Marktplatzangebote
20 Angebote ab € 2,99 €
  • Gebundenes Buch

Die Welt seiner Kindheit ist das Thema des großen irischen Lyrikers Seamus Heaney: Irland, die Farben und Gerüche seiner Landschaft, der Wind und das Meer, das harte Leben der Torfstecher und Bauern. Die vorliegende Auswahl seiner Gedichte repräsentiert eines der bedeutendsten poetischen Werke der anglo-amerikanischen Literatur.

Produktbeschreibung
Die Welt seiner Kindheit ist das Thema des großen irischen Lyrikers Seamus Heaney: Irland, die Farben und Gerüche seiner Landschaft, der Wind und das Meer, das harte Leben der Torfstecher und Bauern. Die vorliegende Auswahl seiner Gedichte repräsentiert eines der bedeutendsten poetischen Werke der anglo-amerikanischen Literatur.
Autorenporträt
Seamus Heaney, 1939 in Nordirland geboren,veröffentlichte schon während der Schulzeit eigene Gedichte. Mit einem Stipendium studierte er Anglistik in Belfast, danach arbeitete er lange als Lehrer und Dozent an verschiedenen Universitäten. Von 1989 bis 1994 hatte er den Lehrstuhl für Poetik in Oxford inne. 1995 wurde ihm für sein dichterisches Werk der Nobelpreis für Literatur verliehen. Seamus Heaney starb im August 2013 in Dublin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.1995

Der Dichter des vergangenen Torfes
Sänger des Gewesenen: Seamus Heaneys "Ausgewählte Gedichte" / Von Martin Mosebach

Seamus Heaney hat in einem seiner frühen Gedichte - aus dem Band "Tod eines Naturforschers" von 1966 - das poetische Programm entwickelt, dem er seitdem treu geblieben ist. Warum er Gedichte schreibt, was er in seinen Gedichten erzählt, schließlich welche Mittel er dabei anwendet, das ist bereits in "Digging" einprägsam und in einer für moderne Lyriker seltenen Klarheit zu finden, auch wenn dieser gebildete und empfindliche Dichter in den letzten dreißig Jahren unablässig an seinen Ausdrucksmöglichkeiten zu feilen und sie zu erweitern gesucht hat.

Vom Graben ist die Rede in "Digging", vom Umgraben des kleinbäuerlichen Kartoffelfeldes und vom Graben der Torfstecher in den weiten Moorlandschaften der Grafschaft Derry in Nordirland. Heaney stammt von einem kleinen Bauernhof; er beschreibt eine Welt, die er genau kennt. Das Graben ist eine Kunst. Wie Heaneys Vater den Spaten gebraucht, wie er ihn in die sandige Erde stößt, wie kraftvoll und ökonomisch er arbeitet, wird ernsthaft und unsentimental berichtet, und auch die Frucht dieser Mühen wird erwähnt: die freigelegten Kartoffeln, die die Kinder aufsammeln und deren "kühle Festigkeit" sie lieben.

Beim Großvater klingt schon ein leiser Bardenton mit: Er "stach mehr Torf an einem Tag / als jeder andere in Toner's Moor". Der schwarze Boden erscheint dem Leser noch schwärzer, wenn er von der Milchflasche liest, aus der der Großvater bei der Arbeit trank. Mit dem Spaten hat er die Grassoden sauber zugeschnitten und ist darunter immer tiefer bis zu dem guten Torf gedrungen. Eine reinliche Herbststimmung aus frischer Feuchtigkeit und den guten Düften von Humus und Kartoffeln erfüllt das Gedicht. Eine nostalgische Stimmung: Der Dichter weiß, daß er nicht mehr in der unendlichen Reihe steht, deren letzte Glieder sein Vater und sein Großvater waren - "doch um ein Mann wie sie zu sein, fehlt mir der Spaten". Statt dessen hält er zwischen Daumen und Zeigefinger seinen dicken Füllfederhalter - "damit werde ich graben".

Ein moderner Lyriker, der seinen Vater liebt - das ist schon ungewöhnlich genug. In seinen Vorfahren liebt Heaney zugleich sein Land, dessen Kultur in den Jahrhunderten der Unterdrückung nur in den Lebensgewohnheiten der kleinen Leute und der katholischen Religion fortlebte, und deshalb fällt der Blick zurück hier in eine Landschaft von geradezu mythischer Gleichförmigkeit. Zwischen dem torfstechenden Großvater und den mumifizierten Moorleichen aus der Prähistorie liegt kaum ein Abstand, sie sind fast Zeitgenossen, während zwischen dem Dichter und dem Großvater schon ein tiefer Graben klafft. Vergil stattet seinen Helden Aeneas, der den alten Vater aus dem brennenden Troja trägt und der sein in die Zukunft weisendes Werk der neuen Staatsgründung im steten Andenken an die verlorene Heimat vollbringt, mit dem Epitheton "pius" aus, das mit "fromm" nur unzureichend übersetzt wird. Ein religiöser Respekt vor dem Gewesenen ist diese "pietas" des Aeneas, und man geht gewiß nicht in die falsche Richtung, wenn man bei Seamus Heaney eine ähnliche Triebfeder vermutet, die ihn bei seiner Arbeit bewegt.

Er ist ein Sänger des Gewesenen: des verflossenen Lebens- und Liebesmoments, der verlorenen Religion, der untergegangenen Bilder. Was es an abstrakten Impulsen für die Dichtung unseres Jahrhunderts gegeben hat, berührt ihn wohl nur wenig. Das Absurde, das Spielerische, das Manieristische, das Formalistische sind ihm fremd geblieben. Er erfüllt eine öffentliche Aufgabe. Er errichtet Gedenksteine für sein kleines Volk mit seiner fast unzählbar großen Irredenta in Amerika und Australien. Das sind keine Balladen, aber es sind Momentaufnahmen, die wie die Schnappschüsse eines Cartier-Bresson Geschichten erzählen, geladen mit Details, wie ein brillanter Novellist sie entdeckt.

In "Digging" sagt Seamus Heaney aber auch, wie er seine Aufgabe angehen will. Vorbilder des Künstlers sind seine hart und nach allen Regeln ihrer Kunst arbeitenden Vorfahren. Auch er will "graben", um zu dem "guten Torf" und den "kühlen Kartoffeln" vorzudringen. Die Bilder, die er in sich trägt, müssen genau, ohne Ballast und ohne Verlust, in den objektiven Raum der Sprache gelangen, um als reife Früchte und Muttererde zu erscheinen.

Seamus Heaney ist als Lyriker Handwerker, und das ist in dieser vielfach verkommenen Disziplin ein hohes Lob. Der Bauernsohn ist ein Gelehrter geworden, weit entfernt von jeder formalen Naivität. Er kennt das Mißtrauen der Moderne gegen die makellos geschlossene Form, und er weiß, daß sich aus diesem Mißtrauen längst Konventionen entwickelt haben, denen man handwerklich entsprechen kann. Zugleich weiß er, daß Lyrik ohne Form, ohne nachprüfbare Kompositionsprinzipien ebensowenig zu bestehen vermag wie ein Stück Musik. Und so hat er denn eine Technik entwickelt, die ihm erlaubt, zwischen liedhaftem Gesang und prosaartigem Erzählen überaus raffiniert hin und her zu wechseln.

Eine englische poetische Tradition ist die Assonanz, der gestörte Reim, der nur im Gleichlaut der Vokale, nicht aber der Konsonanten besteht; auch gestörte Reime aus orthographisch gleich geschriebenen, aber unterschiedlich ausgesprochenen Wörtern gehören in dieses Gebiet. Schon Shakespeare reimte "love" auf "prove". Wenn die moderne Lyrik eine Skepsis gegenüber der machtvollen Magie des Reims pflegt, so räumt Seamus Heaney ihr das Recht auf diesen etwas prätentiösen Geschmack ein, aber er weigert sich, deshalb auf dieses in den Ohren des westlichen und nördlichen Europäers so wirkungsvolle Mittel völlig zu verzichten. Immer wieder weckt er die Erwartung, daß nun ein Reim folgen werde, und er befriedigt sie oft genug, um das Ausbleiben des Reims dann als fruchtbare Irritation nutzen zu können.

Wie altertümliche Meilensteine, oft genug so verwittert, daß man die Aufschrift nicht mehr lesen kann, stehen die Reime und die halben Reime seiner geliebten Assonanzen an der Wegstrecke seiner Gedichterzählungen und geben auch dem Prosaredeschwall etwas von ihrem Rhythmus mit. Bei "Digging" ist dieses Zusammenspiel der Formen so glänzend geglückt, daß im Vers das Wort "rhythm" genau dort auftaucht, wo das Gedicht seinen spezifisch lyrischen Rhythmus verliert und prosaisch wird. Und manchmal stößt man auf derart eklatante Fälle von "Reimverweigerung", um versuchsweise einen neuen Terminus einzuführen, daß man sich an den tückischen Limerick erinnert fühlt, der mit den Versen beginnt: "There was a young lady from Lee / who was stung in the nose by a wasp", von der Wespe und nicht von der "bee", der Biene, die sich doch so schön gereimt hätte. Da blitzt es vielleicht doch hervor, das Teilhaben an der großen Nonsense-Tradition, die diesem melancholischen, grüblerischen Dichter sonst fern zu sein scheint.

Eines der schönsten Erlebnisse beim Lesen von Lyrik ist die Beobachtung, wie meisterliches Handwerk im Umgang mit der Form, aber auch mit dem Stoff des Gedichts eine Wirklichkeit hervorbringt, die ganz frei ist von dem, was der Dichter glaubt und denkt, und die ohne ihn und womöglich viel stärker als seine Privatüberzeugungen zu existieren vermag. Auf solche überaus lebenskräftigen Kunstwirklichkeiten stößt man immer wieder, wenn man Heaney auf seinem Weg durch die letzten dreißig Jahre begleitet. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel hierfür ist das Gedicht "Limbo" aus der Sammlung "Überwintern" von 1972. Der Begriff "Limbus" stammt aus der scholastischen Philosophie und bezeichnet dort eine der Hilfskonstruktionen im geschlossenen Dom der thomistischen Theologie: der Aufenthaltsort der ungetauft gestorbenen Kinder, die wegen ihrer Erbsündlichkeit nicht erlöst werden, wegen ihrer sonstigen Schuldlosigkeit aber auch nicht bestraft werden sollen, ein Ort sehnsuchtsloser Zufriedenheit ohne die Anschauung Gottes wird Limbus genannt. Als Ire ist Heaney Katholik, obwohl er der Kirche fernstehen mag; die mittelalterliche Limbus-Theorie wird ihm vermutlich niemals viel bedeutet haben.

Aber er hat ein Gedicht daraus gemacht, und seitdem gibt es den Limbus wieder als eine quälende Vorstellung, die der Leser nicht mehr abweisen kann. Ein Kindsmord wird geschildert: Bei Ballyshannon ging den Fischern "letzte Nacht ein Kind ins Netz". Ein illegitimes Kleines, ins Wasser zurückgeworfen wie ein zu kleiner Fisch. Die unglückliche Mutter hat es ertränkt. Jetzt wird das Kind zu einem Fisch mit scharfen Flossen, der die Hände der Mutter zerfleischt, das Meer zur "fernen salzigen Zone", in der ein "kaltes Glitzern von Seelen" wohnt, und die wunden Hände der Mutter werden zu den wunden Händen Christi, die aus dem Limbus niemanden herausfischen können. Ein theologisches Konstrukt ist im Gedicht, man möchte sagen durch die Technik eines Gedichts, zu neuem Leben erwacht.

Ein knappes Epigramm (For Bernard and Jane McCabe) aus der "Hagebuttenlaterne" beleuchtet noch einmal Heaneys Methode, seine Motive miteinander zu verschmelzen. Das wichtige Mittel des Vergleichs, das die Sprache des Gedichts erst wirklich bildkräftig macht, schwebt stets in der Gefahr, nicht fest genug im Text verankert zu sein, beliebig oder bloß schmückend zu wirken; Vergleich und Verglichenes müssen deshalb denselben Wirklichkeitsgrad erhalten, sie müssen sogar die Plätze tauschen können. Das Epigramm spricht von einem ausgetrockneten Flußbett, das mit Blättern halb gefüllt ist; nun spielt der Wind in dem Laub und erzeugt ein Geräusch wie ein Fluß, nein: wie ein Fluß in den Bäumen - der Vergleich führt nicht zu einer größeren Sichtbarkeit des Verglichenen, sondern er schafft ein neues Bild, eine Phantasieschöpfung, die aus der methodischen Verknüpfung vorgefundener Bilder und Wörter hervorgegangen ist. Vielleicht würde Seamus Heaney zustimmen, daß in diesem Ergebnis die eigentliche Berechtigung des Gedichtemachens liegt: die Behandlung von Wörtern, Bildern und Geschichten nach genauen Regeln, um das auch dem Dichter noch unbekannte in ihnen enthaltene phantastische Potential freizusetzen.

Auf welche Weise sollen wir die Gedichte von Seamus Heaney nun zu uns nehmen? Man ahnt wahrscheinlich schon, wie schwer es sein muß, diese Verse zu übersetzen. Eine wichtige und gute Erfahrung, die der Rezensent gemacht hat, als er sich mit der im Hanser Verlag erschienenen Auswahl von Heaney-Gedichten beschäftigte, sei nicht verschwiegen. Wann immer ein Bild verkehrt, ein Vergleich unstimmig, ein Wort fatal erschien, ergab der Blick ins Original, daß Heaneys Begriff von Handwerklichkeit ihm falsche Beobachtungen, willkürliche "pseudorätselhafte Kombinationen" und die jeweilige Sprachebene verletzende Ausdrücke verbietet. Lyrischer Irrationalismus, der philosophischen Tiefgang durch nicht zu entschlüsselnde Assoziationen erzeugen möchte, ist ihm fremd. Seine Sprache ist gewiß nicht immer schön, aber sie ist frei von Gewaltsamkeiten, Gepflegtheiten, Manierismen. Um ein Alltagsparlando zu erzeugen, muß Heaney nicht flach und nicht vulgär werden. Es ist vollkommen unvorstellbar, daß er ein derart widerwärtiges Verwaltungswort wie "entsorgt" - so hat man sich für die Übersetzung des Wortes "dumped" (weggeworfen) entschieden - in einem Gedicht geduldet hätte.

An vielen Stellen scheint Heaney den Übersetzern zu primitiv zu sein. Im Gedicht über das Alphabet wird über den Buchstaben A gesagt: "The letter some call ah, some call ay" - auf deutsch: "Ah, so seine Lautgestaltung." Der Titel einer Sammlung heißt "Seeing things" - auf deutsch: "Gesichtetes", als seien Sehen und Sichten nicht verschiedene Tätigkeiten. Gar nicht erst erwähnt werden können die vielen verpaßten Möglichkeiten, einen Doppelsinn zu berücksichtigen, die Gedichtsstruktur wenigstens ahnungsweise wiederzugeben, den Sprachgestus andeutungsweise nachzuahmen. Reizbare Leser, die gerade bei Lyrik durch ein einziges falsches Wort dazu gebracht werden, das Buch wieder zuzuschlagen, werden mit dieser Übersetzung nichts anfangen können.

Aber was wäre gewonnen, wenn die zahlreichen Fehler und Entstellungen halbwegs repariert würden? Dann wäre von dem eigentümlichen Reiz der Dichtung Heaneys immer noch nicht viel zu spüren. Lyrik besteht eben nicht aus Inhalten, die leicht übertragen werden können, sondern aus Formen, die unlösbar mit der Sprache verbunden sind. Der einzige Ausweg aus dieser Lage sind zweisprachige Ausgaben. In ihnen werden auch unbeholfene Übersetzungen plötzlich brauchbar, denn sie wollen nun ja nicht mehr die Sache selber sein, sondern dienen nur noch der Bequemlichkeit des Lesers, der, während er spielerisch zwischen den beiden Sprachen hin und her gleitet, dazu verführt wird, selbst nach noch schöneren Lösungen zu suchen. In der Gestalt von Seamus Heaney hat das Nobelpreis-Komitee einen Künstler geehrt, der sich der Nachprüfung nicht entzieht und der zu den für die künstlerische Entwicklung hochbedeutenden Gestalten gehört, die den Versuch wagen, aus den Subjektivismen, Experimenten und Originalitäten eines umstürzlerischen Jahrhunderts wieder ein solides Handwerk zu schmieden. Auch die Deutschen sollen ihn kennenlernen dürfen.

Seamus Heaney: "Ausgewählte Gedichte". Aus dem Englischen übersetzt von Giovanni Bandini und Ditte König. Carl Hanser Verlag, München 1995. 160 S., geb., 36,- DM.

Seamus Heaney: "New Selected Poems 1966-1987". Faber and Faber, London 1990. 245 S., br., 6,99 englische Pfund.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr