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  • ISBN-13: 9782702493243
  • Artikelnr.: 10906243
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2005

Linientreue reicht nicht
Zwei neue Comics über die Judenvernichtung

Es ist wieder einmal soweit. Am Montag fragte die "Bild"-Zeitung in adäquat großen Lettern und mit blutrotem Farbakzent: "Darf man den Schrecken des Holocaust als Comic zeigen?" Auslöser war der Band "Auschwitz", eine hundertzwanzigseitige Bildgeschichte des Franzosen Pascal Croci, die gerade beim Kölner Ehapa-Verlag erschienen ist, "im Verlag von Micky Maus und Donald Duck", wie "Bild" weiß. "Darf gleich hinter Entenhausen das gezeichnete Grauen liegen?"

Darf man? Darf es? Die Fragen sind alt, und die Antworten bleiben gleich: Man darf, es darf. 1986 hatte sich der damals noch existierende Sender Freies Berlin in seiner Radiosendung "Literarisches Café" darüber echauffiert, daß in Amerika nun sogar die Judenvernichtung als Comic vermarktet werde. Die Rede war von "Maus", dem biographischen Bilderroman von Art Spiegelman, der die Geschichte vom Überleben seines Vaters Vladek in Auschwitz erzählte. Darin wurden Juden als Mäuse, Deutsche als Katzen, Polen als Schweine gezeichnet, und kaum jemand wollte in Deutschland wahrhaben, daß dieser Kniff nicht nach Entenhausen, sondern vielmehr zur Erzählökonomie der Comics gehört, die durch klare Rollenmuster dem Leser von Beginn an eine Deutung mitliefern - ganz zu schweigen von Art Spiegelmans tiefer Verwurzelung in einer Tradition der Bildgeschichte, die von Frans Masereel über Walt Disney bis zu Robert Crumb reicht.

Als zwei Jahre später der erste Teil von "Maus" ins Deutsche übersetzt wurde und bei Rowohlt erschien, verstummte die Kritik schnell. Hans Dieter Heilmann schrieb damals in der "tageszeitung": "Zur Erinnerung: Nicht die Wissenschaft und nicht das Buch haben in Deutschland den Judenmord ins Bewußtsein der Nation gehoben, sondern ein Film ist es, dem Wissenschaft und Literatur ihre Holocaust-Konjunktur verdanken." Diesen Erfolg und die Folgen der Fernsehserie "Holocaust" erreichte die ungleich subtilere Comicerzählung denn doch nicht, aber immerhin werden bis heute Jahr für Jahr um die dreitausend Bände von "Maus" verkauft, und in diesem Herbst wird eine erste wissenschaftliche Studie zu dessen Ästhetik erscheinen: "Genealogie des Holocaust" von Ole Frahm (Fink Verlag). Spiegelman erhielt nach Abschluß des zweiten Bandes für seinen Comic den Pulitzer-Preis. Die Debatte schien beendet.

Dabei wurde die wichtigste Frage mangels weiterer Beispiele nicht gestellt: Wie darf man über den Holocaust im Comic sprechen? Deshalb ist es gut, daß der Streit wiederaufflammt, allerdings haben sich die Argumente nicht geändert. Ähnlich wie Heilmann argumentiert heute der Schrifsteller Rafael Seligman. Von "Bild" zu Crocis "Auschwitz" befragt, antwortete er: "Jeder Weg ist grundsätzlich richtig, der verständlich macht, was damals geschah - vor allem Jugendlichen." Dagegen steht die allgemeine Aussage Esra Cohns von der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf: "Ein Comic ist keine angemessene Form."

Was "Auschwitz" von Croci betrifft, hat Cohn recht. Der Band ist aus zahlreichen Überlebendenberichten zur prototypischen Schilderung eines Lebens - Kazik heißt die zentrale Figur der Geschichte - im Vernichtungslager verdichtet: Dadurch reiht sich ein Moment des Grauens an das andere, während man von den Überlebensstrategien der Insassen zuwenig erfährt. Zudem ist der Rückblick auf die Geschehnisse im Lager eingebettet in eine Rahmenhandlung, die von der Gefangennahme und Ermordung Kaziks und seiner gleichfalls den Nazis entronnenen Frau Cessia durch Milizen im jugoslawischen Krieg des Jahres 1993 berichtet. Dieser Kunstgriff ist mißraten, hier droht tatsächlich einmal die Gefahr, die Judenvernichtung umstandslos mit neueren Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichzusetzen.

Dazu kommt eine klischeebeladene Graphik, die alle Figuren mit schier aus den Höhlen tretenden Augen und in derart bühnengemäßen Posen darstellt, daß es schwerfällt, den Charakteren irgendwelche Gefühle abzunehmen. Die Sprechblasen schneiden als gezackte Flächen wie scharfe Objekte in die Bilder ein, so daß man den Eindruck eines permanenten Schreiens vermittelt bekommt, was spätestens bei den Unterhaltungen der Häftlinge eine groteske Wirkung entfaltet.

Gut gemeint ist also noch lange nicht gut gezeichnet, und Pascal Croci hat seiner Erzählform mit "Auschwitz" einen Bärendienst erwiesen. Aber die wieder aufgeworfene Frage nach der Rechtfertigung eines Comics über die Judenvernichtung hält sich leider immer noch nicht mit den konkreten Beispielen auf. Sonst müßte ein Band angesprochen werden, der all das leistet, was Croci mit dem seinen versäumt hat - und gleichzeitig mit diesem im gleichen Verlag erschienen ist. Sein Autor ist der 1926 geborene Joe Kubert, ein Comic-Altmeister, der spät noch bei Will Eisner in die Lehre gegangen ist und sich dabei jene Mischform zwischen Bilderbuch und Comic angeeignet hat, die neben Sprechblasen auf umfangreiche erzählende Texte setzt und von Eisner deshalb die Bezeichnung "Graphic Novel" verpaßt bekam.

Dieses Prinzip hat Kubert nun zur Perfektion gebracht. Sein Buch "Yossel" ist im Gegensatz zu "Auschwitz" keine überästhetisierte Holocaust-Geschichte, sondern ein in Bleistiftzeichnungen angelegtes Ereignisprotokoll eines imaginären jüdischen Jungen, der den Warschauer Ghettoaufstand mitmacht.

Kubert findet in der rohen Form seiner Bilder und in der ausgefeilten Balance zwischen Text und Graphik einen packenden Zugang zu einer historischen Episode, auf die er als Kind einer schon 1926 aus Polen nach Amerika emigrierten jüdischen Familie immer stolz gewesen ist. Und das merkt man dem Erzählstil an. Wo Croci als unbelasteter Chronist mit eisiger Kälte Schrecken über Schrecken schildert, läßt Kubert bis in den Moment des Sterbens seines Helden hinein eine Wärme für Yossel spüren, die dessen Tod zu einem weitaus entsetzlicheren Moment macht als noch die schlimmsten Bilderfindungen in "Auschwitz". Der entscheidende Unterschied bei jeder künstlerischen Bearbeitung der Schoa liegt darin, ob das jeweilige Werk nur aufrütteln will oder etwas zu erzählen hat.

ANDREAS PLATTHAUS

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