»Ich stellte mir vor, ich wäre der Hundesitter der Unterwelt, und Persephone hätte mich rufen lassen, damit ich den Zerberus spazieren führe. Wie sieht der dreiköpfige Wachhund des Hades aus? Wohin mit ihm Gassi gehen?« Mirko Bonné wählt die ganze Welt für seinen Spaziergang mit dem Höllenhund. Die Reise führt nach Südamerika und in die Antarktis, nach New York und Amsterdam, an die Orte seiner Kindheit und Familie, auf den Mond und zurück. Den drei Augenpaaren des Zerberus entgeht nichts: Detaillierte, poetische Reisebetrachtungen wechseln in diesen klugen und zugleich unterhaltsamen Beobachtungen ab mit Exkursionen in die Kunstgeschichte, Erinnerungen an Strandurlaube und Clubkonzerte mit Überlegungen zu Leben und Literatur. Unterwegs auf den Spuren von Trakl, Sebald, Camus und Whitman erzählt der Autor auch von der Entstehung seiner eigenen lyrischen Werke und Romane so geistreich wie leichthändig, so kritisch wie weltoffen.
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Mirko Bonné sucht die Ursprünge der Dichtung
Es soll Leser geben, die sich nur auf das Phantasiereich eines literarischen Textes einlassen, darüber hinaus wollen sie nichts wissen vom Autor oder von der Genese eines Werks. Solche Leser stellte sich einmal eine Richtung der Literaturwissenschaft als die idealen vor. Die textimmanente Interpretation ist längst überholt. Ob ihre Anhänger in Reinform je existierten, ist fraglich. Gewiss aber gibt es solche Leser, zu denen auch der Schriftsteller Mirko Bonné zählt, die sich beflügeln lassen von literarischen Orten und Geschichten. In seinem neuen Buch folgt er den Spuren ihm am Herzen liegender Dichter wie John Keats und Walt Whitman. Und weil Bonné selbst Dichter ist, werden ihm die Ortsbegehungen wiederum zum Born eigener Lyrik. Dazu gesellen sich Reiseeindrücke, und es entsteht eine Mischgattung aus Reportage, lyrischem Ton und Erzählung, die ihresgleichen sucht.
Zuweilen könnte man die Texte auch für Poetikvorlesungen halten, haben sie doch in den letzten Jahren eine Sonderform ausgeprägt, die selbst wieder Erzählung ist, etwa bei Hugo Loetscher oder Monika Maron. Dem Leser Bonnés wird aber schnell klar, dass er hier etwas Eigenständiges vor sich hat. Der Eindruck schlägt gleich im ersten Text der Sammlung durch, der "Die Helianloggia" heißt. Selten hat man so die Verzauberung durch Lyrik nachempfunden wie in Bonnés Jugenderinnerung an eine Reise nach Mühlau am Inn - jenen Ort, an dem Trakls Gedicht "Helian" entstand. Der Reisende will herausfinden, was es bedeutet, "zu wandern / An den gelben Mauern des Sommers hin", und wo man solche Verse schreibt. Er trifft auf Gleichgesinnte, ein holländisches Paar: "So gingen wir vier Sommertage lang durch die Bilder und Aufzeichnungen von Trakls Tirol." Es entsteht ein Gespräch über den Zusammenhang von Physiognomie und Dichtung, der gerade beim Gedanken an die verstörenden Gesichtsausdrücke Trakls auf einigen Fotografien verführerisch scheint, womöglich aber doch in die Irre geht.
Wie lohnend es hingegen sein kann, hinter der Dichtung die sie hervorbringenden Menschen zu suchen, zeigen Bonnés assoziative Annäherungen immer wieder. Oft gelingen ihm dabei glänzende Beobachtungen und Aperçus, etwa wenn er in Keats nicht nur den großen Liebenden, sondern auch den großen Liegenden entdeckt, weil dieser einige seiner besten Gedichte, schwer von Tuberkulose gezeichnet, auf dem Sterbebett ersann.
Die Geschichten der Rezeption, die Bonné hier erzählt, sind untrennbar verbunden mit der Geschichte seiner eigenen Produktivität. Aus Leseerfahrung wird Lebenserfahrung, aus dichterischem Pilgertum neues Gedicht. Dazu gehört auch die Bereitschaft, laut "ich" zu sagen und an das eigene Werk zu glauben, wie Mirko Bonné es etwa in einem "unmöglichen Brief" an den verstorbenen Sänger Jeff Buckley tut. Auf Anhieb könnte dies für manche etwas anmaßend wirken. Bei Bonné aber ist dies durchaus angemessen.
JAN WIELE
Mirko Bonné: "Ausflug mit dem Zerberus". Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2010. 280 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nein, das ist keine Anmaßung. Erklärt zumindest Jan Wiele, wenn er uns die assoziativen Annäherungen Mirko Bonnes an Dichter wie Georg Trakl oder John Keats oder Walt Whitman vorstellt. Im Gegenteil, gerade weil Bonne seine Rezeptionsgeschichten, etwa auf Trakls Spuren in Tirol, zum Ausgangspunkt für eigene Lyrik nimmt und so eine für Wiele einzigartige Mischgattung zwischen Reportage, Lyrik und Erzählung schafft, sieht der Rezensent Bonne im Recht. Nicht nur lässt sich die Verzauberung durch Lyrik laut Wiele so nachempfinden. Bonnes Beobachtungen findet er zum Teil einfach glänzend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Unaufdringlich, gleichsam organisch gehen die einzelnen Motive in diesem Text ineinander über und ergeben einen geheimnisvollen Assoziationsteppich.« Helmut Böttiger / Süddeutsche Zeitung