgen. Beides weist Zech auf, und tatsächlich kommt einem dieser Matthias Bode, ein junger Onkologe, wie ihn Patienten sich wünschen - einer, der sich Zeit nimmt -, fast schon beklemmend nah. Wer einmal etwas von Herzen Geliebtes oder gleich das Urvertrauen in die Welt verloren hat, wird wohl Teile von sich in diesem stillen, gutherzigen, aber gar nicht immer sympathischen Helden, der nicht in seiner eigenen Zeit zu leben scheint, sondern sich eingerichtet hat in der Einsamkeit, wiedererkennen. Tagaus, tagein untersucht und berät er in einer Göttinger Klinik Patienten, verfasst Epikrisen, führt ein betäubtes Leben zwischen Arbeit, Fernsehen, etwas Lyrik und Schlaf, für das es aber eine hohe Akzeptanz in der Gesellschaft gibt. Als er eines Tages, erwachend endlich, seinen Chef um eine sofortige Auszeit ersucht, weil er die Routinen nicht mehr aushalte, zumal ihm gerade eine Patientin weggestorben ist, zu der er ein engeres Verhältnis hatte, reagiert der entgeistert: "Was ist denn nur mit Ihnen los, haben Sie Burnout? Sie waren doch immer so zuverlässig."
Wenn Bode nur wüsste, was er hat, woher diese Traurigkeit in ihm stammt, wäre er schon einen Schritt weiter. Aber das eben gilt es herauszufinden, und aus nichts anderem besteht die Handlung dieser nachdenklichen, aber dennoch lichten Erzählung. Eine Ahnung rumort freilich bereits in ihm. Denn was ihn hinabzieht, das scheint nicht allein die Gefangenschaft im "Kerker der Gewohnheiten, Pflichten und inneren Zwänge" zu sein, auch nicht der tägliche Umgang mit dem Tod. Das bewältigen andere Ärzte schließlich auch, die Quasselstrippe Steffi etwa, mit der sich eine Affäre anbahnt, die jedoch unspektakulär scheitert und zu einem (etwas zu forcierten) Dialog mit einem sich als letzter Konservativer gerierenden Kneipenphilosophen führt.
Es hat wohl eher, ahnt Bode, mit seinem eigenen Amalien-Erlebnis zu tun. Maja hieß die Freundin, mit der er die große Liebe erlebte - und seither, sie hat ihn vor sechs Jahren verlassen, nichts mehr. Kaum ein Hauch. Die Einsicht, dass alles seine Zeit hat, Glück, Unglück, neues Glück, bleibt ihm fern: "Ich werde niemals begreifen, was Vergangenheit ist." Der Held suhlt sich im Schmerz, sucht Orte des vergangenen idealisierten Glücks auf und lässt sich schließlich zu einem selbstmitleidigen, schrecklichen, aber unvermeidlichen Brief - einem, den wir alle schon geschrieben haben - hinreißen. Die Sache entwickelt sich, emotional stark, in absolut glaubhafter Weise. Wer sich gegen Veränderungen sperrt, so die harte Lektion, wird untergehen wie die Schiffbrüchigen auf dem Rhein. Da hilft kein Jungfrauen-Pathos.
Dennoch reicht der Blick am verwirrend dunklen Grund der Seele trotz allfälliger psychologischer Selbstinterpretation - da lässt Zech den Lesern wenig Spielraum - immer nur einige Schritte weit. Zudem gilt hier, was an französischen Bahnübergängen zu lesen ist: "Un train peut en cacher un autre." So wird, ein Priester ist an der Aufdeckung beteiligt, allmählich ein weiteres Trauma hinter dem Trauma sichtbar, auch das kein romantisch überhöhtes, sondern eines, das aus dem Leben gegriffen wirkt. Bis zu jener Abzweigung zurückzulaufen, an der sich das Leben so anders entwickelte als erwartet (obwohl es äußerlich gar nicht so aussieht), heißt aber noch lange nicht, nun den anderen Weg nehmen zu können, wie unser Arzt feststellen muss. Melancholie lässt sich nicht austricksen.
Lindern lässt sie sich aber doch, indem man den Blick hebt, von sich selbst ab- und zu anderen hinsieht; plötzlich schwimmt der Held oben auf jener Welle, die eben noch Schiffer und Kahn zu verschlingen drohte. Das alles ist in einer so besonnenen, lebensnahen und zugleich zart poetischen Weise in ruhige, treffende Worte gekleidet, dass sich Zechs gewagt ruhiger Debütroman, der literarisch nichts neu erfindet, aber das psychologische Erzählen so unaufdringlich und gekonnt umsetzt, wie nur möglich, eine neoromantische Epikrise sozusagen, als stimmungsvolle Lektüre für die dunklen Tage empfehlen lässt. OLIVER JUNGEN
Maximilian Zech: "Aus einer Zeit". Roman.
Bucher Verlag, Hohenems, Vaduz, München, Zürich 2021. 256 S., geb., 21,80 Euro.
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