Paula, nach langer Zeit als Aussteigerin in Australien zurück, pachtet einen Zeitungsladen in Berlin-Neukölln, der sich in dem dortigen speziellen Milieu großen Zuspruchs erfreut. Besonders bei den Bewohnern des Hauses, zu dem der Laden gehört: u.a. zwei erfolglose Maler, ein Küchenphilosoph, eine vegane Hebamme, eine perfekte Witwe, ein Psalme rezitierender Rentner und Jolande, eine füllige Metzgerstochter, die eine Suppenküche für Arme betreibt, in der aus der Bahn geworfene Jugendliche Kochen lernen können, und deren Mann sie notorisch betrügt.Diese filmreife Idylle fängt an zu bröckeln, als eine blonde Spanierin namens Dolores im Hinterhof tot unter der Feuerleiter liegt. Paula, die den Absturz zufällig beobachtet hat, wird sofort verdächtigt, andere bezichtigen sich gegenseitig so hemmungslos, dass der ermittelnde Kommissar von einer Sackgasse in die nächste taumelt.Als dann noch die schöne, aber taubstumme Polin, die den Malern als Modell und dem Mann der Metzgerstochter eher als Model diente, spurlos verschwindet, wird es richtig spannend. Wurde sie auch ermordet, und wenn ja, warum und wie und von wem? Hatte es vielleicht mit Drogen zu tun oder mit Eifersucht? Einer der Jugendlichen aus der Suppenküche, der sich Fixolotl Killover nennt, kommt der Wahrheit gefährlich nahe...
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2019Der Ausstand der alten Männer
Krimis in Kürze: Thomas Engström, Marion Schmid und Wallace Stroby
Eine Pause von Schwedenkrimis oder anderen nordischen Spannungsfacharbeitern, die kann man sich nach den letzten zwanzig Jahren schon mal gönnen. Der Rest der Welt ist ja auch ganz schön, besseres Wetter hat man anderswo ohnehin, Serienkiller, Forensiker und im Privatleben gebeutelte Ermittler gibt es auch überall. Und dann fällt einem ein Buch wie das von Thomas Engström in die Hände: "West of Liberty" (C. Bertelsmann, 320 S., br., 15,- [Euro]). Es spielt in Berlin, und man ist erstaunt, dass auch das einen nicht nach einer Weile nervt. Der Held, wenn man die Hauptfigur unbedingt so nennen möchte, ist ein ehemaliger Stasi-Mann, der schon vor dem Mauerfall als Doppelagent für die CIA tätig war. Er heißt Ludwig Licht, ist Mitte fünfzig, ziemlich schlecht in Form und hat sich von der CIA-Abfindung eine Kneipe in Kreuzberg gekauft.
Aber weil alte weiße Männer zusammenhalten müssen, hat der kurz vor der Pensionierung stehende CIA-Chef der amerikanischen Botschaft immer mal wieder Verwendung für Licht. Diesen Ausstand alter Männer hat Engström mit einem guten Gespür für einen präzisen Plot, pointierte Sprüche und Berliner Eigenheiten in Szene gesetzt. Abgesehen von Lichts finanziellen Problemen mit einem moldawischen Sexclub-Besitzer geht es um einen jungen deutschen Whistleblower, dessen Ähnlichkeit mit Julien Assange alles andere als ein Zufall ist. Und das Berliner Versteck dieses Mannes ist ein gut gesetzter politischer Reiz, der die Story auf Touren bringt, bis man am Ende begriffen hat, dass Pläne vor allem dazu da sind, nicht aufzugehen.
Engström hat bereits drei weitere Licht-Romane veröffentlicht, die auf eine Übersetzung warten. "West of Liberty" macht Lust darauf. Das Buch ist die zuverlässige Arbeit eines Spannungsingenieurs, der weiß, dass es bei einem Produkt nicht allein auf das reibungslose Funktionieren ankommt, sondern auch aufs Design.
Ein wenig ruhiger geht der Puls der Handlung bei Marion Schmid, die mit "Ausgekocht" (Transit, 224 S., geb., 20,- [Euro]) ihren ersten Kriminalroman veröffentlicht hat. Dafür durchzieht ein ausgeprägter Sinn fürs Makabre die Story. Auch hier ist Berlin der Schauplatz. Ein Haus in Neukölln, in einem Kiez, in dem die Gentrifizierung voranschreitet. Eine nicht mehr ganz junge Frau, die nach vielen Jahren in Australien zurückgekehrt ist und einen Zeitungsladen gepachtet hat, ist die Ich-Erzählerin.
Diese Paula ist umgeben von einem Milieu, das weniger Bohème ist, als es selber von sich glaubt. Der Hausbesitzer mit Villa im Hof geriert sich als Wohltäter, die Mieter behandelt er wie Freunde, seine Lebensgefährtin betreibt eine Suppenküche mit schwererziehbaren Jugendlichen für örtliche Obdachlose. Erst stirbt ein dicker alter Kater, und dann fällt eine schlanke junge Frau aus dem Fenster. Marion Schmid hat Ironie und schwarzen Humor in der richtigen Dosierung, um nicht in die fade Milieu-Parodie abzugleiten. Sie lässt Eifersucht, Neid, Intrigen und andere Kleinigkeiten, die zum Wesenskern jeder Hausgemeinschaft gehören, geschickt für ihre Zwecke arbeiten - und überrascht mit einem Schluss, der zum Doppelsinn des Titels passt.
Ab und zu freut man sich als Leser aber nicht nur an angenehmen Überraschungen. Es hat auch etwas Beruhigendes, wenn Erwartungen erfüllt werden. Dass "Der Teufel will mehr" (Pendragon, 320 S., br., 17,- [Euro]) ein Roman ist, auf den man sich gefreut hat, liegt natürlich am Autor und dessen Protagonistin. Wallace Stroby und Crissa Stone, das ist ein Duo, das einen auch beim vierten Auftritt noch begeistern kann: der Mann, der so lässige, unangestrengte Dialoge schreibt, eine so schlanke Prosa, und die Meisterdiebin, die nicht wahllos raubt, schießt und sich sonst um nichts kümmert.
Crissa Stone ist eine der vitalsten und überzeugendsten Krimifiguren der letzten Jahre, weil sie einen moralischen Kompass hat, also ein Gewissen und ein professionelles Verantwortungsgefühl - und dazu ein paar private Bindungen, aus denen sich so etwas wie das Ethos einer Diebin herausgebildet hat. Sie ist, und ein größeres Lob kann man kaum formulieren, eine Figur, wie sie einem sonst nur in den Romanen von Elmore Leonard begegnet ist. Aber weil auch Crissa Stone immer mal wieder Geld braucht, weil Moral ohne materielle Basis im Kriminalroman eine Abstraktion bleiben muss, lässt sie sich darauf ein, für einen zwielichtigen Kunstsammler einen LKW voller geplünderter Kunstschätze zu stehlen, bevor diese dem Herkunftsland Irak rückerstattet werden.
An ihrem Perfektionismus liegt es nicht, sondern an der Gier des Auftraggebers, dass heftige Komplikationen beim Raub in der Wüste auftreten, die selbst Crissas untrüglichen Sinn für das Unerwartete strapazieren. Wir werden Crissa Stone künftig sehr vermissen.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Thomas Engström, Marion Schmid und Wallace Stroby
Eine Pause von Schwedenkrimis oder anderen nordischen Spannungsfacharbeitern, die kann man sich nach den letzten zwanzig Jahren schon mal gönnen. Der Rest der Welt ist ja auch ganz schön, besseres Wetter hat man anderswo ohnehin, Serienkiller, Forensiker und im Privatleben gebeutelte Ermittler gibt es auch überall. Und dann fällt einem ein Buch wie das von Thomas Engström in die Hände: "West of Liberty" (C. Bertelsmann, 320 S., br., 15,- [Euro]). Es spielt in Berlin, und man ist erstaunt, dass auch das einen nicht nach einer Weile nervt. Der Held, wenn man die Hauptfigur unbedingt so nennen möchte, ist ein ehemaliger Stasi-Mann, der schon vor dem Mauerfall als Doppelagent für die CIA tätig war. Er heißt Ludwig Licht, ist Mitte fünfzig, ziemlich schlecht in Form und hat sich von der CIA-Abfindung eine Kneipe in Kreuzberg gekauft.
Aber weil alte weiße Männer zusammenhalten müssen, hat der kurz vor der Pensionierung stehende CIA-Chef der amerikanischen Botschaft immer mal wieder Verwendung für Licht. Diesen Ausstand alter Männer hat Engström mit einem guten Gespür für einen präzisen Plot, pointierte Sprüche und Berliner Eigenheiten in Szene gesetzt. Abgesehen von Lichts finanziellen Problemen mit einem moldawischen Sexclub-Besitzer geht es um einen jungen deutschen Whistleblower, dessen Ähnlichkeit mit Julien Assange alles andere als ein Zufall ist. Und das Berliner Versteck dieses Mannes ist ein gut gesetzter politischer Reiz, der die Story auf Touren bringt, bis man am Ende begriffen hat, dass Pläne vor allem dazu da sind, nicht aufzugehen.
Engström hat bereits drei weitere Licht-Romane veröffentlicht, die auf eine Übersetzung warten. "West of Liberty" macht Lust darauf. Das Buch ist die zuverlässige Arbeit eines Spannungsingenieurs, der weiß, dass es bei einem Produkt nicht allein auf das reibungslose Funktionieren ankommt, sondern auch aufs Design.
Ein wenig ruhiger geht der Puls der Handlung bei Marion Schmid, die mit "Ausgekocht" (Transit, 224 S., geb., 20,- [Euro]) ihren ersten Kriminalroman veröffentlicht hat. Dafür durchzieht ein ausgeprägter Sinn fürs Makabre die Story. Auch hier ist Berlin der Schauplatz. Ein Haus in Neukölln, in einem Kiez, in dem die Gentrifizierung voranschreitet. Eine nicht mehr ganz junge Frau, die nach vielen Jahren in Australien zurückgekehrt ist und einen Zeitungsladen gepachtet hat, ist die Ich-Erzählerin.
Diese Paula ist umgeben von einem Milieu, das weniger Bohème ist, als es selber von sich glaubt. Der Hausbesitzer mit Villa im Hof geriert sich als Wohltäter, die Mieter behandelt er wie Freunde, seine Lebensgefährtin betreibt eine Suppenküche mit schwererziehbaren Jugendlichen für örtliche Obdachlose. Erst stirbt ein dicker alter Kater, und dann fällt eine schlanke junge Frau aus dem Fenster. Marion Schmid hat Ironie und schwarzen Humor in der richtigen Dosierung, um nicht in die fade Milieu-Parodie abzugleiten. Sie lässt Eifersucht, Neid, Intrigen und andere Kleinigkeiten, die zum Wesenskern jeder Hausgemeinschaft gehören, geschickt für ihre Zwecke arbeiten - und überrascht mit einem Schluss, der zum Doppelsinn des Titels passt.
Ab und zu freut man sich als Leser aber nicht nur an angenehmen Überraschungen. Es hat auch etwas Beruhigendes, wenn Erwartungen erfüllt werden. Dass "Der Teufel will mehr" (Pendragon, 320 S., br., 17,- [Euro]) ein Roman ist, auf den man sich gefreut hat, liegt natürlich am Autor und dessen Protagonistin. Wallace Stroby und Crissa Stone, das ist ein Duo, das einen auch beim vierten Auftritt noch begeistern kann: der Mann, der so lässige, unangestrengte Dialoge schreibt, eine so schlanke Prosa, und die Meisterdiebin, die nicht wahllos raubt, schießt und sich sonst um nichts kümmert.
Crissa Stone ist eine der vitalsten und überzeugendsten Krimifiguren der letzten Jahre, weil sie einen moralischen Kompass hat, also ein Gewissen und ein professionelles Verantwortungsgefühl - und dazu ein paar private Bindungen, aus denen sich so etwas wie das Ethos einer Diebin herausgebildet hat. Sie ist, und ein größeres Lob kann man kaum formulieren, eine Figur, wie sie einem sonst nur in den Romanen von Elmore Leonard begegnet ist. Aber weil auch Crissa Stone immer mal wieder Geld braucht, weil Moral ohne materielle Basis im Kriminalroman eine Abstraktion bleiben muss, lässt sie sich darauf ein, für einen zwielichtigen Kunstsammler einen LKW voller geplünderter Kunstschätze zu stehlen, bevor diese dem Herkunftsland Irak rückerstattet werden.
An ihrem Perfektionismus liegt es nicht, sondern an der Gier des Auftraggebers, dass heftige Komplikationen beim Raub in der Wüste auftreten, die selbst Crissas untrüglichen Sinn für das Unerwartete strapazieren. Wir werden Crissa Stone künftig sehr vermissen.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main