Die deutschsprachige Popliteratur der Gegenwart kommt aus Belgrad. Dort machte Barbara Markovic, Germanistin, Clubberin und Thomas-Bernhard-Fan, an dessen klassischer Erzählung Gehen unlängst eine überraschende Entdeckung: Überführte sie einzelne Sätze nicht nur aus dem Deutschen ins Serbische, sondern zugleich aus der Entsetzlichkeit von Bernhards Wien in die Entsetzlichkeit des Belgrader Nachkriegs-Nachtlebens, fügten sie sich unversehens - so spielerisch wie gnadenlos - zu einem völlig neuen und doch völlig Bernhardschen Remix: Aus "Gehen" wird "Ausgehen", aus der Katastrophe im rustenschacherschen Hosenladen ein Social Suicide auf einem Plastikman-Konzert und aus der Irrenanstalt Steinhof der finale Rückzug vor die Glotze - Satz für Satz mit der kaskadenhaften Donnerwucht des Originals. Obwohl formal strengste Konzept- und Appropriationskunst, liest sich "Ausgehen" gleichzeitig so realistisch, daß man sich in Wien, Berlin oder New York genauso darin wiederfinden kann wie die Belgrader Szene jüngst bei Erscheinen des serbischen Texts, den Übersetzerin Mascha Dabic nun - quasi als Bumerang - in Bernhards Idiom zurückgeholt hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.2009Literatur II Gerade war man sehr erleichtert darüber, dass der Trend zur Thomas-Bernhard-Imitation in der jüngeren deutschen Literatur ein wenig abgeflaut ist, da kommt aus dem Osten schon die nächste Welle. Barbara Markovic, 28, aus Belgrad, hat die Bernhard-Imitation allerdings so extrem übertrieben, dass es sich eine Weile lang geradezu psychedelisch-großartig liest. Sie hat in seiner Erzählung "Gehen", die schon im Original ein wahnwitziger Wörtertanz um "diese schütteren Stellen" in "tschechischer Ausschussware" ist, nur wenige Worte vertauscht; die Namen der Protagonisten und die Orte. Aus Wien wird Belgrad, aus dem Hosenladen ein Club, aus "Gehen" wird "Ausgehen" (Suhrkamp, 12 Euro). "Du brauchst nur in Belgrad auszugehen, und die ganze Erbärmlichkeit und Armseligkeit des Belgrader Lebens stürzt über dich herein." Den Übertreibungskünstler so lange übertreiben, bis sich ein sanfter Wahn über die Gegenwart legt: "Das ist das Belgrader Zen." So endet das Buch.
vw
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
vw
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Oliver Jungen hat Barbi Markovics Text "Ausgehen" in genauestem Abgleich mit Thomas Bernhards Erzählung "Gehen" gelesen, die er hierin nicht nur gesampelt sieht, sondern mit ganz neuer Dringlichkeit versehen. Schwer zu sagen, ob "Ausgehen" auch ohne die Bernhard'sche Vorlage im Blick funktioniert, darüber sagt Jungen nichts. Er begeistert sich vielmehr dafür, wie Markovic den Text verarbeitet. Als chiastisch erklärt er uns das Vorgehen: Wo bei Bernhard Verzweiflung, Zorn, Menschenunglück, Geisteskälte und eine "schmutzige, stinkende Irrenhauswelt" stehen, herrschen bei Markovic die Langeweile des Clublebens, ein geordnetes Elternhaus, "matte Blödigkeit" und die "autoerotische Hochnäsigkeit Belgrads". Erschreckend nah ist ihm hierbei nicht nur Markovics Text gekommen, sondern auch Bernhards achtunddreißig Jahre alte "Hyperkritik".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Die aus Belgrad kommende und in Wien lebende Autorin Barbi Markovic remixt einen Text des klassischen österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard. Aus Gehen macht sie Ausgehen. ... Wie beim Original ist ein künstlerisch-philosophischer Text entstanden, mit einer inhaltlichen Verschiebung ins Warholeske. In Barbi Markovic' Ausgehen geht es gleichermaßen um Atmosphäre, um Mode und Stil wie um das Denken.« Christopher Strunz taz. die tageszeitung 20090818