Aus einer tiefen Verbundenheit zur Musik ist dieses Buch entstanden. Es zeugt von der Liebe zu ihrem Wesen und atmet die Sorge um ihre Zukunft. Gunhild von Kries führt ihre Leser durch die Weiten musikaliscen Erlebens. Das kann berühren und begeistern, aber auch erschüttern. Eine große Entwicklungslinie wird hier anschaubar, ja "hörbar".Über lange Zeiträume hat die Musik uns getragen. Sie war treue Begleiterin bei Geburt und Tod, bei Arbeit und Kultus, im Schlachtengetümmel und zur festliche Unterhaltung. Über Jahrtausende fühlten die Menschen: Musik ist eine heilige und heilende Kunst.Doch der Materialismus des 20. Jahrhunderts hat auch die Musik und das Musizieren ergriffen.Mechanisirung, Elektronisierung und Digitalisierung drohen die Musik von ihren lebendigen Quellen abzutrennen. Was bleibt, ist bloßer Schall, großer Lärm, zwanghafte Berieselung - und das immer lauter, weltweit, ununterbrochen.
Der zeitgenössische Komponist Peter Ruzicka äußerte einmal, Musik über Musik sei die "allein noch mögliche Konsequenz einer kunsthistorischen Entwicklung, die vor dem Eingeständnis stehe, dass wirklich neues musikalisches Material nicht mehr zur Disposition steht, dass ein Vorwärtsdrängen des Komponisten in unbekanntes Neuland nicht mehr möglich ist." Eine solche Ansicht ist heute in der Künstlerszene weit verbreitet. Geschaffen wird aus der resignierten Einsicht heraus, dass die sprudelnde Quelle der Kunst, aus der Menschen seit tausenden von Jahren geschöpft haben, versiegt sei. Da ist verständlich, dass ein Ausweichen erfolgen muss - auf Längstvergangenes, auf intellektuell Konstruiertes bis hin zu völlig Sinnlosem, bewusst Unverständlichem, gar Zerstörerischem.Gunhild von Kries zeigt in ihrem Buch Aus Liebe zur Musik einen für jeden gangbaren Weg hin zu dieser Quelle auf. Dabei wird deutlich: Diese Quelle, nach der sich die Menschen tief sehnen, sprudelt nicht irgendwo in der düsteren Vergangenheit. Sie verströmt ihr lebendiges, immer wieder frisches Wasser in der Zukunft, zu uns her! So ist der allgemeinen Resignation gleich eine ganz andere, kraftvolle Perspektive gegenübergestellt. Ungewöhnlich und herausfordernd, freilich, denn wir sind ja gewohnt, Ursachen für Ereignisse, die uns heute zustoßen, einzig in der Vergangenheit zu suchen. (Eingefügt werden soll, dass die Autorin sich jahrzehntelang auch übend mit der Zeit beschäftigt hat; ihre Erfahrungen sind niedergelegt in ihrem Buch Zeit heilt, Oratio Verlag 2003).Dass dann noch die Musik als lebendiges (geistiges) Wesen beschrieben wird, mag weiter erstaunen, bietet aber, wie im Verlauf des Buches zu erfahren ist, den Schlüssel zu jeglichem Umgang mit der Musik, sei es musizierend, komponierend, improvisierend oder "nur" hörend. Warum Schlüssel? Weil mit der Anerkennung dieses Wesens zugleich eine Prüfung verbunden ist. Um sich das klarzumachen, braucht es gar nicht viel. Ein einziger Ton genügt. Man singt oder spielt ihn, gewissermaßen zu diesem Wesen hin, welches lauschend teilhat am Entstehen, Werden und Vergehen des Tones. Wie wirkt dieser Ton auf das Wesen? Ehrt man es durch ihn? Oder verletzt man es? Wie oft, so kann man erschüttert einsehen, wird dieses Wesen durch brutalsten Einsatz von Klängen regelrecht gefoltert, vor allem dann, wenn Musik mit Elektronik verbunden ist. Aber wie gesundend kann ein einziger, liebevoll und bewusst gestalteter Ton wirken! Dankbar ist das Wesen der Musik für einen jeden solchen Ton. Es erwartet keine ausgefeilten Sinfonien. Das ist das Berührende an diesem Buch: dass man durch das Einfachste geführt wird und jeder, der guten Willens ist, im übenden Erleben folgen kann. Das Einfachste erscheint hier zugleich als Hinweis auf das Tiefste.So nimmt Gunhild von Kries den Leser in sanft aufmunternder Weise mit auf einem Weg durch die einzelnen Elemente der Musik, begonnen beim Geräusch über Rhythmus, Dynamik, Harmonie bis hin zur Melodie, welche als der "Heilige Geist" der musikalischen Elemente bezeichnet wird. Diese spannen nach und nach ein Sternenzelt auf, unter dessen Kuppel dann das Wesen der Musik erscheinen kann. Wie von selbst sondert sich so einiges aus und flieht den heiligen Raum dieser Kuppel - oder aber es tritt verwandelt wieder ein. Zu einer solchen auch äußerlich sichtbaren Verwandlung gehören die von der Autorin neu entwickelten psalterartigen Streichinstrumente, genannt "Tähtivirta" (finnisch für "Sternenstrom"), aus sieben den Planeten nach alter Tradition zugeordneten Holzarten in plastisch-bewegten Formen geschnitzt. Ihre feine und doch intensive, "an-wesende" Klangwelt scheint wie geschaffen für die Töne, die von den Sternen her erklingen möchten. Die Abbildungen der Instrumente im Buch vermitteln hiervon eine leise Ahnung.Schließlich leuchtet gegen Ende die große Mission der Musik auf: dass sie fähig ist, das Geheimnis der Inkarnation Christi zum Erleben zu bringen, ja überhaupt zu Ihm hinzuführen vermag. Auf Rudolf Steiners Intervallmeditation in seinem Vortragszyklus "Das Initiatenbewusstsein" (dort am Ende des letzten Vortrags) wird hingewiesen als Weg zu besagter Quelle, aus der Musik zu uns her tönen, Geistiges überhaupt sprechen kann. Der Übungsweg mündet in die frohe Erwartung einer neuen Epoche, an dessen Beginn wir heute schon stehen, musikalisch und auch sozial - einer Zeit, in der die Kunst dem Menschen wieder wahre Seelennahrung werden kann, ihn bestärkt in seinem Urvertrauen zu einer sicheren göttlichen Umhüllung, und ihn befeuert zu einem Durchtönen, letztlich Durchlieben der Erde bis in ihre tiefsten Tiefen. Ein Mysterium des täglichen Lebens soll die Musik werden. So gesehen ist Gunhild von Kries' Buch mehr als ein Buch nur über Musik. Torben Maiwald