Adonis ist von abendländischer wie von orientalischer Literatur geprägt. Gerade diese Polyphonie ist es, die Lesern verschiedener Herkunft einen Zugang zu seinem Werk ermöglicht. Er bezieht sein großes internationales Renommee nicht zuletzt daher, daß seine Gedichte auch in der Übersetzung Wesentliches von ihrem Reiz bewahren. Mit einer für zeitgenössische Leser schockierenden Offenheit wird den traditionellen islamischen Herrschaftsformen ein Individuum gegenübergestellt, das sich über alle Formen der Gemeinschaft hinwegsetzt. "Die islamische Kultur braucht einen Nietzsche, der ebenso rücksichtslos und rigoros die erstarrten Prinzipien der arabisch-islamischen Kultur zerstört und neue Prinzipien sichtbar macht für eine spirituelle und intellektuelle Renaissance" (Adonis in einem Interview). Unter Berufung auf die Konzeptionen Rimbauds, Mallarmes und der Surrealisten spricht Adonis der Dichtung die Fähigkeit zu, einen essentielleren Zugriff auf das Sein zu haben als die gewöhnliche Sprache.