Aus guter Familie, Gesellschaftsroman von Gabriele Reuter, 270 Seiten, erschienen im Reclam, Philipp, jun. GmbH, Verlag
Leidensgeschichte eines Mädchens
Agathe ist aus guter Familie, der Roman spielt im „Fin de Siècle“ im ausgehenden 19. Jahrhundert, im Kaiserreich. Wohlbehütet in einem
großbürgerlichen Haushalt, stößt die freiheitsliebende Agathe immer wieder an die Grenzen, die für ein…mehrAus guter Familie, Gesellschaftsroman von Gabriele Reuter, 270 Seiten, erschienen im Reclam, Philipp, jun. GmbH, Verlag
Leidensgeschichte eines Mädchens
Agathe ist aus guter Familie, der Roman spielt im „Fin de Siècle“ im ausgehenden 19. Jahrhundert, im Kaiserreich. Wohlbehütet in einem großbürgerlichen Haushalt, stößt die freiheitsliebende Agathe immer wieder an die Grenzen, die für ein „Mädchen aus gutem Hause“ damals schicklich waren. Weder ihre Sehnsucht nach Freiheit, noch nach Glück erfüllen sich. Ihr Bruder verspielt sogar ihre Mitgift und so steht ihr nicht einmal mehr der Weg für eine späte Vernunftehe offen. Darüber verzweifelt die junge Frau und endet schließlich in einer Heilanstalt.
Das Buch besteht aus 2 Teilen, die in diverse Kapitel eingeteilt sind, welche mit römischen Ziffern überschrieben sind. Der Schreibstil ist flüssig, die Sprache der damaligen Zeit angemessen, nur Orthografie und Zeichensetzung wurden modernisiert. Immer wieder erscheinen Phrasen im Dialekt, die nicht übersetzt wurden. Viele Fremdwörter zum Teil veraltet, die ich nachsehen musste, wurden verwendet.
Die Figuren, besonders die Protagonistin sind gründlich charakterisiert und beschrieben, die Handelnden agieren für mich nicht immer nachvollziehbar, was jedoch der damaligen Zeit, in der der Roman spielt, zuzuschreiben ist, eine Innenansicht ganz besonders von Agatha, wie es in ihr drin aussieht kann absolut überzeugen, das ist eine Stärke des Buches. Das beginnt schon ganz am Anfang bei der Beschreibung der Ergriffenheit, die sie bei ihrer Konfirmation erfasst. Letztendlich tut mir Die Protagonistin leid, erleichtert, dass ich nicht in dieser Zeit leben musste. Der Roman wurde in der Schwellenzeit, in der klassischen Moderne verfasst, Es fand ein gesellschaftlicher Aufbruch statt, der hier gut beschrieben ist, der aber Agathe nicht zu Gute kommt. Zu sehr wird sie fremdbestimmt. Schon bei der Konfirmation werden geschenkte Bücher, die nicht für ein feines Mädchen geeignet sind gegen ihren Willen umgetauscht. Als Kind hat man sie um das Wissen von Schwangerschaft und Geburt belogen. Ihr Debütantinnenball war die reinste Katastrophe. Christlich erzogen, angepasst, von den Eltern klein gehalten. Ihre Freundin Eugenie und ihre Kameradinnen im Pensionat waren anders, freier und schon damals zeichnete sich eine Ausgrenzung ab. Sie galt als verklemmt und frömmlerisch. Das steigert sich immer weiter, dabei nicht ganz unschuldig, ihre sogenannte beste Freundin und spätere Schwägerin Eugenie. Das genaue Gegenteil von Agathe, modern, frech und selbstbewusst, von allen bewundert und angeschwärmt, flirtet und flattert sie sich durchs Leben. In ihrem Schatten Agathe. Irgendwie hatte ich auch das Gefühl, sie genießt es geradezu Agathe zu piesacken und zu quälen. Sie war mir durchgehend unsympathisch.
Einige unglückliche Schwärmereien später, die Agathe zerreißen, zwischen, was sich schickt und vornehmer Zurückhaltung, zeichnet sich ab, dass Agathe wohl ein spätes Mädchen ist. Selbst eine spätere Vernunftehe, bleibt ihr verwehrt. Ihr Bruder hat ihre Mitgift verspielt, da habe ich mich schon gefragt warum seine reichen Schwiegereltern und seine extravagante Frau nicht dafür aufkommen konnten, nein auch da musste Agathe zurückstecken.
Ihre Mutter und den Onkel pflegen auch ihr Vater wollte sie nicht gehen lassen. Als sie am Ende noch eine herbe Enttäuschung erlebt, war das Maß voll. Ich kann sie verstehen. Ich bin nicht ganz sicher ob es sich hier um Melancholie oder Hysterie handelt, Agathes Verhalten lässt beides zu.
Ein Buch, das in einer Zeit spielt die zum Glück vorbei ist. Mich hat es gut unterhalten. Eine Leseempfehlung und 3,5 wo nötig 4 Sterne.