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Der Name Auschwitz ist wie kein anderer zum Synonym für die Ermodung der europäischen Juden geworden. Auschwitz wurde 1270 als Stadt gegründet. Der deutsche Traum vom "Lebensraum im Osten", der im Zweiten Weltkrieg zum Alptraum der Völker Europas wurde, geht bis ins Mittelalter zurück."Ein Werk von ungeheurer Bedeutung" New York Newsday Robert Jan van Pelt, geb. 1955 in Holland, Studium der Kunstgeschichte und Archäologie, Spezialist für Architektur- und Stadtgeschichte. Lehraufträge an den Universitäten in London, Singapur und Virginia. Deborah Dwork, geb. 1964 in New York, Studium der…mehr

Produktbeschreibung
Der Name Auschwitz ist wie kein anderer zum Synonym für die Ermodung der europäischen Juden geworden. Auschwitz wurde 1270 als Stadt gegründet. Der deutsche Traum vom "Lebensraum im Osten", der im Zweiten Weltkrieg zum Alptraum der Völker Europas wurde, geht bis ins Mittelalter zurück."Ein Werk von ungeheurer Bedeutung" New York Newsday Robert Jan van Pelt, geb. 1955 in Holland, Studium der Kunstgeschichte und Archäologie, Spezialist für Architektur- und Stadtgeschichte. Lehraufträge an den Universitäten in London, Singapur und Virginia. Deborah Dwork, geb. 1964 in New York, Studium der Geschichte, ist Professorin für die Geschichte des Holocaust und Jüdische Geschichte der Neuzeit an der Clark University in Massachusets. Ihr berühmtestes Buch ist "Kinder mit dem gelben Stern".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.1999

"Ein gewöhnlicher Ort"
Und eine unhistorische, schlecht gearbeitete Geschichte von Auschwitz

Robert Jan van Pelt, Debórah Dwork: Auschwitz. Von 1270 bis heute. Aus dem Englischen von Klaus Rupprecht. Pendo Verlag, Zürich und München 1998. 470 Seiten, 249 Abbildungen und 20 Tafeln. 78,- Mark.

Dieses Buch "macht Auschwitz wieder zu einem gewöhnlichen Ort", versprechen die Autoren in der Einleitung. Der Anspruch ist mißverständlich formuliert, aber anerkennenswert. Daß das Lager Auschwitz-Birkenau eine Hölle war für die, die dorthin gebracht wurden, soll nicht dazu verführen, sich Auschwitz auch als jenseitig vorzustellen. Auschwitz war wie jeder andere Ort eingebettet in eine umgebende Welt und in eine Geschichte, die vor das Jahr 1940 zurückreicht. Seine Vernichtungsmaschinerie mußte von Menschen geplant, bestellt, errichtet, betrieben, repariert werden. So bieten sich der Zeithistorikerin Debórah Dwork und dem Architekturhistoriker Robert Jan van Pelt drei Wege, um Auschwitz seine Wirklichkeit als "gewöhnlicher Ort" zurückzugeben: indem sie die Details des Tötungsapparates Auschwitz-Birkenau darstellen, die Verbindungen des Ortes zu seiner Umgebung, seine Vorgeschichte. Daß Dworks und van Pelts Erkenntnisse zum geringsten Teil neu sind, merkt nur der Historiker. Daß aber ihre Gedankenführung fragwürdig ist und ihr Umgang mit den Quellen fahrlässig bis an die Grenze zur Unredlichkeit, ahnt auch der Laie. Dwork und van Pelt haben die NS-Propaganda für bare Münze genommen. Das macht die Darstellung schlüssig, die Aussagen griffig und ihre Bebilderung einfach.

Das gilt schon für die Vorgeschichte des Ortes bis zur Entstehung des Lagers. Für die Zeitgenossen war das natürlich keine "Vorgeschichte", und diesen Blickwinkel sollte auch der Historiker nicht vergessen, denn es war Auschwitz nicht vorherbestimmt, zum Tatort des Völkermords zu werden (zumindest nicht auf eine Weise, die der Historiker begreifen könnte). Aber Dwork und van Pelt wollen gleichzeitig mit der Geschichte von Auschwitz auch eine Vorgeschichte zum Holocaust schreiben.

Als Klammer dient ihnen die deutsche Ostsiedlung. Nun ist der Zusammenhang zwischen den Siedlungsplänen der Nationalsozialisten in Osteuropa (die sich stets auf die deutsche Ostkolonisation beriefen) und der Ermordung der Juden unbestreitbar. Aber Dworks und van Pelts Geschichte von Auschwitz als eine Geschichte des deutschen Drangs nach Osten ist nichts anderes als eine Spiegelung nationalsozialistischer Vorstellungen zurück bis in graue Vorzeit.

Mit Staunen liest man auf dem Buchumschlag, die Geschichte von Auschwitz werde "durch die Zeiten der deutschen Ordensritter" verfolgt. In der Tat vernimmt man im umfangreichen ersten Teil des Buches viel über den Ordensstaat, über die Kolonisation Westpreußens unter Friedrich dem Großen und die Ostmarkenpolitik - wissen die Autoren wirklich, wo Auschwitz liegt? Vor lauter Preußen und Siedlungspolitik verblassen die spärlichen Hinweise auf Österreichisch-Galizien, zu dem Auschwitz gehörte - und das sicherlich kein Beispiel für eine konsequente Germanisierungspolitik war. Die Geschichte der Stadt zwischen den Weltkriegen fehlt vollkommen.

Immerhin erfährt man von der Vorgeschichte des späteren Lagergeländes. Es ist bekannt, daß das Lager in den Gebäuden einer polnischen Artilleriekaserne eingerichtet wurde. Weniger bekannt ist, daß diese Gebäude als Arbeitsplatzbörse für polnische Wanderarbeiter auf dem Weg nach Deutschland errichtet wurden. Die Lage von Auschwitz an der Grenze Galiziens zu Preußen und am Schnittpunkt zweier Eisenbahnlinien (derjenigen von Wien nach Krakau und der Strecke nach Kattowitz mit Anschluß nach Berlin und Hamburg) machte die Stadt zu einem Umschlagplatz - zunächst für polnische und jüdische Auswanderer auf dem Weg durch Deutschland nach Amerika, später für polnische Saisonarbeiter auf dem Weg nach Deutschland. Für diese Gruppe wurde von der galizischen Regierung im Vorort Zasole eine staatlich kontrollierte Arbeitsplatzbörse gebaut. Als sie 1918 fertig war, bot sie Platz für 12000 Männer. Auschwitz hatte damals nur 10000 Einwohner, die Hälfte davon Juden.

Der sorglose Umgang mit Quellen und Begriffen, den die Autoren auf ihrem Streifzug durch die Jahrhunderte beweisen, wird vollends unerträglich, wo es um den Nationalsozialismus geht. Im ersten Teil des Buches ist alle paar Seiten eine Karte von Osteuropa bis hinauf nach Petersburg zu sehen, die laut Beschriftung den "Deutschen Osten" zu verschiedenen Epochen zeigt (eine Quelle ist nicht angegeben, aber daß schon 1300 ein "Deutsches Reich" eingezeichnet ist, läßt nichts Gutes ahnen). Aber was ist der "Deutsche Osten"? Das wissen die Autoren für ihre eigene Verwendung nicht zu definieren, und auch unterschiedliche Bedeutungen des Begriffes in der Zwischenkriegszeit werden nicht getrennt. So verschwimmen die Grenzen zwischen einem Revisionismus, der sich auf die nach Versailles verlorenen Ostgebiete bezog, und den Lebensraumphantasien Hitlers (und nicht nur Hitlers), der sich über ebendiesen Revisionismus lustig machte und von Polen gar nicht erst sprach, weil er schon an Rußland dachte. Auch das gern bemühte Kollektiv "die Deutschen" wird bei Dwork und van Pelt zum Überraschungsei. Der Leser darf jedesmal selbst den Sinn herausschälen - mal sind tatsächlich alle oder fast alle Deutschen gemeint, mal die deutsche Rechte, Hitler, das Reichssicherheitshauptamt oder irgendein Deutscher aus irgendeinem Dokument.

Wie groß der Antisemitismus unter den einfachen Soldaten im Zweiten Weltkrieg gewesen sei und wie erfolgreich damit die nationalsozialistische Propaganda, belegen die Autoren mit Feldpostbriefen - die sie ihrerseits einer deutschen Propagandaschrift von 1941 entnommen haben, wie die Anmerkung verrät. Mit einem ähnlichen Zirkelschluß belegen sie die angebliche Begeisterung der Volksdeutschen über ihre Umsiedlung "ins Reich". Woher die Autoren wissen, daß der Polen-Feldzug "ein lang erwarteter, heißersehnter Krieg" gewesen sei, bleibt ihr Geheimnis, entspricht aber jedenfalls der Propaganda und keineswegs der (von der Führung mit Sorge beobachteten) Reaktion der deutschen Bevölkerung auf den Kriegsausbruch.

Die Entscheidungsprozesse in der nationalsozialistischen Führung, die zum Entstehen von Auschwitz führten, kann man mit einer solch blauäugigen Lesart der Dokumente nicht verstehen. Die Umsiedlung der Volksdeutschen und die Deportationen der Polen und Juden aus den annektierten polnischen Gebieten in das Generalgouvernement seien "mit bedrückender Leichtigkeit bewerkstelligt" worden, behaupten Dwork und van Pelt. Leichtigkeit - in wessen Augen? Sicher nicht in denen der Opfer. Aber eben auch nicht in denen der Täter, und das ist für die Geschichte des Holocausts wesentlich. Denn der Zusammenhang zwischen den Völkerverschiebungen und dem Mord an den Juden, den Götz Aly beschrieben hat, beruht gerade auf dem Widerspruch zwischen hochgesteckten Zielen und tatsächlich Erreichtem, der mit immer rücksichtsloseren Maßnahmen aufgelöst werden sollte.

Das aber ist bereits die Geschichte des Lagers Auschwitz, die die Autoren in vielen Einzelheiten nachzeichnen: vom Konzentrationslager für Polen in Zasole über das weitaus größere Kriegsgefangenenlager für Russen in Birkenau bis zum Vernichtungslager für Juden, als das Auschwitz-Birkenau seit Oktober 1943 der Mittelpunkt des Mordes an den Juden war. Den weitaus größten Teil der Darstellung nimmt die Baugeschichte der Krematorien in Auschwitz und Birkenau ein. Sie waren der Kern der Vernichtungsanlage, aus ihnen und in ihnen wurden die Gaskammern entwickelt, denn nicht das Töten, sondern das Beseitigen der Opfer erwies sich als Hauptschwierigkeit beim Massenmord. Dwork und van Pelt stützen sich auf die Akten der Bauleitung der Waffen-SS und Polizei in Auschwitz, die im Moskauer Sonderarchiv und im Museumsarchiv in Auschwitz erhalten sind - Bestände, die schon 1993 Jean-Claude Pressac für seine detaillierte Geschichte der Krematorien ausgewertet hat. Die Fragen, die Pressac aufgeworfen hat, bleiben bei Dwork und van Pelt allerdings unbeachtet.

CHRISTIAN ESCH

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