Zum 200. Todestag und erstmals seit 1811 ist mit diesem Band eine umfassende und kommentierte Auswahl des Werks von Johann Wilhelm Ludwig Gleim greifbar.Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) gehört zu den bedeutenden Autoren der sogenannten Vorklassik. Vor allem mit seinen anakreontischen Gedichten hat er einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der deutschen Lyrik geleistet, aber auch durch seine Fabeln und Romanzen, seine Sinngedichte und besonders seine Kriegslieder eines preußischen Grenadiers hat er anregend auf die Literatur seiner Zeit gewirkt. Anlässlich des 200. Todestages am 18. Februar 2003 erscheint diese Auswahlausgabe. Sie bietet einen repräsentativen Überblick über das umfangreiche Gesamtwerk Gleims. Nachwort und Kommentar geben die notwendigen Informationen zu den Texten, stellen wichtige Bezüge her und führen ein in Leben und Werk des Autors. Die Texte werden in der Originalorthographie wiedergegeben. Als Textgrundlage dienen die Erstdrucke bzw. Erstausgaben, in Einzelfällen, wie beim Briefwechsel zwischen Gleim und Gottfried August Bürger, wird auch auf die Handschriften zurückgegriffen. Das vorliegende Werk rückt Gleim, der heute insbesondere als Förderer junger Autoren, Stifter des »Freundschaftstempels« und Briefeschreiber bekannt ist, wieder als Poeten in unser literarisches Bewußtsein.»Um zehne schlief ich ein, um dreie wacht' ich auf,In langen und in kurzen Nächten,Und sang ein Lied, und las in guten und in schlechtenAutoren meiner Zeit; das ist mein Lebenslauf!«
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.02.2003Seht, jetzt weicht die leichte Seide
Wein, Weiber, Krieg: Johann Wilhelm Ludwig Gleims irdisches Vergnügen in Halberstadt
Alle Anakreontiker werden alt, so reich an Jahren wie ihr Lehrer, der ionische Dichter Anakreon, der erst mit 85 dem Kern einer Weintraube erlegen sein soll. Als Johann Wilhelm Ludwig Gleim 83 war, besuchte ihn in seinem Haus in Halberstadt der 23jährige Heinrich von Kleist. Er traf „einen der rührendsten u interessantesten Greise”. Gleim führte auch diesen Besucher, wie hunderte zuvor, in „ein Cabinet, geschmückt mit Gemälden seiner Freunde. Da ist keiner, sagte er, der nicht ein schönes Werk schrieb, oder eine große That begieng.”
Weil der junge Mann aus Frankfurt an der Oder ein Kleist war, kam „Vater Gleim” ins Erzählen. Er erinnerte an seinen Freund Ewald von Kleist, den er um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in der „prächtigen Wüste von Potsdam” besucht hatte. Im Duell verwundet lag Ewald von Kleist krank im Bett, Gleim war damals Regiments-Quartiermeister, besuchte ihn und las ihm eines seiner scherzhaften Gedichte im Geschmack des Anakreon vor: Tod, kannst du dich auch verlieben? / Warum holst du denn mein Mädchen? / Kannst du nicht die Mutter holen? / Denn die sieht dir doch noch ähnlich. / Frische rosenrote Wangen, / Die mein Wunsch so schön gefärbet, / Blühen nicht vor blasse Knochen, / Blühen nicht vor deine Lippen. / Tod! was wilst du mit dem Mädchen? / Mit den Zähnen ohne Lippen / Kannst du es ja doch nicht küssen.
Die Vorstellung vom küssenden Gerippes erheiterte Ewald von Kleist so heftig, dass von der Erschütterung der Wundverband an der Hand absprang. Eilig wurde ein Feldscher gerufen. Er sah, dass ein kalter Brand im Entstehen war. Am kommenden Tage schon wäre es zu spät gewesen. Seine verbleibenden Jahre widmete Ewald von Kleist der Poesie, die ihm das Leben gerettet hatte.
Wenn überhaupt, ist Gleim mit solchen Anekdoten und seiner einzigartigen Freundschaftsgalerie in Erinnerung geblieben. Literaturhistoriker kennen seinen „Versuch in schertzhaften Liedern”, mit dem 1744 die Mode der anakreontischen Dichtung, der Gesang von Wein und Liebe, von rosenreichen Hecken, von Frühling und Tänzen, Liebe und Wein, auch in Deutschland endgültig heimisch wurde. Sie kennen die „Preussischen Kriegslieder in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem Grenadier”. Krieg ist mein Lied! Weil alle Welt / Krieg will, so sei es Krieg! Die patriotische Reimerei scheint heute schwer genießbar, und Gleim hat die Verehrung des Scheusals von Sanssouci in der Tat bis zum Exzess getrieben. Im fingierten Ton des Volkes werden hier Ereignisse der Zeit aus der Sicht eines einfachen Mannes kommentiert. Eine Strophe wie diese hat immerhin Lessing bewundert: Und böt uns in der achten Schlacht / Franzoß und Russe Trutz, / So lachten wir doch ihrer Macht, / Denn Gott ist unser Schutz.
Unbeschwert aufgeklärt
Im Wallstein-Verlag hat Walter Hettche jetzt, zum 200. Todestag des Dichters, ausgewählte Werke Gleims herausgegeben und sie äußerst knapp kommentiert. Man braucht keine Gelehrsamkeit, um an den anakreontischen Liedern noch Freude zu haben. Wie in den reimlosen Kurzzeilen über den Westwind Zefir die vernünftige Leidenschaft des Enthüllens besungen wird, muss uns frischer erscheinen als noch vor 100 Jahren, weil wir die Muster fast vergessen haben, die in diesen lichten Gedichten, in einer Literatur ohne Originalitätsgebot, variiert werden. Seht, dort schwärmt er um das Mädchen! / Seht, der Zefir jagt das Mädchen! / Seht, jetzt schwärmt er um den Busen! / Seht, jetzt weicht die leichte Seide! / Seht, jetzt zeigt er uns den Busen. /Kommt, wir wollen näher laufen, / Denn er soll uns noch was zeigen!
Das alles kann man jetzt in einer verlässlichen Ausgabe nachlesen, aber die Größe Gleims liegt gewiss nicht in seinen Versen. Die Gedichte Friedrich von Hagedorns wirken in ihrer Natürlichkeit virtuoser, die Spannkraft der Verse Ewald von Kleists erreicht Gleim so wenig wie die metrische Meisterschaft Klopstocks. Vieles aus seiner Feder ist lyrische Meterware. Aber er war mit allen befreundet. Groß ist Gleim als Mann der Freundschaft, als Förderer Ewald von Kleists, Gottfried August Bürgers, Wilhelm Heinses, als einer, den man gern besuchte, der tausende Briefe schrieb und empfing, mit Geld und Kontakten half. Seine Dichtung hat in diesem Netz der Freundschaft ihren Ort. Mit den Briefen an und von Bürger kommt diese, die wichtigste Seite etwas kurz in der Ausgabe.
Als Sohn eines Steuereintreibers 1719 in Ermsleben geboren, studierte Gleim in Halle, wo er mit den avancierten Denkern der deutschen Aufklärung bekannt wurde. Anders als ein unausrottbares Vorurteil es will, waren diese nicht trocken intellektualistische Federfüchse, sondern um die Aufwertung der Sinnlichkeit bemüht, um Scherz, Witz und Lebensfreude. Diesem Programm waren auch die anakreontische Lieder verpflichtet, die Schäferdichtungen, all die natürlich scheinen wollenden Verse über grundlegende Fragen wie die, ob man es mit dem Wein oder mit den Mädchen halten solle, wie man die Schüchternheit überwindet, nicht länger „blöde” agiert. „Unbeschwert aufgeklärt” hat man das einmal genannt. Eben diese Unbeschwertheit, das programmatisch Unangestrengte, Leichte widerspricht dem hohen, emphatischen Begriff von Lyrik, der – ein Leichenfeld schöner Verse hinterlassend – noch zu Gleims Lebzeiten der herrschende wurde.
Im Leben hatte Gleim einiges Glück, 1747 ging er als Sekretär des Domkapitels nach Halberstadt, wo er für Rechnungswesen, Stipendienvergabe, Vermögensverwaltung und die Leitung der Sitzungen des Generalkapitels zuständig war. Nach einer unglücklich endenden Verlobung blieb der Glückliche zeitlebens Junggeselle. Dafür empfing er etwa von Ewald Kleist einen der schönsten deutschen Liebesbriefe. Die Kraft, sich in der Prosa des Klein stadtlebens zu behaupten, kam aus der Fiktion, der Gegenwelt mit ihren reizenden Mädchen, unschuldigen Schäfern und nie mangelndem Wein, aus dem ungebrochenen Patriotismus und einer selbstbewussten, individuellen Religiosität.
Zurecht weist Hettche darauf hin, dass Gleim früh Romanzen und Sonette schrieb, die Chevy-Chase-Strophe nutzte. Als diese Formen Mode wurden, war Gleim zwar omnipräsent in Almanachen, aber als Dichter eine überholte Figur. Der junge Heinrich von Kleist hat damals in Halberstadt die Pointe des Gleimschen Gedichts an den Tod leicht verändert. „Was willst Du mit ihr machen? Kannst du doch mit Zähnen ohne Lippen, wohl die Mädchen beißen, doch nicht küssen.” Das ist die Vorform des tödlichen Reims, dem wenig später Achill und Penthesilea zum Opfer fallen werden – in einer Dichtung, die von den letzten Dingen handelt und selber höchste Bedeutung beansprucht. Verglichen mit ihr war Gleim kein Vorläufer – der fatale Hang zum Sonett hätte sich gewiss auch ohne ihn durchgesetzt –, sondern Repräsentant einer geselligen, dem Nutzen und dem Vergnügen verpflichteten Nebenstundenpoesie.
JENS BISKY
JOHANN WILHELM LUDWIG GLEIM: Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Walter Hettche. Wallstein Verlag, Göttingen 2003. 768 Seiten, 29 Euro.
Gleim im Jahre 1771, Kupferstich von G.M. Meisel
Foto:
Gleimhaus
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Wein, Weiber, Krieg: Johann Wilhelm Ludwig Gleims irdisches Vergnügen in Halberstadt
Alle Anakreontiker werden alt, so reich an Jahren wie ihr Lehrer, der ionische Dichter Anakreon, der erst mit 85 dem Kern einer Weintraube erlegen sein soll. Als Johann Wilhelm Ludwig Gleim 83 war, besuchte ihn in seinem Haus in Halberstadt der 23jährige Heinrich von Kleist. Er traf „einen der rührendsten u interessantesten Greise”. Gleim führte auch diesen Besucher, wie hunderte zuvor, in „ein Cabinet, geschmückt mit Gemälden seiner Freunde. Da ist keiner, sagte er, der nicht ein schönes Werk schrieb, oder eine große That begieng.”
Weil der junge Mann aus Frankfurt an der Oder ein Kleist war, kam „Vater Gleim” ins Erzählen. Er erinnerte an seinen Freund Ewald von Kleist, den er um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in der „prächtigen Wüste von Potsdam” besucht hatte. Im Duell verwundet lag Ewald von Kleist krank im Bett, Gleim war damals Regiments-Quartiermeister, besuchte ihn und las ihm eines seiner scherzhaften Gedichte im Geschmack des Anakreon vor: Tod, kannst du dich auch verlieben? / Warum holst du denn mein Mädchen? / Kannst du nicht die Mutter holen? / Denn die sieht dir doch noch ähnlich. / Frische rosenrote Wangen, / Die mein Wunsch so schön gefärbet, / Blühen nicht vor blasse Knochen, / Blühen nicht vor deine Lippen. / Tod! was wilst du mit dem Mädchen? / Mit den Zähnen ohne Lippen / Kannst du es ja doch nicht küssen.
Die Vorstellung vom küssenden Gerippes erheiterte Ewald von Kleist so heftig, dass von der Erschütterung der Wundverband an der Hand absprang. Eilig wurde ein Feldscher gerufen. Er sah, dass ein kalter Brand im Entstehen war. Am kommenden Tage schon wäre es zu spät gewesen. Seine verbleibenden Jahre widmete Ewald von Kleist der Poesie, die ihm das Leben gerettet hatte.
Wenn überhaupt, ist Gleim mit solchen Anekdoten und seiner einzigartigen Freundschaftsgalerie in Erinnerung geblieben. Literaturhistoriker kennen seinen „Versuch in schertzhaften Liedern”, mit dem 1744 die Mode der anakreontischen Dichtung, der Gesang von Wein und Liebe, von rosenreichen Hecken, von Frühling und Tänzen, Liebe und Wein, auch in Deutschland endgültig heimisch wurde. Sie kennen die „Preussischen Kriegslieder in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem Grenadier”. Krieg ist mein Lied! Weil alle Welt / Krieg will, so sei es Krieg! Die patriotische Reimerei scheint heute schwer genießbar, und Gleim hat die Verehrung des Scheusals von Sanssouci in der Tat bis zum Exzess getrieben. Im fingierten Ton des Volkes werden hier Ereignisse der Zeit aus der Sicht eines einfachen Mannes kommentiert. Eine Strophe wie diese hat immerhin Lessing bewundert: Und böt uns in der achten Schlacht / Franzoß und Russe Trutz, / So lachten wir doch ihrer Macht, / Denn Gott ist unser Schutz.
Unbeschwert aufgeklärt
Im Wallstein-Verlag hat Walter Hettche jetzt, zum 200. Todestag des Dichters, ausgewählte Werke Gleims herausgegeben und sie äußerst knapp kommentiert. Man braucht keine Gelehrsamkeit, um an den anakreontischen Liedern noch Freude zu haben. Wie in den reimlosen Kurzzeilen über den Westwind Zefir die vernünftige Leidenschaft des Enthüllens besungen wird, muss uns frischer erscheinen als noch vor 100 Jahren, weil wir die Muster fast vergessen haben, die in diesen lichten Gedichten, in einer Literatur ohne Originalitätsgebot, variiert werden. Seht, dort schwärmt er um das Mädchen! / Seht, der Zefir jagt das Mädchen! / Seht, jetzt schwärmt er um den Busen! / Seht, jetzt weicht die leichte Seide! / Seht, jetzt zeigt er uns den Busen. /Kommt, wir wollen näher laufen, / Denn er soll uns noch was zeigen!
Das alles kann man jetzt in einer verlässlichen Ausgabe nachlesen, aber die Größe Gleims liegt gewiss nicht in seinen Versen. Die Gedichte Friedrich von Hagedorns wirken in ihrer Natürlichkeit virtuoser, die Spannkraft der Verse Ewald von Kleists erreicht Gleim so wenig wie die metrische Meisterschaft Klopstocks. Vieles aus seiner Feder ist lyrische Meterware. Aber er war mit allen befreundet. Groß ist Gleim als Mann der Freundschaft, als Förderer Ewald von Kleists, Gottfried August Bürgers, Wilhelm Heinses, als einer, den man gern besuchte, der tausende Briefe schrieb und empfing, mit Geld und Kontakten half. Seine Dichtung hat in diesem Netz der Freundschaft ihren Ort. Mit den Briefen an und von Bürger kommt diese, die wichtigste Seite etwas kurz in der Ausgabe.
Als Sohn eines Steuereintreibers 1719 in Ermsleben geboren, studierte Gleim in Halle, wo er mit den avancierten Denkern der deutschen Aufklärung bekannt wurde. Anders als ein unausrottbares Vorurteil es will, waren diese nicht trocken intellektualistische Federfüchse, sondern um die Aufwertung der Sinnlichkeit bemüht, um Scherz, Witz und Lebensfreude. Diesem Programm waren auch die anakreontische Lieder verpflichtet, die Schäferdichtungen, all die natürlich scheinen wollenden Verse über grundlegende Fragen wie die, ob man es mit dem Wein oder mit den Mädchen halten solle, wie man die Schüchternheit überwindet, nicht länger „blöde” agiert. „Unbeschwert aufgeklärt” hat man das einmal genannt. Eben diese Unbeschwertheit, das programmatisch Unangestrengte, Leichte widerspricht dem hohen, emphatischen Begriff von Lyrik, der – ein Leichenfeld schöner Verse hinterlassend – noch zu Gleims Lebzeiten der herrschende wurde.
Im Leben hatte Gleim einiges Glück, 1747 ging er als Sekretär des Domkapitels nach Halberstadt, wo er für Rechnungswesen, Stipendienvergabe, Vermögensverwaltung und die Leitung der Sitzungen des Generalkapitels zuständig war. Nach einer unglücklich endenden Verlobung blieb der Glückliche zeitlebens Junggeselle. Dafür empfing er etwa von Ewald Kleist einen der schönsten deutschen Liebesbriefe. Die Kraft, sich in der Prosa des Klein stadtlebens zu behaupten, kam aus der Fiktion, der Gegenwelt mit ihren reizenden Mädchen, unschuldigen Schäfern und nie mangelndem Wein, aus dem ungebrochenen Patriotismus und einer selbstbewussten, individuellen Religiosität.
Zurecht weist Hettche darauf hin, dass Gleim früh Romanzen und Sonette schrieb, die Chevy-Chase-Strophe nutzte. Als diese Formen Mode wurden, war Gleim zwar omnipräsent in Almanachen, aber als Dichter eine überholte Figur. Der junge Heinrich von Kleist hat damals in Halberstadt die Pointe des Gleimschen Gedichts an den Tod leicht verändert. „Was willst Du mit ihr machen? Kannst du doch mit Zähnen ohne Lippen, wohl die Mädchen beißen, doch nicht küssen.” Das ist die Vorform des tödlichen Reims, dem wenig später Achill und Penthesilea zum Opfer fallen werden – in einer Dichtung, die von den letzten Dingen handelt und selber höchste Bedeutung beansprucht. Verglichen mit ihr war Gleim kein Vorläufer – der fatale Hang zum Sonett hätte sich gewiss auch ohne ihn durchgesetzt –, sondern Repräsentant einer geselligen, dem Nutzen und dem Vergnügen verpflichteten Nebenstundenpoesie.
JENS BISKY
JOHANN WILHELM LUDWIG GLEIM: Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Walter Hettche. Wallstein Verlag, Göttingen 2003. 768 Seiten, 29 Euro.
Gleim im Jahre 1771, Kupferstich von G.M. Meisel
Foto:
Gleimhaus
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Mustergültig findet Rezensent Heinrich Detering (dessen Rezension auf diesen Autor ausgesprochen neugierig macht) diese neue Gleim-Ausgabe, mit der zum zweihundertsten Todestag Herausgeber Walter Hettche diesem "Meister des Kleinen, der kunstvollen Einfalt" endlich Gerechtigkeit widerfahren lasse. In der Edition, Detering zufolge "viermal so umfangreich wie Jürgen Stenzels Pionierunternehmen von 1969", lasse sich wiederentdecken, dass man es hier mit einer wichtigen Figur der deutschen Literatur zu tun hat. Nicht nur sei Gleim der erste gewesen, der reimlose Verse proklamierte. Auch habe er mit seinen schlichten "Romanzen" die deutsche Kunstballade eröffnet. Immer wieder habe er mit leichter Hand Ausdrucksformen geschneidert, "die dem poetischen Zeitgeist passten, wie angegossen". Der Rezensent beschreibt Gleim auch als höchst skurrilen Inszenator seiner selbst, als eine Art Popstar seiner Zeit, der aber von den Zeitgenossen am Ende nicht mehr ernst genommen worden sei. Gegen die "Genies und Kraftkerle" des Sturm und Drang habe er überzeugende Gegenbilder geschaffen und besonders empfindsame Freundschaften gepflegt. Doch sei er irgendwann allen nur noch "auf die Nerven" gegangen. Noch auf dem Sterbebett habe der "lebenslange Jüngling" ein Epigramm gegen Schlegels "Lucinde" diktiert, und der bewegte Rezensent hört darin "aus einer versunkenen Welt" eine brüchige Altherrenstimme gegen den Sturmwind der Romantik anklingen.
© Perlentaucher Medien GmbH"
© Perlentaucher Medien GmbH"